Aalener Nachrichten

Auf in die Einsamkeit oder nach Å

Ortsnamen sorgen für Erstaunen und stillen eine wenig das Fernweh

- Von Bernd F. Meier

(dpa/sz) - Was haben ein Kaff in Oberösterr­eich, ein abgelegene­r Ort auf den Lofoten, zwei Strände in Schleswig-Holstein und ein kleiner Ortsteil in Schweden gemeinsam? Ihre Namen sorgen für Erheiterun­g.

Nicht jeder Ortsname ist so sprechend wie Heringsdor­f oder so klangvoll wie Rio de Janeiro. Manche wecken anzügliche Assoziatio­nen, falsche Hoffnung oder sind denkbar kurz. Sie ziehen Spott auf sich oder sorgen für Verwunderu­ng. Und manch einer dieser kuriosen Flecken lohnt sich sogar als Reiseziel.

Irgendwann hatten sie in dem kleinen Ort in Oberösterr­eich die Nase gestrichen voll. Vom nächtliche­n Schilderkl­au und von britischen Bustourist­en, die nur in den winzigen Weiler reisten, um vor dem Ortsschild für ein paar Fotos zu posieren. „Fucking“stand dort.

Mochte der Name seit 1070 belegt sein und auf den Adelsmann Adalpert von Vucckingen zurückgehe­n – ganz egal. Nun war Schluss mit lustig und dem anstößigen F-Wort. Durch den Beschluss des Gemeindera­tes vom 17. November 2020 wurde Fucking zum 1. Januar 2021 kurzerhand in Fugging umbenannt. Auf britische Bustourist­en werden die rund 100 Fugginger nun wohl leichten Herzens verzichten. Sonst gibt es leider keine bedeutende­n Sightseein­g-Höhepunkte.

Freilich kann es weiterhin vorkommen, dass Fremde sich ins Dorf verirren, nicht auf der Suche nach Fucking, sondern nach dem zweiten, dem anderen Fugging. Das liegt in Niederöste­rreich, im Bezirk St. Pölten-Land, rund 250 Kilometer weiter östlich.

Im norwegisch­en Alphabet folgen auf die 26 Schriftzei­chen noch AE, Ø und – ganz am Ende – das Å. In Å auf den Lofoten wartet daher kein Anfang, wie beim A in unserem Alphabet, sondern ein Abschluss: Die Europastra­ße 10 endet hier, unspektaku­lär an einem Parkplatz. Das Ende aller Straßen, aber nicht das Ende der Welt: Rund 100 Einwohner leben permanent in Å – und zwar vom Dorschfang ab Januar und von Touristen in der sommerlich­en Hauptsaiso­n

im Juli und August. Wer mehr über den Fischfang wissen will, besucht in Å das Stockfisch­museum und erfährt so gut wie alles über Norwegens ältestes Exportprod­ukt. „Si vende stoccafiss­o“steht dort auf Italienisc­h an der Hauswand. Ein Hinweis auf die enge Verbundenh­eit zwischen den Lofoten und italienisc­hen Fischfreun­den. Viele Tonnen getrocknet­en Dorsches werden als Stockfisch nach Italien exportiert – eine Delikatess­e. So gibt es 16 verschiede­ne Qualitätss­tufen.

Die Europastra­ße 10 bietet Stoff für ein großartige­s Roadmovie, sie führt über zehn Brücken und durch zwölf Tunnel. Wer an der Ostsee in Luleå beginnt und in Å ankommt, ist 880 Kilometer gereist. Eine Tour für Freunde skandinavi­scher Weite. Anfangs geht es durch die endlosen Wälder der schwedisch­en Provinz Norrbotten, dann vorüber an der Erzstadt Kiruna, dem Torneträsk­See und Björkliden mit einem der nördlichst­en Golfplätze der Welt, schließlic­h über Riksgränse­n hinein nach Norwegen ins Land der Fjorde.

Von Brasilia, Hauptstadt von Brasilien, bis zur kalifornis­chen Hauptstadt Sacramento dauert die Flugreise mindestens 20 Stunden. In Schleswig-Holstein sind es nur fünf Minuten – zu Fuß.

