Mission klimaneutrales Wohnzimmer
Deutschland muss in den kommenden Jahren Millionen von Öl- und Gasheizungen ersetzen, um seine Kohlendioxid-Ziele zu erreichen – Das wird teuer und aufwendig, und die Zeit drängt
- Ein Reihenmittelhaus in der Ravensburger Weststadt, Baujahr 1963. Rund 130 Quadratmeter Wohnfläche. Gedämmtes Dach, wärmeisolierte Fenster. Als Heizung im Keller eine moderne, hocheffiziente Gastherme aus dem Jahr 2015. Im Vergleich zu Hunderttausenden anderen Wohngebäuden in Deutschland ein im Hinblick auf die ehrgeizigen Klimaziele der Bundesrepublik vorbildliches Heim – und zwar mit den von Millionen von Bundesbürgern ersehnten drei G: Garten, Garage, Gäste-WC. Wenn man die erwähnten Ziele allerdings ernst nimmt, ist das Haus eine Dreckschleuder. Zur Wärmeerzeugung verbrennt die Heizungsanlage Erdgas – und gibt klimaschädliches Kohlendioxid in die Atmosphäre.
Bei der Frage, ob es gelingt, dass Deutschland von 2045 wirklich nur noch so viel Treibhausgas ausstößt, wie die Natur wieder aufnehmen kann, ist der Blick auf Wohnblocks in Mannheim, Mehrfamilienhäuser in Friedrichshafen, Bürokomplexe in Ulm, Werkshallen in Stuttgart und Aussiedlerhöfe im Allgäu entscheidend. Denn nach Angaben des Umweltbundesamts geht fast 30 Prozent des deutschen Energieverbrauchs dafür drauf, Häuser, Hallen und Gebäude in der Bundesrepublik so zu heizen, dass in ihnen gelebt und gearbeitet werden kann. Private Haushalte verwenden sogar zwei Drittel ihrer Energie für Wohlfühltemperaturen in Wohnzimmer, Küche und Bad – und diese Energie kommt zu mehr als 80 Prozent aus klimatechnisch fragwürdigen Anlagen wie der Therme des oberschwäbischen Reihenhauses. Aus Öl- und Gasheizungen oder mit fossilen Brennstoffen betriebenen Nah- und Fernwärmenetzen.
Die Umstellung von Millionen von Heizungen ist eine Mammutaufgabe – und sie wird aufwendig und schwierig. „Klimaneutralität im Gebäudebereich gehört zu den größten Herausforderungen auf dem Weg zu einer klimaneutralen Bundesrepublik 2045“, sagt der Direktor der Berliner Denkfabrik Agora Energiewende, Patrick Graichen, der „Schwäbischen Zeitung“. „Denn dafür muss jedes Haus in den nächsten 23 Jahren einmal angefasst und saniert werden.“Für den 49-jährigen Umweltökonomen ist bei dieser sogenannten Wärmewende mehr zu tun als bei der Energieund Verkehrswende. Nicht zuletzt deshalb, weil der Wechsel von
Öl- und Gasheizungen auf klimafreundliche Wärme wesentlich schwieriger zu organisieren ist als die Umstellung von dreckigem auf grünen Strom. Da reicht die Kündigung des Liefervertrags und der Abschluss eines neuen bei einem Ökostromanbieter. Hinzu kommt, der Umbau kostet – und birgt große Konflikte. Auf Hausbesitzer mit funktionierenden Heizungen kommen große Investitionen zu, Mieter können bei der Frage gar nicht mitreden.
