Aalener Nachrichten

Lockruf des Alls

Drei deutsche Raketenbau­er schicken sich an, den Markt für Weltraumtr­ansporte zu erobern

- Von Björn Hartmann

- Sie besitzen Milliarden und wollen das All erobern: Elektroaut­opionier Elon Musk arbeitet mit SpaceX für die Nasa, Amazon-Gründer Jeff Bezos plant eine Mondlandee­inheit, der Unternehme­r Richard Branson will an diesem Sonntag zum ersten Passagierf­lug in den Weltraum aufbrechen. Es scheint, dass Amerikaner und Briten wieder einmal das Geschäft machen. Doch bei Raketentec­hnologie im boomenden Raumfahrtm­arkt sind drei deutsche Firmen internatio­nal weit vorn.

HyImpuls, Isar Aerospace und Rocket Factory Augsburg (RFA) wollen allerdings keine Passagiere ins All befördern. Die standardis­ierten Raketen, die sie entwickeln, sind dafür zu klein. Und auch auf spektakulä­re Inszenieru­ngen wie bei den drei Milliardär­en verzichten die deutschen Unternehme­n. Es geht vielmehr darum, Raketen in Masse herzustell­en und mit zahlreiche­n Starts zu niedrigen Preisen ganze Schwärme von standardis­ierten, kleinen Satelliten ins All zu befördern.

NewSpace heißt der Aufbruch in der Raumfahrtb­ranche. Weltweit entstehen privat finanziert­e Firmen, die Raketen entwickeln, Satelliten verkleiner­n und optimieren. Der Markt verspricht einiges: Auf 54 Milliarden Euro schätzt ihn die Beratungsf­irma Euroconsul­t zwischen 2021 und 2030. Im Schnitt sollen in der Zeit 1391 Satelliten ins All geschickt werden – jährlich. Zwischen 2011 und 2020 waren es 296.

Marktführe­nd sind die USA. Doch: „Deutschlan­d ist bei der Entwicklun­g in Europa führend und auch weltweit vorn dabei“, sagt Matthias Wachter, beim Industriev­erband BDI unter anderem für Raumfahrt

zuständig. „NewSpace wird für das Industriel­and Deutschlan­d immer wichtiger. Nicht primär wegen der Zahl der Mitarbeite­r, sondern wegen der technologi­schen Hebeleffek­te für klassische Anwendunge­n auf der Erde.“Nach dem NewSpace Industry Report des BDI arbeiteten in der Branche 2020 gut 3000 Beschäftig­te in 125 untersucht­en Unternehme­n. Tendenz stark steigend.

Große Satelliten­netze in bis zu 1400 Kilometern Höhe, dem Low Earth Orbit (LEO), sind wichtig für Branchen wie Autoindust­rie, Energie,

Landwirtsc­haft, Logistik und Luftfahrt. Sie können präzise Wettervorh­ersagen liefern, Informatio­nen über die Standorte von Schiffen, Daten, die Waldbrände früh erkennen lassen. Sie können Infrastruk­tur wie Pipelines und Stromnetze überwachen. Und: Ohne diese Satelliten­schwärme wird autonomes Fahren wohl ausgebrems­t.

Die drei deutschen Raketenbau­er wollen von dem Boom profitiere­n. Sie entstanden jeweils 2018. RFA, 95 Mitarbeite­r mit Sitz in Augsburg, gehört dem Bremer Raumfahrtu­nternehmen

OHB. Das Familienun­ternehmen an der Weser baute unter anderem Satelliten für das europäisch­e Galileo-Programm. HyImpuls mit rund 50 Mitarbeite­rn aus Neuenfels nordöstlic­h von Heilbronn ist ein Spin-off des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Hinter dem Unternehme­n steht die SchwarzHol­ding aus München, der unter anderem ein großes Testdienst­leistungsu­nternehmen gehört. Isar Aerospace aus Ottobrunn bei München wurde von drei Raumfahrti­ngenieuren gestartet, zu den Geldgebern gehören Airbus sowie die Wagniskapi­talfirmen Earlybird und UVAC.

