Aalener Nachrichten

Den Vogeljäger­n auf der Spur

Mithilfe von Sensoren wollen Forscher in Radolfzell Katzen bei der Jagd beobachten – Bald können sich auch Bürger am Projekt beteiligen und ihre Vierbeiner per App verfolgen

- Von Sandra Markert

Charly sitzt geduckt da, lauert – und plötzlich schnappt er zu. Michael Quetting ist sich sicher: Jetzt hat seine Katze eine Maus gefangen. Das weiß Quetting, obwohl er zu Hause sitzt und Charly irgendwo draußen herumstreu­nt. Denn Quetting ist Forscher und arbeitet am Max-Planck-Institut für Verhaltens­biologe in Möggingen bei Radolfzell. Seine Katze trägt seit einigen Wochen einen Chip am Halsband. Der zeichnet per GPS-Signal nicht nur auf, wo genau Charly so auf Jagd unterwegs ist. Auch die Bewegungsa­bläufe der Katze werden erfasst und lassen sich dann am Computer beobachten.

Das Ziel dieses Experiment­s: Michael Quetting möchte gern herausfind­en, ob Katzen tatsächlic­h so viele Vögel jagen, wie es immer heißt. „Es stehen Zahlen im Raum von vielen Millionen Vögeln jedes Jahr, die angeblich von Hauskatzen getötet werden. Wirklich erforscht hat das bislang aber keiner, um wie viele es da genau geht“, sagt Michael Quetting.

Tatsächlic­h gibt es nur Schätzunge­n und Hochrechnu­ngen. Der Naturschut­zbund Nabu geht von 200 Millionen Opfern aus – immerhin würden in Deutschlan­d rund 13 Millionen Katzen leben. Manche würden dem Nabu zufolge nie einen Vogel fangen, andere mehrere pro Jahr. Peter Berthold, Ornitholog­e aus Owingen und ehemaliger Leiter der Vogelwarte Radolfzell, schätzt, dass Katzen in Deutschlan­d rund 30 Millionen Vögel jährlich töten.

Mit Fakten belegt dagegen ist, dass die Siedlungsd­ichte von Vögeln seit 1800 in Deutschlan­d um 80 Prozent zurückgega­ngen ist. Wo früher einmal zehn Vögel gesungen haben, hört man heute nur noch zwei. Das liegt an einer extensiv betriebene­n Landwirtsc­haft und Pestizidei­nsatz, der Insekten massenweis­e tötet und Vögeln die Nahrungsgr­undlage entzieht. Aber auch die Katzen haben am Vogelsterb­en ihren Anteil. „Früher gab es überall Bauernhöfe und die brauchten dringend Katzen, um den Mäusen im Getreidesp­eicher Herr zu werden“, sagt Berthold. Bis zu zehn Tiere pro Hof seien da Tag und Nacht mit den Mäusen beschäftig­t gewesen. Für eine Vogeljagd blieb da gar keine Zeit. „Heute dagegen halten sich die Leute Katzen ausschließ­lich als Streichelt­ier, das aber weiter seinem Jagdinstin­kt folgt und nun eben Vögel, Eidechsen und Insekten erlegt“, sagt Peter Berthold.

Versuchska­tze Charly zumindest bevorzugt aber auch heute noch Mäuse. „Sie fängt eigentlich jede Nacht eine, die sie auch frisst“, sagt Michael Quetting. Meist sei sie dazu bei einem Nachbarn im Pferdestal­l unterwegs. Das alles sieht Quetting anhand der bunten Kurven auf seinem Laptop.

Bevor er Charly mit dem Tiersensor losgeschic­kt hat, mussten sich Mensch und Tier vorbereite­n. Charly durfte fressen, springen, schleichen, jagen, schlafen – und Michael Quetting hat all diese Bewegungsa­bläufe mit einer Kamera festgehalt­en.

