Aalener Nachrichten

Scheuer droht der nächste Flop

Autobahn GmbH des Bundes plant eine eigene App – Die Konkurrenz ist übermächti­g

- Von Dorothee Torebko

- Weniger Staus, mehr Tempo beim Bauen, schnellere Verkehrsin­formatione­n für Autofahrer: Mit diesen Zielen ist die Autobahnge­sellschaft im Januar gestartet. Mit der Gesellscha­ft sind nicht mehr die Länder für die Autobahnen zuständig, sondern der Bund. Doch statt Prozesse zu vereinfach­en, ist Chaos entstanden. Nun droht ein erneuter Imageverlu­st. Die Autobahn GmbH will Mitte Juli eine App herausbrin­gen und drängt damit auf den Markt von Routenplan­ern wie Google oder TomTom. Wissenscha­ftler warnen: Die Autobahn-App könnte zum Rohrkrepie­rer werden. Ist sie die nächste Pleite aus dem Hause von Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU)?

Die Idee hinter der App: Wie aus internen Dokumenten hervorgeht, die der „Schwäbisch­en Zeitung“exklusiv vorliegen, soll sie viele verschiede­ne Funktionen in einer Anwendung verbinden. Damit soll sie einen Mehrwert gegenüber etablierte­n Navigation­ssystemen bieten und eine Ergänzung sein. Autofahrer sollen die App nicht nur für die Routenführ­ung nutzen können, Staus mitgeteilt bekommen und über Umleitunge­n informiert werden. Nutzer sollen etwa 700 E-Ladestatio­nen entlang der Autobahnst­recke angezeigt bekommen und auf routenbezo­gene Webcams Zugriff haben. Lkw-Fahrer sollen darüber informiert werden, ob es freie Stellplätz­e gibt und ob Raststätte­n mit Toiletten, Duschen und einem Restaurant ausgestatt­et sind. Das alles kosten- und werbefrei sowie datensiche­r.

So weit, so gut. Doch was soll die Nutzer dazu bewegen, sich die App aufs Smartphone runterzula­den? Immerhin bekommen sie Informatio­nen zu Streckenve­rläufen, Staus, Baustellen auch anderswo umsonst. Hat die Autobahn App eine Chance gegenüber Systemen wie Google Maps?

Matthias Naab vom Fraunhofer­Institut für Experiment­elles Software Engineerin­g (IESE) ist skeptisch. Der Hauptabtei­lungsleite­r ist beim Institut für digitale Ökosysteme zuständig. Autofahrer nutzten den Dienst des US-Riesen Google, weil er präzise und gut funktionie­re, sagt er. „Nutzer sind zudem mit ihren Accounts verwurzelt und neigen zur

Trägheit“, sagt Naab. Ein Wechsel käme selten infrage und setze voraus, dass sehr klare Vorteile damit verbunden seien. „Das stärkste Argument für einen Wechsel könnte der Datenschut­z sein“, erläutert der Wissenscha­ftler. „Dort zeigt sich jedoch schon bei anderen Diensten wie der Suche, dass sich Nutzer selten zugunsten des Datenschut­zes gegen das bessere Gesamterle­bnis eines Dienstes entscheide­n.“

Grundsätzl­ich befürworte­t der Datenexper­te, wenn deutsche Firmen den Mut haben, Neues zu wagen. „Doch man sollte nicht unbedingt dort angreifen, wo der Bär schon erlegt ist“, erläutert Naab. „Einen neuen Dienst anzubieten, mit dem man höchstwahr­scheinlich nicht wettbewerb­sfähig sein wird, birgt das hohe Risiko, dass man am Ende schlecht dasteht“, sagt der IESE-Forscher. Einen überzeugen­den Mehrwert für

App-Nutzer hält Naab für nicht direkt erkennbar. Features, mit denen die Autobahn-App punkten wolle, könne Google in wenigen Tagen integriere­n. Das gelte zum Beispiel für das Anzeigen von E-Ladestatio­nen an Autobahnro­uten. Bereits jetzt können Google-Nutzer sich E-Ladepunkte im Stadtgebie­t anzeigen lassen. Der Zugriff auf Webcams sei zwar ein neues und interessan­tes Feature, doch sei dies hauptsächl­ich zur Erkennung von Staus interessan­t, und dieses Angebot ist schon in anderen Diensten verfügbar.

Wozu also der Aufwand, eine eigene App zu bauen? Einem Sprecher zufolge ist das Ziel, „Nutzerinne­n und Nutzern der Autobahn langfristi­g ein umfassende­s Serviceang­ebot in einer App zu bieten“. Aus internen Unterlagen geht hervor: Die Autobahnge­sellschaft will mit der App auch ihr Image aufpoliere­n. Seit dem Start des bundeseige­nen Unternehme­ns hakt es an allen Ecken und Enden. Rechnungen wurden nicht bezahlt, sodass Bauarbeite­r ihre Arbeiten an Streckenab­schnitten einstellte­n. Statt einer Zentralisi­erung der Aufgaben beim Bund sind teils immer noch die Länder zuständig. Auch die IT-Systeme wurden noch nicht in eines überführt. Bis es so weit ist, könnte es noch Jahre dauern.

Der Nutzen der Autobahnge­sellschaft wird von einigen Verkehrsex­perten bezweifelt. Ein Grund dafür sind die explodiere­nden Kosten. So soll die Gesellscha­ft den Steuerzahl­er 400 Millionen Euro mehr kosten als geplant. Im Dezember 2020 war das Bundesverk­ehrsminist­erium noch davon ausgegange­n, dass der Betrieb sich auf 1,38 Milliarden Euro belaufen würde. Wenige Monate später wurden für 2022 etwa 1,78 Milliarden Euro kalkuliert. Wie der Anstieg der Kosten um 30 Prozent entstanden ist, ist nicht bekannt. Scheuers Ministeriu­m wies die Vorwürfe zurück, niedrigere Berechnung­en stammten aus älteren Prognosen.

Nun könnte die Autobahn App das nächste Grab für über 1,2 Millionen Euro Steuergeld sein. Bisher hat die App den Steuerzahl­er 670 000 Euro gekostet. Im Jahr 2021 sollen mindestens weitere 660 000 hinzukomme­n. Ob das gut investiert­es Geld ist, werden die kommenden Wochen zeigen. Am 20. Juli soll die App vorgestell­t werden.

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FOTO: HENNING KAISER/DPA Die App der Autobahn GmbH soll Autofahrer unter anderem vor Staus warnen – das können allerdings auch die Produkte anderer Anbieter.

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