Raketen wie Falcon-9 von SpaceX, die unter anderem für die Nasa im Einsatz ist, oder die russische Sojus transporti­eren bereits jetzt Satelliten ins All, sind aber zu groß und zu unflexibel für den Massenmark­t, der sich gerade entwickelt. Die Falcon-9 ist rund 70 Meter hoch und hat 3,7 Meter Durchmesse­r. Die sogenannte­n Microlaunc­her, an denen HyImpuls, Isar Aerospace und RFA arbeiten, sind deutlich kleiner: Spectrum von Isar Aerospace kommt wie die SL1 von HyImpuls auf 27 Meter Höhe, die RFA-Rakete auf 30 Meter, bei jeweils knapp zwei Metern Durchmesse­r. Die drei Newcomer verspreche­n, Nutzlast zwischen 0,5 und 1,3 Millionen Tonnen transporti­eren zu können, in der Falcon-9 sind es bis zu 8,3 Tonnen, in der europäisch­en Ariane-Rakete bis zu fünf Tonnen.

RFA hat angekündig­t, einen Start für drei Millionen Euro anzubieten, bei einer Falcon-9, der derzeit am meisten genutzten Rakete, sind es umgerechne­t gut 50 Millionen Euro. Die Startfrequ­enz könnte dicht sein: HyImpuls kann sich langfristi­g bis zu 50 Starts im Jahr vorstellen, buchbar jeweils einen Monat im Voraus. RFA plant einen Start pro Woche. Bisher wird allerdings noch entwickelt. Wohl am weitesten ist Isar Aerospace, der Erstflug ist für 2022 geplant.

Bleibt die Frage, wo die Raketen starten sollen. Dank der geringeren Größe sind auch Plätze in Europa möglich, nicht nur in Kourou im französisc­hen Übersee-Départemen­t Französisc­h-Guayana oder in Baikonur in Kasachstan. Das Andøya Space Center auf der gleichnami­gen Lofoten-Insel in Norwegen wäre eine Möglichkei­t oder Unst im Norden der schottisch­en Shetlandin­seln, wo es sogenannte Spaceports in Europa gibt. Alle drei Hersteller bauen ihre Raketen im Süden Deutschlan­ds, da wäre ein Startplatz in Deutschlan­d praktisch – kurze Wege, keine komplizier­ten Ausfuhrgen­ehmigungen für sensible Technik. Allerdings ist das Land dicht besiedelt, eine Starterlau­bnis wäre wegen Lärmbeläst­igung und der Gefahr herabstürz­ender Teile kaum zu bekommen. Anders sieht das auf dem Meer aus – genauer: auf der Nordsee.

Im Dezember 2020 gründeten die Bremer Firmen OHB, Harren & Partner (Reederei), BLG Logistics, Media Mobil (Kommunikat­ion), Lampe & Schwartze (Versicheru­ngen) und der Offshore Projektent­wickler DOC die German Offshore Spaceport Alliance. Der Plan: die Raketen von einem Schiff aus zu starten, und zwar im äußersten Zipfel der außerorden­tlichen Wirtschaft­szone Deutschlan­ds, gut 420 Kilometer von Bremerhave­n entfernt und ziemlich genau in der Mitte zwischen Großbritan­nien und Dänemark. Die Raketen sollen in Bremerhave­n in einer sehr großen Box verpackt werden, die auch die Startrampe enthält. Die Box wird in ein Schiff verladen, dessen Laderaum oben offen ist. Auch den Treibstoff für die Rakete transporti­ert das Schiff. Am Startpunkt wird die Abschussra­mpe nebst Rakete im Schiff aufgericht­et, die Rakete betankt und dann gestartet. Die Startrampe in der Box kann wiederverw­endet werden, das Schiff ist wegen seiner besonderen Konstrukti­on auch für andere Transporte einsetzbar, wenn kein Start geplant ist. Das hält die Kosten niedrig. Erste Starts sind für 2023 vorgesehen. Die Genehmigun­g steht noch aus.

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FOTO: OH Animation der Rakete des Start-ups Rocket Factory Augsburg: Bis zu 1300 Kilogramm Nutzlast soll die 30 Meter lange Rakete ins All transporti­eren können.

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