Scheuer droht der nächste Flop
Autobahn GmbH des Bundes plant eine eigene App – Die Konkurrenz ist übermächtig
- Weniger Staus, mehr Tempo beim Bauen, schnellere Verkehrsinformationen für Autofahrer: Mit diesen Zielen ist die Autobahngesellschaft im Januar gestartet. Mit der Gesellschaft sind nicht mehr die Länder für die Autobahnen zuständig, sondern der Bund. Doch statt Prozesse zu vereinfachen, ist Chaos entstanden. Nun droht ein erneuter Imageverlust. Die Autobahn GmbH will Mitte Juli eine App herausbringen und drängt damit auf den Markt von Routenplanern wie Google oder TomTom. Wissenschaftler warnen: Die Autobahn-App könnte zum Rohrkrepierer werden. Ist sie die nächste Pleite aus dem Hause von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU)?
Die Idee hinter der App: Wie aus internen Dokumenten hervorgeht, die der „Schwäbischen Zeitung“exklusiv vorliegen, soll sie viele verschiedene Funktionen in einer Anwendung verbinden. Damit soll sie einen Mehrwert gegenüber etablierten Navigationssystemen bieten und eine Ergänzung sein. Autofahrer sollen die App nicht nur für die Routenführung nutzen können, Staus mitgeteilt bekommen und über Umleitungen informiert werden. Nutzer sollen etwa 700 E-Ladestationen entlang der Autobahnstrecke angezeigt bekommen und auf routenbezogene Webcams Zugriff haben. Lkw-Fahrer sollen darüber informiert werden, ob es freie Stellplätze gibt und ob Raststätten mit Toiletten, Duschen und einem Restaurant ausgestattet sind. Das alles kosten- und werbefrei sowie datensicher.
So weit, so gut. Doch was soll die Nutzer dazu bewegen, sich die App aufs Smartphone runterzuladen? Immerhin bekommen sie Informationen zu Streckenverläufen, Staus, Baustellen auch anderswo umsonst. Hat die Autobahn App eine Chance gegenüber Systemen wie Google Maps?
Matthias Naab vom FraunhoferInstitut für Experimentelles Software Engineering (IESE) ist skeptisch. Der Hauptabteilungsleiter ist beim Institut für digitale Ökosysteme zuständig. Autofahrer nutzten den Dienst des US-Riesen Google, weil er präzise und gut funktioniere, sagt er. „Nutzer sind zudem mit ihren Accounts verwurzelt und neigen zur
Trägheit“, sagt Naab. Ein Wechsel käme selten infrage und setze voraus, dass sehr klare Vorteile damit verbunden seien. „Das stärkste Argument für einen Wechsel könnte der Datenschutz sein“, erläutert der Wissenschaftler. „Dort zeigt sich jedoch schon bei anderen Diensten wie der Suche, dass sich Nutzer selten zugunsten des Datenschutzes gegen das bessere Gesamterlebnis eines Dienstes entscheiden.“
Grundsätzlich befürwortet der Datenexperte, wenn deutsche Firmen den Mut haben, Neues zu wagen. „Doch man sollte nicht unbedingt dort angreifen, wo der Bär schon erlegt ist“, erläutert Naab. „Einen neuen Dienst anzubieten, mit dem man höchstwahrscheinlich nicht wettbewerbsfähig sein wird, birgt das hohe Risiko, dass man am Ende schlecht dasteht“, sagt der IESE-Forscher. Einen überzeugenden Mehrwert für
App-Nutzer hält Naab für nicht direkt erkennbar. Features, mit denen die Autobahn-App punkten wolle, könne Google in wenigen Tagen integrieren. Das gelte zum Beispiel für das Anzeigen von E-Ladestationen an Autobahnrouten. Bereits jetzt können Google-Nutzer sich E-Ladepunkte im Stadtgebiet anzeigen lassen. Der Zugriff auf Webcams sei zwar ein neues und interessantes Feature, doch sei dies hauptsächlich zur Erkennung von Staus interessant, und dieses Angebot ist schon in anderen Diensten verfügbar.
Wozu also der Aufwand, eine eigene App zu bauen? Einem Sprecher zufolge ist das Ziel, „Nutzerinnen und Nutzern der Autobahn langfristig ein umfassendes Serviceangebot in einer App zu bieten“. Aus internen Unterlagen geht hervor: Die Autobahngesellschaft will mit der App auch ihr Image aufpolieren. Seit dem Start des bundeseigenen Unternehmens hakt es an allen Ecken und Enden. Rechnungen wurden nicht bezahlt, sodass Bauarbeiter ihre Arbeiten an Streckenabschnitten einstellten. Statt einer Zentralisierung der Aufgaben beim Bund sind teils immer noch die Länder zuständig. Auch die IT-Systeme wurden noch nicht in eines überführt. Bis es so weit ist, könnte es noch Jahre dauern.
Der Nutzen der Autobahngesellschaft wird von einigen Verkehrsexperten bezweifelt. Ein Grund dafür sind die explodierenden Kosten. So soll die Gesellschaft den Steuerzahler 400 Millionen Euro mehr kosten als geplant. Im Dezember 2020 war das Bundesverkehrsministerium noch davon ausgegangen, dass der Betrieb sich auf 1,38 Milliarden Euro belaufen würde. Wenige Monate später wurden für 2022 etwa 1,78 Milliarden Euro kalkuliert. Wie der Anstieg der Kosten um 30 Prozent entstanden ist, ist nicht bekannt. Scheuers Ministerium wies die Vorwürfe zurück, niedrigere Berechnungen stammten aus älteren Prognosen.
Nun könnte die Autobahn App das nächste Grab für über 1,2 Millionen Euro Steuergeld sein. Bisher hat die App den Steuerzahler 670 000 Euro gekostet. Im Jahr 2021 sollen mindestens weitere 660 000 hinzukommen. Ob das gut investiertes Geld ist, werden die kommenden Wochen zeigen. Am 20. Juli soll die App vorgestellt werden.