Nebenwirkungen von Medikamenten einschätzen
Kopfschmerzen, Bluthochdruck oder Heuschnupfen – Tabletten haben neben den erhofften manchmal auch unerwünschte Effekte
Keine Wirkung ohne Nebenwirkung, heißt es. Wer die Beipackzettel vieler Medikamente studiert, stellt fest, dass an dem Ausspruch durchaus etwas dran ist. Doch was heißt das für den Gebrauch der Arzneimittel und wie trifft man die Abwägung? Expertinnen beantworten die wichtigsten Fragen rund um das Thema Nebenwirkungen – und geben Tipps, wie man sie etwas abmildern kann.
Keine Wirkung ohne Nebenwirkung – stimmt das wirklich? Jein, sagt Corinna Schaefer. Sie leitet beim Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) die Abteilungen Evidenzbasierte Medizin und Leitlinien sowie Patienteninformation. „Jedes Mittel mit einer Wirkung kann eine Nebenwirkung haben, die muss aber nicht zwangsläufig auftreten. Das Potenzial ist immer da.“So sieht es auch Ursula Sellerberg von der Bundesapothekerkammer und sagt: „Wenn etwas beworben wird als nebenwirkungsfrei, dann ist äußerste Skepsis angebracht.“
In der Fachsprache werden Nebenwirkungen als unerwünschte Arzneimittelwirkungen, kurz UAW, bezeichnet. Manchmal mache man sich diese auch zunutze, sagt Sellerberg. So war es beispielsweise bei der ersten Generation der Antihistaminika: Sie wurden seit den 1930erJahren wirksam gegen Heuschnupfen eingesetzt. Dabei stellte man fest, dass die Mittel sehr müde machen. Heute sind sie als rezeptfreie Schlafmittel erhältlich.
Grundsätzlich seien unspezifische Beschwerden wie Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit, Magen-DarmBeschwerden oder Kopfschmerzen häufiger als schwerwiegende Nebenwirkungen, so Sellerberg. Unter den Letztgenannten versteht man Nebenwirkungen, die lebensbedrohlich oder tödlich sind, zu Behinderungen führen oder Krankenhausaufenthalte erfordern.
Die Angaben zur Häufigkeit auf dem Beipackzettel verunsichern häufig. Um Klarheit zu gewinnen, hilft zunächst ein Blick auf die Zahlen. „Sehr häufig“bedeutet, dass im Schnitt einer von zehn Patienten betroffen ist – also zehn Prozent. „Häufig“meint, dass zwischen ein und zehn von 100 Patienten betroffen sein können – also zwischen ein und zehn Prozent. „Gelegentliche“Nebenwirkungen treten demnach bei ein bis zehn von 1000 Patienten auf – das sind zwischen 0,1 und ein Prozent der Menschen, die das Medikament einnehmen. Von „selten“spricht man bei einer Quote von einem bis zehn unter 10 000 Patienten – in Prozenten: 0,01 bis 0,1. „Sehr selten“sind sie, wenn sie höchstens bei einem von 10 000 Patienten auftreten, also höchstens in 0,01 Prozent aller Fälle.
Schaefer bezeichnet die Informationen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen im Beipackzettel als schwierig: „Die Nebenwirkungen werden in einer Art und Weise kommuniziert, dass man Angst davor bekommt“, kritisiert sie. So werde der Begriff „häufig“im Beipackzettel ganz anders verwendet, als im normalen Sprachgebrauch, erklärt Schaefer. Steht „häufig“im Beipackzettel, heißt das: Höchstens zehn Prozent bekommen diese Nebenwirkung. „Das ist im normalen Sprachgebrauch eher ab und zu“, sagt Sellerberg. Sie ergänzt: „Jede Nebenwirkung, die berichtet wurde, muss im Beipackzettel stehen. Das ist ein juristisches Dokument und Teil der Zulassung.“
Idealerweise bekommt man von der Ärztin oder dem Arzt mit der Verschreibung auch erklärt, welche Nebenwirkungen auftreten können. Wichtig sei es, nicht eigenständig die Dosis zu reduzieren, nicht das Medikament ohne Rücksprache abzusetzen oder eigenmächtig ein Medikament gegen die Nebenwirkungen einnehmen, stellt sie klar.
Wer zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit beitragen möchte, kann Nebenwirkungen auch online melden. Dafür gibt es etwa unter www.nebenwirkungen.bund.de ein gemeinsames Formular des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI).
„Ganz vermeiden kann man Nebenwirkungen nicht immer“, sagt Ursula Sellerberg. Aber manchmal lassen sie sich abmildern. Und bei einigen Arzneimitteln treten bestimmte Nebenwirkungen nur zu Beginn der Therapie auf und verschwinden im Verlauf oft von selbst. Manche unerwünschten Arzneimittelwirkungen können über den Einnahmezeitpunkt kompensiert werden. Arzneimittel, die müde machen, sollte man wenn möglich am Abend einnehmen, entwässernde Medikamente hingegen lieber morgens, so dass man in der Nacht nicht ständig auf Toilette muss, empfiehlt die Apothekerin.