Für viele Politiker hat das Thema bislang aber kaum stattgefunden – über neue Stromtrassen, Windräder und den Schutz des Rotmilans, die beste Technik für die Elektroautos oder in Deutschland produzierte Batterien streiten Regierung und Opposition seit Jahren leidenschaftlich. Die Frage, wie ein 1973 gebautes Einfamilienhaus auf der Ostalb oder ein Mietshaus in Ulm künftig klimafreundlich mit Wärme versorgt wird, blieb dagegen in der Regel außen vor. Für Patrick Graichen „ganz klar ein Versagen der Politik“. Die Bundesregierung „hat den Gebäudebereich bislang vernachlässigt, weil sie zum einen gescheut hat, klare Standards und Regeln zu setzen – und das zum anderen natürlich ein Kostenthema ist“, erläutert Graichen. „Das Ergebnis ist, dass der Gebäudesektor 2020 trotz Corona als einziger Bereich sein Klimaziel verfehlt hat.“
Angesprochen auf die Versäumnisse grummelt BadenWürttembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), weiß dabei aber sehr wohl, dass die Kritik im Kern richtig ist. „Man redet bei den Kohlendioxid-Emissionen immer nur über Dinge wie innerdeutsche Flüge, dabei machen die nur einen Bruchteil der Emissionen aus. In der Tat läuft das Thema Wärmewende viel zu sehr unter dem Radar“, sagte Kretschmann am Dienstagabend beim baden-württembergischen Wirtschaftspresseclub.
Und die Kosten? Die sind immens. Graichen und sein Team gehen davon aus, dass etwa zwölf Milliarden Euro jährliche Fördermittel zusätzlich nötig sind, um Deutschland bis 2045 auf eine klimaneutrale Wärmeversorgung umzustellen. Das sei mehr als eine Verdreifachung des bisherigen Fördervolumens. „Der Handlungsdruck ist enorm. Die Regierung muss einen tiefgreifenden Infrastruktur- und Technologiewandel sozialgerecht gestalten, der fast die gesamte Bevölkerung unmittelbar betrifft“, sagt Patrick Graichen. „Gerade in Zeiten mit aufgeheizten Mietendiskussionen sind Kostenfragen, die die eigenen vier Wände betreffen, ein sensibles Thema.“
Dabei drängt die Zeit: Damit der Treibhausgasausstoß von Häusern in Deutschland bis 2045 auf null sinkt, muss dieser bereits bis 2030 nahezu halbiert werden. Graichen fordert deshalb gleich nach der Bundestagswahl einen Fahrplan für die Umstellung, einen „Gebäudekonsens, auf den sich Wirtschaft, Mieter und Mieterinnen, Staat und Zivilgesellschaft verständigen können und der Kosten und Nutzen über alle Gruppen ausgeglichen verteilt“.
Einen Vorschlag hat Graichens Teams gemeinsam mit der Stiftung Klimaneutralität schon gemacht und vor vier Wochen ein „Sofortprogramm für klimafreundliche Häuser“vorgestellt. Es wäre eine Revolution: Von 2024 an wäre demnach der Einbau von neuen Öl- und Gasheizungen verboten – sowohl in Neubauten als auch in bestehenden Gebäuden. Da Mieter bei der Frage nach der Heizung nichts zu melden haben, sieht der Vorschlag vor, dass die Vermieter allein die neue Kohlendioxidsteuer zahlen, um Anreize zur Modernisierung zu setzen. Dazu kommt die Ausweitung der Förderung von energetischen Sanierungen und die Befreiung des Strompreises von Abgaben und Umlagen: Ziel sind sinkende Kosten für Strom, damit die Wärmewende bezahlbar bleibt.
Doch wenn kokelnde Öl- und Gasheizungen die alte Welt sind, was ist die neue? Mit welcher Technik sollen die Menschen 2045 ihre Wohnungen und Häuser warm bekommen? Patrick Graichen gibt sich da ganz gelassen. „Wir brauchen keine neue Technologien, alles, was wir benötigen, ist bereits vorhanden.“Sprich: Wärmepumpen für Ein- und Zweifamilienhäuser. Sowie Nah- und Fernwärmenetze für städtische Metropolregionen.
Die elektrisch betriebenen Wärmepumpen nehmen Umgebungswärme aus dem Erdboden oder der Luft auf und nutzen sie zum Heizen. Kern ist eine Anlage, in der ein Kältemittel in einem Kreislauf verdampft und wieder komprimiert wird, dabei wandelt sie die Wärme aus der Außenluft oder dem Boden in Energie um, die in die Heizungen der Wohnräume gegeben wird.
