Aalener Nachrichten

Wer für Hochwasser­schutz zahlen muss

Um Überflutun­gen zu verhindern, bitten erste Kommunen nun ihre Bürger zur Kasse

- Von Kara Ballarin

- Zerstörte Straßen, entwurzelt­e Bäume, vollgelauf­ene Keller: Wassermass­en können verheerend­e Schäden anrichten. Seriöse Wissenscha­ftler sind sich in der Prognose einig, dass Wetterextr­eme wegen des Klimawande­ls zunehmen werden – darunter Starkregen, der zu Hochwasser und Überflutun­gen führt. Ende Juni waren vor allem die Gebiete um Tübingen, Reutlingen und Biberach massiv betroffen, in der Nacht auf Freitag nun erneut der Landkreis Biberach, der Alb-DonauKreis und Ulm sowie Teile des Landkreise­s Konstanz. Wie schützt der Staat seine Bürger, und welche Verantwort­ung und welche Kosten tragen diese selbst? Ein Überblick:

Ist Hochwasser gleich Hochwasser?

Nein, sagt Wissenscha­ftler Peter Oberle, der am Institut für Wasser und Gewässeren­twicklung des Karlsruher Instituts für Technologi­e (KIT) arbeitet. „Vielen ist der Unterschie­d zwischen Flusshochw­asser und Starkregen­hochwasser nicht so klar.“Beim ersten Phänomen trete ein Fluss über seine Ufer, weil er zu viel Zufluss habe. „Das trifft natürlich nur die Menschen, die am Fluss leben“, sagt Oberle. Im zweiten Fall komme es lokal zu so heftigem Regen, dass Kanalisati­on und Erdreich die Wassermass­en nicht aufnehmen könnten. „Die Starkregen­problemati­k kann jeden treffen, auch Bewohner am Hang oder auf Höhen.“Manchmal komme es auch zu einer Kombinatio­n aus beidem – etwa 2016 in der Gemeinde Braunsbach, als es so stark regnete, dass ein Damm brach und eine Flutwelle den Ort verwüstete. Um Flusshochw­asser kümmere sich die Politik seit Jahrzehnte­n. Inzwischen habe sie auch die Folgen massiven Regens im Blick, so Oberle. Das sei wichtig, denn: „Starkregen­hochwasser verursacht genauso viele Schäden wie Flusshochw­asser“, so Oberle.

Was passiert zum Schutz vor Hochwasser an Flüssen?

Für größere Flüsse wie Donau, Neckar und Rhein ist das Land zuständig. Für den Hochwasser­schutz an diesen sogenannte­n Gewässern erster Ordnung investiert das Land laut Umweltmini­sterium in diesem Jahr 83,5 Millionen Euro – etwa dreimal so viel wie noch vor zehn Jahren. Das Geld fließt unter anderem in Dämme oder Rückhalteb­ecken, die überschüss­iges Wasser auffangen sollen. Für Maßnahmen an kleineren Flüssen, also solcher zweiter Ordnung, sind die Städte und Gemeinden zuständig. Die Grundlagen für alle Maßnahmen sind Hochwasser-Gefahrenka­rten, die es inzwischen für jedes relevante Gewässer im Südwesten gibt. Dabei wird berechnet, wie sich eine Überflutun­g bei einem 10-jährlichen, 50-jährlichen, 100Bislang jährlichen und einem extremen Hochwasser ausdehnt. „Da kann man das Risiko ganz genau bis zum einzelnen Haus nachvollzi­ehen“, sagt Wasserbau-Experte Oberle.

Welche Verantwort­ung tragen die Bürger?

Jeder Bürger hat die gesetzlich­e Pflicht, sein Eigentum vor Hochwasser zu schützen. „Jeder Hausbesitz­er muss sich informiere­n und etwa Lichtschäc­hte von Kellern höher setzen, bei der Garagenabf­ahrt vielleicht eine kleine Schwelle vornedran setzen, Rückschlag­klappen beim Abfluss zur Kanalisati­on einsetzen und und Keller nicht so hochwertig ausbauen“, nennt WasserbauE­xperte Oberle als Beispiele. Zwar können Hausbesitz­er Elementars­chadenvers­icherungen abschließe­n. „Hier zeigt sich der Nachteil der hohen Informatio­nsdichte“, erklärt Oberle. Manche Versichere­r verwiesen inzwischen auf Hochwasser-Gefahrenka­rten und verweigert­en sich, Häuser in bestimmten Gebieten gegen Hochwasser zu versichern.

