Sticheleien um einen Piks
Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger verweigert Impfung – Wie sein Chef Söder ihn vorführt
- Es begann alles relativ harmlos mit einer Journalistenfrage in einer Pressekonferenz der bayerischen Staatsregierung: Warum denn der stellvertretende bayerische Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) im Gegensatz zu allen anderen Kabinettsmitgliedern immer noch nicht gegen Corona geimpft sei. Mit den inzwischen viel zitierten Worten „Vielleicht sagst du selber was dazu, warum du dich nicht impfen lassen willst“, gab Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den Ball an seinen Vize weiter, der seine Entscheidung als „persönlich“verteidigte. Damit war der Startschuss für eine Debatte gegeben, die immer noch Fahrt aufnimmt.
Dabei, so Aiwanger im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, „geht es mittlerweile um eine Grundsatzfrage, die weit über Corona hinausgeht: Wie weit geht das persönliche Selbstbestimmungsrecht des Bürgers über seinen Körper, und wie weit darf der Staat den Bürger zu etwas drängen oder am Ende auch gegen seinen Willen zwingen?“
Wenn „der Staat“in Gestalt von Markus Söder Aiwanger zu etwas hatte „zwingen“wollen, dann ist der Schuss wohl teilweise nach hinten losgegangen: Der Freie-Wähler-Vorsitzende erntet in den sozialen Netzen mindestens so viel Zuspruch wie Ablehnung, wenn er vor „öffentlicher Stigmatisierung“warnt: „Wir dürfen diese rote Linie nicht überschreiten, sonst öffnen wir die Büchse der Pandora und tragen zentrale Freiheitsrechte zu Grabe.“Das gelte für finanzielle Belohnungen fürs Impfen oder andere medizinische Eingriffe, die womöglich Menschen wegen finanzieller Notlagen oder aus Angst vor öffentlicher Stigmatisierung an sich vornehmen ließen.
„Die Entscheidung, ob sich jemand impfen lässt oder nicht, ist eine persönliche Entscheidung – die nehme ich auch für mich in Anspruch“, hatte Aiwanger seine bisherige Impfenthaltsamkeit verteidigt: „Wir sollten keinen öffentlichen Druck aufbauen.“Dies ganz bewusst aus parteitaktischen Gründen getan zu haben, werfen Freie Wähler dem Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden vor. „Das war kein guter Stil“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der Freien Wähler im Landtag, Fabian Mehring. Es sei Wasser auf die Mühlen der Impfskeptiker und Verschwörungstheoretiker gewesen, die behaupten, die Politik arbeite auf einen Impfzwang hin. Außerdem, so Mehring, stehe es „keinem Chef gut an, den Co-Chef vorzuführen“.
Ob sich ein Vizeregierungschef gegen Covid-19 impfen lässt oder nicht, ist freilich nach Ansicht Söders keine reine Privatsache. Jeder, der Impfungen und Masken ablehne, riskiere, dass sich die Situation in den nächsten Monaten wieder verschärfe, formulierte der Regierungschef, ohne Namen zu nennen. Wer gemeint war, war klar. Aiwanger habe sich zum „Patenonkel der Corona-Leugner und Anti-Impf-Esoteriker“gemacht, kommentierte die „Süddeutsche Zeitung“. Auch aus den eigenen Reihen kam zumindest eine skeptische Stimme. Er sei schon der Meinung, dass sich die gesamte Politikerriege durchimpfen lassen sollte, sagte Freie-Wähler-Parlamentarier Benno Zierer aus Freising: „Da sollten wir Politiker schon Vorbild sein.“
Aiwanger habe der Propaganda von Corona-Leugnern Vorschub geleistet und den Endruck hinterlassen, von der Impfung ginge womöglich eine größere Gefahr aus als von der Pandemie, legte der SPD-Abgeordnete Florian Ritter noch eins drauf und vermutete wahltaktische Manöver. Dem Freien-Wähler-Chef sei „das im Trüben gefischte Prozent mehr immer wichtiger als Leben und Gesundheit anderer“. Die Vermutung ist freilich mit dem Ablauf des Geschehens schwer vereinbar, weil die Debatte nicht von Aiwanger, sondern von Söder angestoßen wurde. „Aiwanger hat von sich aus null Interesse, über seinen Impfstatus zu reden“, tritt Parlamentsgeschäftsführer Mehring seinem Parteichef zur Seite.
Die Stichelei um die Impfbereitschaft des bayerischen Vizeregierungschefs fällt in eine Phase, in welcher das Verhältnis zwischen den Koalitionspartnern CSU und Freie Wählern
ohnehin angespannt ist. Hauptgrund ist die anstehende Bundestagswahl, zu der die Freien Wähler ebenfalls antreten. Weil sie auf dasselbe Wählerpotenzial zielen wie die CSU, mussten sie sich von CSUGeneralsekretär Markus Blume vorhalten lassen, das „bürgerliche Lager“zu schwächen und zu spalten, zumal ihre Chancen auf ein Überspringen der Fünfprozenthürde auf Bundesebene gleich null seien.
Zumindest für Bayern scheinen sich die CSU-Befürchtungen zu bewahrheiten. Nach dem am vergangenen Donnerstag veröffentlichten Bayerntrend des Bayerischen Rundfunks können die Freien Wähler in Bayern bei der Bundestagswahl mit mindestens sechs Prozent rechnen – offensichtlich auch zu Lasten der CSU, die auf nur 36 Prozent taxiert wird. Das wäre das schlechteste Ergebnis seit 1949. Die Stimmen für die Freien Wähler seien verloren, beschwören die Christsozialen das bürgerliche Wählerklientel, weil auf Bundesebene laut Demoskopie das Fünf-Prozent-Ziel für die Freien Wähler in weiter Ferne liegt. Parlamentsgeschäftsführer Mehring schießt zurück: „Eine Stimme ist bei der Bundestagswahl ganz sicher verschenkt, nämlich die Zweitstimme für die CSU, weil sie alle ihre Bundestagsabgeordneten nur über Direktmandate nach Berlin schickt.“
Seine Partei habe diesmal „sehr gute Chancen für einen Einzug in den Bundestag“, bekräftigt Aiwanger und stellt indirekt einen Zusammenhang mit der koalitionsinternen Impfdebatte her: „Freie Wähler heißt mehr gesunder Menschenverstand und weniger Ideologie.“Die CSU sollte sich auf eine Koalition der Mitte mit den Freien Wählern einstellen.