Hans Strobel beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit der Technologie. Der 58-Jährige ist der erste Technische Außendienst der GCGruppe, zu der auch das Unternehmen Schuster-Haustechnik im oberschwäbischen Weingarten gehört. „Man kann alle Häuser mit Wärmepumpen ausstatten – nur bei extrem alten und schlecht gedämmten Häusern schaffen es Wärmepumpen nicht, sie warm zu bekommen“, sagt Strobel. „In meiner Erfahrung waren das im Raum Bodensee-Oberschwaben-Allgäu aber in den vergangenen Jahren nur ganz, ganz wenige Fälle.“
Das Problem: In der Regel werden Wärmepumpen ineffizient, wenn sie für einen Heizkreislauf höhere Temperaturen als 55 Grad Celsius liefern müssen. Öl- und Gasthermen arbeiten allerdings oft mit höheren Vorlauftemperaturen. In den allermeisten Fällen könne das aber mit größeren Heizkörpern gelöst werden. „Denn je größer die Wärme abgebende Fläche desto niedriger kann die Vorlauftemperatur sein“, erläutert Strobel. Und wenn die Vergrößerung der Heizkörper nicht reiche, allenfalls eine Fußbodenheizung die nötige Fläche schaffe, dann sei die Substanz so schlecht, dass zuerst die Dämmung des Hauses optimiert werden müsse. „Ich habe bislang nie Probleme gehabt, in einem Altbau eine Wärmepumpe zu installieren, man muss sich die Gegebenheiten eben genau anschauen“, erläutert Strobel. „Wie gut die neuen Generationen von Wärmepumpen bezüglich Leistung, Effizienz und Lautstärke geworden sind, ist phänomenal.“
Auch Joachim Krimmer, der Präsident der Handwerkskammer Ulm, hält die Technik der Wärmepumpe inzwischen für ausgereift. „Bei Häusern mit Fußbodenheizung funktioniert der Einbau völlig problemlos“, erklärt Krimmer. Müssen allerdings die Heizkörper getauscht werden, komme das zu den Kosten für die Wärmepumpe noch hinzu. Der Preis einer solchen Anlage mit einer Leistung von acht Kilowatt für ein freistehendes, neu gebautes Einfamilienhaus mit 140 Quadratmetern und Fußbodenheizung liegt dabei bei etwa 15 000 Euro.
Klar ist allerdings auch, dass die Wärmepumpen für die Klimawende nur so gut sind, wie der Strom grün. Agora Energiewende schätzt den zusätzlichen Strombedarf für die Wärmewende auf 90 Terawattstunden. „Das sind 15 Prozent unseres heutigen Strombedarfs, also verkraftbare Mengen, die wir problemlos innerhalb Deutschlands herstellen können“, sagt Patrick Graichen. „Aber völlig klar: Gerade aufgrund der zusätzlichen Strombedarfe aus dem Gebäudesektor muss der Ausbau der erneuerbaren Energien massiv vorangetrieben werden.“
Neben Wohnhäusern mit Wärmepumpen wird es – so die Vorstellung von Agora Energiewende – 2045 vor allem in städtischen Regionen Nahund Fernwärmenetze geben. Dabei wird Wasser an zentraler Stelle mit erneuerbarer Energie, mit industrieller Abwärme oder durch Müllkraftwerke erhitzt und dann über unterirdisch verlegte Rohre zu den Wohnhäusern geleitet.
Die Gastherme im Keller des Reihenhauses in der Ravensburger Weststadt könnte durch eine AchtKilowatt-Wärmepumpe ersetzt werden. In diesem Fall stände eine 1,3 mal 1,2 mal 0,6 Meter große Kiste im Garten. Oder das Haus könnte über das Nahwärmenetz die Technischen Werke Schussental beheizt werden, das das Versorgungsunternehmen zur Zeit in der oberschwäbischen Stadt saniert. Dann wäre die Wärme allerdings erst perspektivisch klimaneutral: Denn noch nutzt das angeschlossene Kraftwerk zu 60 Prozent fossile Brennstoffe.
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