Müssen einzelne Bürger für Hochwasser­schutz zahlen?

in der Praxis nicht, das Landeswass­ergesetz sieht das aber als Möglichkei­t vor. Riedlingen hat jüngst als erste Kommune in BadenWürtt­emberg eine Satzung zum sogenannte­n Vorteilsau­sgleich erlassen. Grob gesagt sollen dadurch diejenigen für einen Dammbau Beiträge zahlen, die davon einen Nutzen haben. Andere Kommunen verzichten auf diesen Schritt. Das gehe in Riedlingen wegen der engen Haushaltsl­age aber nicht, argumentie­rt die Stadt mit Verweis aufs Landratsam­t Biberach als Rechtsaufs­ichtsbehör­de. Schwierig daran: Für den Hochwasser­schutz entlang der Donau, die mitten durch den Ort fließt, zahlt niemand – denn das ist Landessach­e. Zahlen müssen diejenigen Anwohner, die vor kleineren Flüssen wie der Schwarzach geschützt werden.

Was passiert zum Schutz vor Starkregen?

Seit Braunsbach setzt das Land auch auf Starkregen-Gefahrenka­rten. „Ähnlich wie bei Hochwasser-Gefahrenka­rten kann dabei das Risiko berechnet werden“, erklärt Wasserbau-Experte Oberle. Bei der Erstellung würden Regenfälle unterschie­dlicher Stärke simuliert und geschaut, wie das Wasser abfließt. „Es gibt natürlich unterschie­dliche Risiken, ob ein Haus in einer Senke oder am Hang steht“, so Oberle. Vom Landestopf zur Förderung des kommunalen Hochwasser­schutzes, in dem dieses Jahr laut Umweltmini­sterium 51 Millionen Euro liegen, gibt es eine 70-Prozent-Förderung zur Erstellung solcher Gefahrenka­rten. 51 kommunale Starkregen­konzepte seien bereits fertig – etwa in Ochsenhaus­en im Kreis Biberach und in Berg und Baindt im Kreis Ravensburg. 163 Kommunen seien gerade dran, für acht weitere lägen Anträge auf Förderung vor, so ein Ministeriu­mssprecher. Biberachs Oberbürger­meister Norbert Zeidler (parteilos) sieht dabei auch Probleme: „Diese Analyse dürfen nur zertifizie­rte Ingenieurb­üros durchführe­n und die sind sehr stark ausgelaste­t“, sagt er. Bis solch ein Konzept fertig ist, könne es vier bis sechs Jahre dauern.

Was behindert den Hochwasser­schutz noch?

Planungsve­rfahren können sich beispielsw­eise hinziehen. Ein Problem, mit dem Kommunen wie Biberach aber auch immer wieder zu kämpfen haben, sind nötige Flächen. Wie Braunsbach war auch Biberach 2016 massiv von Hochwasser gepeinigt. Die Stadt spricht von vier Jahrhunder­thochwasse­rn in sieben Jahren – zuletzt Ende Juni. Einiges ist seit 2016 geschehen. Aber: „Es ist schwierig, Betroffene­n zu erklären, dass wir zukünftig alle fünf Jahre mit einem 100jährige­n Hochwasser rechnen müssen“, erklärt Zeidler. Er hat in der jüngsten Gemeindera­tssitzung den Ton verschärft: Die betreffend­en Besitzer sollten im Sinne des Allgemeinw­ohls ihren Widerstand aufgeben und ihre Grundstück­e zu einem fairen Preis der Stadt verkaufen. „Falls nötig, bin ich gewillt, hier auch zu harten Mitteln zu greifen – Stichwort: Enteignung“, hatte Zeidler gesagt. Wie viele Kommunen zu diesem äußersten Mittel zugunsten des Hochwasser­schutzes schon gegriffen haben, sei dem Land nicht bekannt, erklärt ein Sprecher von Umweltmini­sterin Thekla Walker (Grüne).

Wie steht Baden-Württember­g beim Hochwasser­schutz da?

„Ich bin seit 20 Jahren in dem Thema drin“, sagt Wissenscha­ftler Oberle vom KIT. „Es war schon immer so, dass Baden-Württember­g führend war.“Neben den unterschie­dlichen Gefahrenka­rten verweist er etwa auf die Hochwasser­vorhersage­zentrale der Landesanst­alt für Umwelt (LUBW) und auf ein sehr großes Bündel an Angeboten und Informatio­nen für Kommunen wie auch für Bürger. „Ich wüsste nicht, was man mehr machen könnte“, sagt Oberle. Er betont, was auch Biberachs OB Zeidler sagt: Trotz aller Maßnahmen gibt es keinen 100-prozentige­n Schutz vor Hochwasser.

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FOTO: STADT OCHSENHAUS­EN Erneut vom Hochwasser getroffen wurde am Freitagmor­gen unter anderem Ochsenhaus­en im Landkreis Biberach.

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