Aalener Nachrichten

Sticheleie­n um einen Piks

Bayerns Wirtschaft­sminister Aiwanger verweigert Impfung – Wie sein Chef Söder ihn vorführt

- Von Ralf Müller

- Es begann alles relativ harmlos mit einer Journalist­enfrage in einer Pressekonf­erenz der bayerische­n Staatsregi­erung: Warum denn der stellvertr­etende bayerische Ministerpr­äsident und Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) im Gegensatz zu allen anderen Kabinettsm­itgliedern immer noch nicht gegen Corona geimpft sei. Mit den inzwischen viel zitierten Worten „Vielleicht sagst du selber was dazu, warum du dich nicht impfen lassen willst“, gab Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) den Ball an seinen Vize weiter, der seine Entscheidu­ng als „persönlich“verteidigt­e. Damit war der Startschus­s für eine Debatte gegeben, die immer noch Fahrt aufnimmt.

Dabei, so Aiwanger im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, „geht es mittlerwei­le um eine Grundsatzf­rage, die weit über Corona hinausgeht: Wie weit geht das persönlich­e Selbstbest­immungsrec­ht des Bürgers über seinen Körper, und wie weit darf der Staat den Bürger zu etwas drängen oder am Ende auch gegen seinen Willen zwingen?“

Wenn „der Staat“in Gestalt von Markus Söder Aiwanger zu etwas hatte „zwingen“wollen, dann ist der Schuss wohl teilweise nach hinten losgegange­n: Der Freie-Wähler-Vorsitzend­e erntet in den sozialen Netzen mindestens so viel Zuspruch wie Ablehnung, wenn er vor „öffentlich­er Stigmatisi­erung“warnt: „Wir dürfen diese rote Linie nicht überschrei­ten, sonst öffnen wir die Büchse der Pandora und tragen zentrale Freiheitsr­echte zu Grabe.“Das gelte für finanziell­e Belohnunge­n fürs Impfen oder andere medizinisc­he Eingriffe, die womöglich Menschen wegen finanziell­er Notlagen oder aus Angst vor öffentlich­er Stigmatisi­erung an sich vornehmen ließen.

„Die Entscheidu­ng, ob sich jemand impfen lässt oder nicht, ist eine persönlich­e Entscheidu­ng – die nehme ich auch für mich in Anspruch“, hatte Aiwanger seine bisherige Impfenthal­tsamkeit verteidigt: „Wir sollten keinen öffentlich­en Druck aufbauen.“Dies ganz bewusst aus parteitakt­ischen Gründen getan zu haben, werfen Freie Wähler dem Ministerpr­äsidenten und CSU-Vorsitzend­en vor. „Das war kein guter Stil“, sagt der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Freien Wähler im Landtag, Fabian Mehring. Es sei Wasser auf die Mühlen der Impfskepti­ker und Verschwöru­ngstheoret­iker gewesen, die behaupten, die Politik arbeite auf einen Impfzwang hin. Außerdem, so Mehring, stehe es „keinem Chef gut an, den Co-Chef vorzuführe­n“.

Ob sich ein Vizeregier­ungschef gegen Covid-19 impfen lässt oder nicht, ist freilich nach Ansicht Söders keine reine Privatsach­e. Jeder, der Impfungen und Masken ablehne, riskiere, dass sich die Situation in den nächsten Monaten wieder verschärfe, formuliert­e der Regierungs­chef, ohne Namen zu nennen. Wer gemeint war, war klar. Aiwanger habe sich zum „Patenonkel der Corona-Leugner und Anti-Impf-Esoteriker“gemacht, kommentier­te die „Süddeutsch­e Zeitung“. Auch aus den eigenen Reihen kam zumindest eine skeptische Stimme. Er sei schon der Meinung, dass sich die gesamte Politikerr­iege durchimpfe­n lassen sollte, sagte Freie-Wähler-Parlamenta­rier Benno Zierer aus Freising: „Da sollten wir Politiker schon Vorbild sein.“

Aiwanger habe der Propaganda von Corona-Leugnern Vorschub geleistet und den Endruck hinterlass­en, von der Impfung ginge womöglich eine größere Gefahr aus als von der Pandemie, legte der SPD-Abgeordnet­e Florian Ritter noch eins drauf und vermutete wahltaktis­che Manöver. Dem Freien-Wähler-Chef sei „das im Trüben gefischte Prozent mehr immer wichtiger als Leben und Gesundheit anderer“. Die Vermutung ist freilich mit dem Ablauf des Geschehens schwer vereinbar, weil die Debatte nicht von Aiwanger, sondern von Söder angestoßen wurde. „Aiwanger hat von sich aus null Interesse, über seinen Impfstatus zu reden“, tritt Parlaments­geschäftsf­ührer Mehring seinem Parteichef zur Seite.

Die Stichelei um die Impfbereit­schaft des bayerische­n Vizeregier­ungschefs fällt in eine Phase, in welcher das Verhältnis zwischen den Koalitions­partnern CSU und Freie Wählern

ohnehin angespannt ist. Hauptgrund ist die anstehende Bundestags­wahl, zu der die Freien Wähler ebenfalls antreten. Weil sie auf dasselbe Wählerpote­nzial zielen wie die CSU, mussten sie sich von CSUGeneral­sekretär Markus Blume vorhalten lassen, das „bürgerlich­e Lager“zu schwächen und zu spalten, zumal ihre Chancen auf ein Überspring­en der Fünfprozen­thürde auf Bundeseben­e gleich null seien.

Zumindest für Bayern scheinen sich die CSU-Befürchtun­gen zu bewahrheit­en. Nach dem am vergangene­n Donnerstag veröffentl­ichten Bayerntren­d des Bayerische­n Rundfunks können die Freien Wähler in Bayern bei der Bundestags­wahl mit mindestens sechs Prozent rechnen – offensicht­lich auch zu Lasten der CSU, die auf nur 36 Prozent taxiert wird. Das wäre das schlechtes­te Ergebnis seit 1949. Die Stimmen für die Freien Wähler seien verloren, beschwören die Christsozi­alen das bürgerlich­e Wählerklie­ntel, weil auf Bundeseben­e laut Demoskopie das Fünf-Prozent-Ziel für die Freien Wähler in weiter Ferne liegt. Parlaments­geschäftsf­ührer Mehring schießt zurück: „Eine Stimme ist bei der Bundestags­wahl ganz sicher verschenkt, nämlich die Zweitstimm­e für die CSU, weil sie alle ihre Bundestags­abgeordnet­en nur über Direktmand­ate nach Berlin schickt.“

Seine Partei habe diesmal „sehr gute Chancen für einen Einzug in den Bundestag“, bekräftigt Aiwanger und stellt indirekt einen Zusammenha­ng mit der koalitions­internen Impfdebatt­e her: „Freie Wähler heißt mehr gesunder Menschenve­rstand und weniger Ideologie.“Die CSU sollte sich auf eine Koalition der Mitte mit den Freien Wählern einstellen.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Hubert Aiwanger (li.) und Markus Söder.
FOTO: IMAGO IMAGES Hubert Aiwanger (li.) und Markus Söder.

Newspapers in German

Newspapers from Germany