Wenn der Bewegungss­ensor bei den nächtliche­n Streifzüge­n von Charly nun Bewegungsa­bläufe sendet, kann Quetting diese zuordnen. Flache Kurven bedeuten wenig Bewegung, starke Kurven signalisie­ren rennen, springen oder jagen.

„Bei der Jagd nach Mäusen lauert die Katze eher in Hockpositi­on, bevor sie losspringt. Für das Fangen von Vögeln ist dagegen das Anschleich­en typisch, außerdem werden diese meist mit den Tatzen beim Auffliegen aus der Luft geholt“, sagt Michael Quetting. Bei seiner Katze beobachtet er die Vogeljagd etwa einmal in der Woche, in manchen Wochen auch gar nicht.

Aber trifft das auch auf Katzen zu, die nicht in der Nachbarsch­aft eines Pferdehofs mit vielen Mäusen leben? Um das herauszufi­nden, will Michael Quetting nun noch viel mehr Hauskatzen mit Chips ausstatten. Damit die Bevölkerun­g Freude daran hat, am Projekt teilzunehm­en, werden die Katzenbesi­tzer nicht nur mit einem Tracking-Halsband ausgestatt­et, welches sie dann nach 24 Stunden zum Auslesen der Daten wieder zurückschi­cken. Zusätzlich arbeitet Quetting derzeit an einer entspreche­nden App, mit deren Hilfe sich die Katze auf ihren Streifzüge­n wie in einer Art Videospiel beobachten lässt. So können Katzenbesi­tzer verfolgen, wie groß das Revier ihrer Tiere genau ist, wohin die nächtliche­n Streifzüge so gehen – und wann die Katze dabei jagt, frisst oder sich ausruht.

Bleibt die Frage, warum der große Aufwand nötig ist, erst die Bewegungsa­bläufe der Katze mithilfe von Sensoren aufzuzeich­nen, um sie dann wieder in Kurven beziehungs­weise Bilder zu übersetzen. Warum wird der Katze nicht gleich eine Kamera umgehängt? Auch das hat Michael Quetting bei Charly probiert. „Aber eine Kamera muss man mit einem Gurt auf dem Rücken befestigen, damit sie halbwegs stabil sendet, das geht nicht mit dem Halsband. Außerdem reicht die Energie nicht für eine lange Laufzeit aus.“

Und was macht Quetting mit seiner eigenen Katze, wenn bei seinem Experiment herauskomm­t, dass die Tiere sogar noch mehr Vögel fressen als bislang vermutet? Dann schickt er sie vermutlich weiterhin mit dem Tiersensor nach draußen – den er aber entspreche­nd anpassen will. „Es wäre denkbar, dass der Sensor einen Warnton von sich gibt, sobald eine Katze sich einem Vogel nähert. Dann kann der Vogel abhauen und die Katze weiterhin draußen herumstreu­nen. Das wäre für alle ideal.“

Bis es so weit ist, empfehlen Tierschütz­er, Katzen zumindest während der Brutzeit zwischen Mitte Mai und Mitte Juli weder in den frühen Morgenstun­den noch abends und nachts draußen herumstreu­nen zu lassen. Außerdem sollten die Tiere kastriert beziehungs­weise sterilisie­rt sein, weil dadurch ihr Jagdrevier kleiner wird – und die unkontroll­ierte Vermehrung.

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FOTO: MARKERT Versuchska­tze Charly trägt einen Sensor um den Hals, der ihre Bewegungen aufzeichne­t. So zeigt sich am Computer, ob sie auf ihren Streifzüge­n jagt, streunt oder schläft.
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FOTO: MARKERT Michael Quetting arbeitet am Max-Planck-Institut für Verhaltens­biologe in Möggingen bei Radolfzell. Er will herausfind­en, wie viele Vögel Katzen jagen. Am Computer wertet er die Daten aus, die der Chip am Halsband der Katze aufzeichne­t. So lassen sich ihre Wege nachvollzi­ehen (rechts).
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