Brüssel blockiert Milliardenhilfe für Ungarn
Ärger über diskriminierende Gesetzgebung – Offiziell begründet wird der Schritt mit fehlender Rechtssicherheit
- Das umstrittene ungarische Gesetz, das die Darstellung von Homosexualität in Kindern zugänglichen Medien verbietet, ist am Donnerstag in Kraft getreten. Gleichzeitig gab die EU-Kommission bekannt, die von Ungarn beantragten Corona-Hilfen in Höhe von 7,2 Milliarden Euro nicht fristgerecht zum 12. Juli zu genehmigen. Offiziell wird der Schritt damit begründet, dass Transparenz und rechtsstaatliche Sicherheiten bei der Vergabe der Gelder nicht gewährleistet seien. Doch spätestens seit Ursula von der Leyens sehr emotionalem Auftritt vor dem Europaparlament am Mittwoch ist klar, dass die Chefin der EU-Kommission die ständigen Provokationen des ehemaligen Parteifreundes Victor Orbán persönlich nimmt.
Welche rechtliche Grundlage gibt es für das Vorgehen der EU? Als der Rat das 750 Milliarden Euro schwere Post-Corona-Rettungspaket beschloss, sorgten sich die Geberländer darum, dass mit dem Geld Haushaltslöcher gestopft und wachstumsbremsende Strukturen weiter gefüttert werden könnten. Die Empfängerländer wiederum wollten keinesfalls eine Neuauflage der Finanzaufsicht im Stil einer „Troika“erleben. Deshalb einigte man sich darauf, die „länderspezifischen Empfehlungen“der EU-Kommission zum Maßstab dafür zu nehmen, dass die Mittel in Zukunftstechnologien und den Abbau verkrusteter Strukturen investiert werden.
Was bedeutet das für Ungarn?
Die Empfehlungen für Ungarn vom Mai 2020 stellen erhebliche Mängel bei der Korruptionsbekämpfung heraus: „Untersuchungen und Strafverfolgung scheinen in Ungarn weniger wirksam zu sein als in anderen Mitgliedsstaaten. Es fehlt an einem entschlossenen systematischen Vorgehen zur Bekämpfung von Korruption auf hoher Ebene. Der eingeschränkte Zugang zu Informationen behindert weiterhin den Kampf geOrbán gen Korruption.“Dieses Grundübel, so die Kommission, sei seither nicht beseitigt worden. Die Gängelung der Staatsanwälte durch die höchste politische Ebene habe eher noch zugenommen. Deshalb sei eine faire Vergabe der Fördermilliarden nicht gewährleistet.
Wie geht es jetzt weiter?
Offiziell läuft die Bewilligungsfrist am Montag aus. Die Orbán-Regierung wird bis dahin wohl kaum glaubhaft nachweisen können, dass sie rasch unabhängige Kontrollinstanzen zur Korruptionsbekämpfung einsetzen wird. Eigentlich hätten 900 Millionen Euro vor der Sommerpause ausbezahlt werden sollen. Dieses Geld, das Orbán dringend braucht, um seine Landsleute vor der nächsten Wahl gewogen zu stimmen, wird nun wohl zunächst nicht fließen. Auch viele Mitgliedsstaaten und große Teile des Europaparlaments sind dagegen, das Geld zu überweisen. Als Beispiel dafür, wie mit Subventionen umgeht, wird eine 5,7 Kilometer lange Kleinbahn für Touristen angeführt sowie ein Fußballstation in Victor Orbáns Heimatdorf Felcsut – beides mit EUGeld finanziert. Über den Sommer werden EU-Kommission und Ungarns Regierung die Kräfte messen. Beobachter fürchten aber, dass sich die Brüsseler Behörde letztlich mit kosmetischen Zusagen zufriedengeben könnte.
Welchen Einfluss hat das EU-Parlament auf den Prozess?
Die Abgeordneten können Öffentlichkeit über den ganzen Vorgang herstellen und später mithilfe des Haushaltskontrollausschusses vor Ort feststellen, ob die Mittel ordentlich und den Anträgen entsprechend verwendet wurden. Auf die Auszahlung der Covid-Hilfen aber hat das Parlament keinerlei Einfluss. Wenn die EU-Kommission die Pläne genehmigt hat, muss nur noch der Rat der Regierungen zustimmen.
Wie ist die Stimmung im Europäischen Rat?
Wie schon während der politischen Debatte um die Ausgestaltung der Hilfen gibt es auch jetzt eine klare Spaltung zwischen den sparsamen Geberländern – also unter anderem Deutschland, Schweden, die Niederlande und Österreich – und den Empfängerländern, die sich nicht kontrollieren lassen wollen. Der Finanzplan Sloweniens wurde letzte Woche von der EU-Kommission gebilligt, obwohl das Land noch immer keine Vertreter in die Europäische Staatsanwaltschaft entsandt hat. Dabei könnte man darin wie im Fall Ungarn ein Hindernis dafür sehen, dass die Verwendung der Mittel wirksam kontrolliert werden kann. Eine Rolle mag dabei gespielt haben, dass Slowenien derzeit den Vorsitz im Europäischen Rat innehat. Mit Spannung wird erwartet, ob der Plan der polnischen Regierung kommende Woche reibungslos genehmigt wird.
Sehen wir hier die Premiere für den neuen Rechtsstaatsmechanismus?
Nein. Zwar drängt das Europäische Parlament die Kommission dazu, dieses Instrument endlich anzuwenden und Mittel zu kürzen, wenn ein Land den Pfad der Rechtsstaatlichkeit verlässt. Doch will sich die Kommission zunächst juristisch absichern und im Herbst „Leitlinien“dazu erlassen, wann dieser Mechanismus eingesetzt werden darf. Die Bedingungen sind eng gefasst. Es genügt nicht, dass ein Land die Medienfreiheit beschränkt, Homosexuelle diskriminiert oder die Unabhängigkeit der Justiz beschneidet. Vielmehr muss ein eindeutiger Zusammenhang mit der ordentlichen Verwendung von EU-Geldern plausibel nachgewiesen werden. Nur über diesen Hebel kann Brüssel einzelne Mitgliedsstaaten zum Einlenken zwingen. Empörung über ein neues schwulenfeindliches Gesetz reicht dafür nicht aus.