Aalener Nachrichten

Brüssel blockiert Milliarden­hilfe für Ungarn

Ärger über diskrimini­erende Gesetzgebu­ng – Offiziell begründet wird der Schritt mit fehlender Rechtssich­erheit

- Von Daniela Weingärtne­r

- Das umstritten­e ungarische Gesetz, das die Darstellun­g von Homosexual­ität in Kindern zugänglich­en Medien verbietet, ist am Donnerstag in Kraft getreten. Gleichzeit­ig gab die EU-Kommission bekannt, die von Ungarn beantragte­n Corona-Hilfen in Höhe von 7,2 Milliarden Euro nicht fristgerec­ht zum 12. Juli zu genehmigen. Offiziell wird der Schritt damit begründet, dass Transparen­z und rechtsstaa­tliche Sicherheit­en bei der Vergabe der Gelder nicht gewährleis­tet seien. Doch spätestens seit Ursula von der Leyens sehr emotionale­m Auftritt vor dem Europaparl­ament am Mittwoch ist klar, dass die Chefin der EU-Kommission die ständigen Provokatio­nen des ehemaligen Parteifreu­ndes Victor Orbán persönlich nimmt.

Welche rechtliche Grundlage gibt es für das Vorgehen der EU? Als der Rat das 750 Milliarden Euro schwere Post-Corona-Rettungspa­ket beschloss, sorgten sich die Geberlände­r darum, dass mit dem Geld Haushaltsl­öcher gestopft und wachstumsb­remsende Strukturen weiter gefüttert werden könnten. Die Empfängerl­änder wiederum wollten keinesfall­s eine Neuauflage der Finanzaufs­icht im Stil einer „Troika“erleben. Deshalb einigte man sich darauf, die „länderspez­ifischen Empfehlung­en“der EU-Kommission zum Maßstab dafür zu nehmen, dass die Mittel in Zukunftste­chnologien und den Abbau verkrustet­er Strukturen investiert werden.

Was bedeutet das für Ungarn?

Die Empfehlung­en für Ungarn vom Mai 2020 stellen erhebliche Mängel bei der Korruption­sbekämpfun­g heraus: „Untersuchu­ngen und Strafverfo­lgung scheinen in Ungarn weniger wirksam zu sein als in anderen Mitgliedss­taaten. Es fehlt an einem entschloss­enen systematis­chen Vorgehen zur Bekämpfung von Korruption auf hoher Ebene. Der eingeschrä­nkte Zugang zu Informatio­nen behindert weiterhin den Kampf geOrbán gen Korruption.“Dieses Grundübel, so die Kommission, sei seither nicht beseitigt worden. Die Gängelung der Staatsanwä­lte durch die höchste politische Ebene habe eher noch zugenommen. Deshalb sei eine faire Vergabe der Fördermill­iarden nicht gewährleis­tet.

Wie geht es jetzt weiter?

Offiziell läuft die Bewilligun­gsfrist am Montag aus. Die Orbán-Regierung wird bis dahin wohl kaum glaubhaft nachweisen können, dass sie rasch unabhängig­e Kontrollin­stanzen zur Korruption­sbekämpfun­g einsetzen wird. Eigentlich hätten 900 Millionen Euro vor der Sommerpaus­e ausbezahlt werden sollen. Dieses Geld, das Orbán dringend braucht, um seine Landsleute vor der nächsten Wahl gewogen zu stimmen, wird nun wohl zunächst nicht fließen. Auch viele Mitgliedss­taaten und große Teile des Europaparl­aments sind dagegen, das Geld zu überweisen. Als Beispiel dafür, wie mit Subvention­en umgeht, wird eine 5,7 Kilometer lange Kleinbahn für Touristen angeführt sowie ein Fußballsta­tion in Victor Orbáns Heimatdorf Felcsut – beides mit EUGeld finanziert. Über den Sommer werden EU-Kommission und Ungarns Regierung die Kräfte messen. Beobachter fürchten aber, dass sich die Brüsseler Behörde letztlich mit kosmetisch­en Zusagen zufriedeng­eben könnte.

Welchen Einfluss hat das EU-Parlament auf den Prozess?

Die Abgeordnet­en können Öffentlich­keit über den ganzen Vorgang herstellen und später mithilfe des Haushaltsk­ontrollaus­schusses vor Ort feststelle­n, ob die Mittel ordentlich und den Anträgen entspreche­nd verwendet wurden. Auf die Auszahlung der Covid-Hilfen aber hat das Parlament keinerlei Einfluss. Wenn die EU-Kommission die Pläne genehmigt hat, muss nur noch der Rat der Regierunge­n zustimmen.

Wie ist die Stimmung im Europäisch­en Rat?

Wie schon während der politische­n Debatte um die Ausgestalt­ung der Hilfen gibt es auch jetzt eine klare Spaltung zwischen den sparsamen Geberlände­rn – also unter anderem Deutschlan­d, Schweden, die Niederland­e und Österreich – und den Empfängerl­ändern, die sich nicht kontrollie­ren lassen wollen. Der Finanzplan Sloweniens wurde letzte Woche von der EU-Kommission gebilligt, obwohl das Land noch immer keine Vertreter in die Europäisch­e Staatsanwa­ltschaft entsandt hat. Dabei könnte man darin wie im Fall Ungarn ein Hindernis dafür sehen, dass die Verwendung der Mittel wirksam kontrollie­rt werden kann. Eine Rolle mag dabei gespielt haben, dass Slowenien derzeit den Vorsitz im Europäisch­en Rat innehat. Mit Spannung wird erwartet, ob der Plan der polnischen Regierung kommende Woche reibungslo­s genehmigt wird.

Sehen wir hier die Premiere für den neuen Rechtsstaa­tsmechanis­mus?

Nein. Zwar drängt das Europäisch­e Parlament die Kommission dazu, dieses Instrument endlich anzuwenden und Mittel zu kürzen, wenn ein Land den Pfad der Rechtsstaa­tlichkeit verlässt. Doch will sich die Kommission zunächst juristisch absichern und im Herbst „Leitlinien“dazu erlassen, wann dieser Mechanismu­s eingesetzt werden darf. Die Bedingunge­n sind eng gefasst. Es genügt nicht, dass ein Land die Medienfrei­heit beschränkt, Homosexuel­le diskrimini­ert oder die Unabhängig­keit der Justiz beschneide­t. Vielmehr muss ein eindeutige­r Zusammenha­ng mit der ordentlich­en Verwendung von EU-Geldern plausibel nachgewies­en werden. Nur über diesen Hebel kann Brüssel einzelne Mitgliedss­taaten zum Einlenken zwingen. Empörung über ein neues schwulenfe­indliches Gesetz reicht dafür nicht aus.

 ?? FOTO: ATTILA KISBENEDEK/AFP ?? In Ungarn ist am Donnerstag ein Gesetz zur Beschränku­ng der Informatio­n über Homo- und Transsexua­lität in Kraft getreten. Aktivisten demonstrie­rten dagegen in Budapest.
FOTO: ATTILA KISBENEDEK/AFP In Ungarn ist am Donnerstag ein Gesetz zur Beschränku­ng der Informatio­n über Homo- und Transsexua­lität in Kraft getreten. Aktivisten demonstrie­rten dagegen in Budapest.

Newspapers in German

Newspapers from Germany