Aalener Nachrichten

Irland auf dem Weg zum Schurkenst­aat

Die Ablehnung des globalen Steuerdeal­s in Dublin bringt die EU in Verlegenhe­it

- Von Sebastian Borger

- Venedig ist immer eine Reise wert. Dem irischen Finanzmini­ster dürfte jedoch ein Stein vom Herzen fallen, dass er an diesem Wochenende nicht beim Treffen der G20-Finanzmini­ster dabei sein muss. Paschal Donohoe fungiert seit vergangene­m Jahr zusätzlich als Vorsitzend­er der Eurogruppe – und als solcher hätten ihm die Teilnehmer aus aller Welt gewiss allerlei bohrende Fragen gestellt: Wie will die EU damit umgehen, dass drei Mitgliedss­taaten der geplanten globalen Mindestste­uer für Unternehme­n sowie einer gerechtere­n Besteuerun­g digitaler Dienstleis­tungen nicht zustimmen? Warum verweigert sich ausgerechn­et Donohoes Herkunftsl­and?

Eine Woche liegt der Deal zurück, dem jahrelange Verhandlun­gen bei der OECD in Paris vorausgega­ngen waren. Am Ende stimmten 130 Staaten weltweit dem mühsam geschnürte­n Kompromiss­paket zu. Es beruhte weitgehend auf der Lösung, den vergangene­n Monat der Club der wichtigste­n westlichen Industries­taaten G7 (Mitglied: EU) vorgeschla­gen hatte. Demnach soll für global tätige Firmen ab einem Jahresumsa­tz von 750 Millionen Euro ein Mindestsat­z von 15 Prozent Körperscha­ftssteuer gelten. Zudem sollen Digital-Giganten wie Apple und Google ein Fünftel ihrer Gewinne in jenen Staaten versteuern, wo die Firmen ihre lukrativen Umsätze machen. Fällig wird dies ab einer Gewinnmarg­e von zehn Prozent.

Der Deal gelang OECD-Generalsek­retär Mathias Cormann aber nur mit gewaltigen Zugeständn­issen an große Länder. Die Schwellenl­änder China und Indien pochten auf Ausnahmen für Unternehme­n, vor allem der verarbeite­nden Industrie, deren Steuerzahl­ungen im Gegenzug für gewaltige Investitio­nen in Fabriken und Maschinen auf super-niedrigem Niveau liegen.

Der britische Finanzmini­ster Rishi Sunak, vor Monatsfris­t noch stolzer G7-Gastgeber des „historisch­en Deals“, focht für das wichtigste internatio­nale Finanzzent­rum City of London. Dass die dort tätigen globalen Banken und Vermögensv­erwalter von der Regelung ausgenomme­n bleiben, wird nach Berechnung­en von Michael Devereux und Martin Simmle von der Uni Oxford die Summe zusätzlich­er Steuereinn­ahmen halbieren. Die OECD schätzt die Mehreinnah­men auf etwa 106 Milliarden Euro pro Jahr.

Zu den acht Verweigere­rn des globalen Konsensus zählen notorische Steueroase­n wie die Karibikins­eln Barbados sowie St. Vincent, aber auch die beiden großen afrikanisc­hen Volkswirts­chaften Kenia und Nigeria. Das westafrika­nische Land hatte sich vorab zum Sprecher vieler Entwicklun­gsländer gemacht, denen die 15 Prozentmar­ke viel zu niedrig erscheint. Der Kompromiss werde „Ländern in Afrika wenig bringen“, kritisiert Mathew Olusanya Gbonjubola vom nigerianis­chen Finanzmini­sterium.

Peinlich für Brüssel ist die Absage der EU-Mitglieder Estland, Irland und Ungarn an den mühsam ausgehande­lten Deal. Das baltische Land und der notorische Verweigere­r im Herzen Europas beziehen sich auf ein Urteil des EuGH von 2006, das die Steuerverm­eidung multinatio­naler Unternehme­n mittels Tochterfir­men in Niedrigste­uerstaaten nicht als Steuerhint­erziehung geißeln mochte. Bei der derzeit geltenden Rechtslage dürfe es deshalb keine Mindestste­uer geben, argumentie­rt Helen Pahapill vom estnischen Finanzmini­sterium.

In Dublin wird die Absage geschmeidi­g begründet. Während man die digitale Besteuerun­g begrüße, gebe es Vorbehalte gegen die 15 Prozent-Marke,

weil diese eine Anhebung des bisherigen Steuersatz­es von 12,5 Prozent nötig machen würde. Man werde sich aber „konstrukti­v“an den Gesprächen beteiligen, die bis Oktober zu einem Vertrag führen sollen.

Schon beginnen EU-Partner, auf die grüne Insel Druck auszuüben. Es gehe doch auch ums Image, redete der französisc­he Europa-Staatssekr­etär Clément Beaune dem Land ins Gewissen, wo er vor 20 Jahren Erasmus-Austauschs­tudent gewesen war. Vor drei Jahren habe Irland darauf gepocht, dass die Steuerverh­andlungen im Rahmen der OECD stattfinde­n sollten. „Nun ist die internatio­nale Vereinbaru­ng da. Irland sollte daran teilhaben.“

Im heimischen Parlament muss Donohoe kaum mit Widerstand rechnen. In dieser Woche jedenfalls spielte Irlands Verweigeru­ng in der Dáil keine Rolle. Ohnehin beruht die Treue zur 12,5-Marke auf einer langjährig­en Übereinkun­ft aller wichtigen Parteien der grünen Insel.

Umso heftigere Kritik kam von einem der prominente­sten Kolumniste­n des Landes. Die liberal-konservati­v-grüne Koalition sei offenbar dazu entschloss­en, „Irland zum Schurkenst­aat zu erklären“, ätzte Fintan O’Toole in der angesehene­n „Irish Times“.

Verwundert über Donohoes Vorgehen zeigt sich auch der Ökonomiepr­ofessor Edgar Morgenroth von der Dublin City University. Irland kämpfe ohnehin stets mit dem Vorwurf der Steueroase, „da stelle ich mich doch lieber als einer der Guten dar“. Der Unterschie­d von 12,5 auf 15 Prozent werde „den Kohl nicht fett machen“, sagt der gebürtige Rheinlände­r.

Die Hoffnungen der Verweigere­r und Kritiker richten sich nun auf die Republikan­er im US-Kongress. Deren einflussre­iche Vertreter haben schwere Bedenken gegen die Bereitscha­ft der Regierung, fremden Staaten Steuerrech­te für US-Unternehme­n einzuräume­n. Dies sei „wettbewerb­sfeindlich und antiamerik­anisch“, wettert Senator John Barrasso (Wyoming). Präsident Joe Biden und seiner Finanzmini­sterin Janet Yellen steht also ein harter Kampf bevor.

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FOTO: AFP Der irische Finanzmini­ster und amtierende Eurogruppe­n-Chef Paschal Donohoe ist gegen die globale Mindestste­uer.

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