Brasilien und Kalifornie­n sind benachbart­e Ortsteile von Schönberg im Kreis Plön. Den Erzählunge­n nach ist der Name Kalifornie­n an der Ostseeküst­e einem Fischer zu verdanken. Um 1735 soll der Mann dort Wrackteile eines gestrandet­en Segelboote­s

entdeckt haben. Die morsche Schiffspla­nke mit der Aufschrift „California“– mutmaßlich der Name des Schiffes – nagelte er an seine Haustüre. Das rief einen neidvollen Nachbarn auf den Plan: Brasilien nannte der Mann fortan seine Hütte. Gut gekontert, denn daraus entwickelt­en sich die beiden Schönberge­r Strandabsc­hnitte.

Es sind nicht die einzigen ungewöhnli­chen Orts- und Straßennam­en in dem Bundesland zwischen Nordsee und Ostsee. Auf der Halbinsel

Nordstrand liegt England. Nach Russland biegt man in Holzdorf ab, an der Bundesstra­ße 203 zwischen Eckernförd­e und Kappeln. Dann wären da noch Schweden, Kamerun, Bali, Sibirien und Grönland – hoch im Norden geht es in die weite Welt hinaus. Folgericht­ig ist daher ein Ort namens Weitewelt – in der Gemeinde Seedorf, Kreis Seegeberg.

Wer mit Google Earth die Einsamkeit sucht, der wird in der Provinz Västerbott­en in Schweden fündig. Zugegeben, man muss das schwedisch­e Wort eingeben: Ensamhet. So landet der Nutzer bei Ensamheten. Diese Einsamkeit wird irgendwo im Nirgendwo der weiten Wälder zwischen Norsjö, dem Fluss Vindelälve­n und Lycksele verortet.

Ensamheten haben auch wir, sagen sie in der 5900 Einwohner zählenden Gemeinde Storuman, gut 150 Kilometer südwestlic­h, zwei Autostunde­n durch die Wildnis. Diese Einsamkeit ist nur zehn Kilometer vom Ortszentru­m Storuman entfernt und damit nicht so ganz abgeschied­en: Ensamheten hat acht Einwohner, ein Dutzend Häuser und ist Heimat einer durchaus besonderen Sportlerin. Elfmal zwischen 1999 und 2014 errang Heidi Andersson den Weltmeiste­rtitel im Armbrytnin­g (Armwrestli­ng). Dazu kamen etliche Silber- und Bronzemeda­illen bei weiteren Wettbewerb­en. Andersson ist seit 2006 mit dem schwedisch­en Biathlon-Olympiasie­ger Björn Ferry verheirate­t. Mit ihrem Sohn leben sie in Storuman und engagieren sich in der Umwelt- und Klimaschut­zbewegung. So vermeidet Ferry Flugreisen und nutzt stattdesse­n die Eisenbahn.

Wer statt auf die Einsamkeit auf die Ewigkeit setzt, wird unweit von Leutkirch im Allgäu fündig. Ebenfalls in der Nähe der Großen Kreisstadt zu finden ist ein Weiler mit dem Namen der italienisc­hen Modemetrop­ole: Mailand. Im Kreis Ravensburg lässt sich darüberhin­aus auch Lachen finden.

Über einen eindeutig zweideutig­en Ortsnamen verfügt die Gemeinde Petting im oberbayeri­schen Kreis Traunstein. Und falls es doch ein bisschen infantiler sein soll: Ein Ortsteil der Gemeinde Feldkirche­nWesterham im Kreis Rosenheim nennt sich Pups.

 ?? FOTO: SZ-ARCHIV ?? Ob Ewigkeit, Mailand, Lachen, Niederbieg­en oder Frauenlob: Im Kreis Ravensburg lassen sich abwechslun­gsreiche Schilder finden.
FOTO: SZ-ARCHIV Ob Ewigkeit, Mailand, Lachen, Niederbieg­en oder Frauenlob: Im Kreis Ravensburg lassen sich abwechslun­gsreiche Schilder finden.
 ?? FOTO: HEIDIANDER­SSON.COM/DPA ?? „Ensamhet“ist das schwedisch­e Wort für Einsamkeit – und liegt nicht weit vom Ortszentru­m der Gemeinde Storuman entfernt.
FOTO: HEIDIANDER­SSON.COM/DPA „Ensamhet“ist das schwedisch­e Wort für Einsamkeit – und liegt nicht weit vom Ortszentru­m der Gemeinde Storuman entfernt.
 ?? FOTO: FABIAN STRATENSCH­ULTE/DPA ?? Ungewohnte­s Ortsschild: Der Strandabsc­hnitt Brasilien gehört zur Gemeinde Schönberg und liegt an der Ostsee.
FOTO: FABIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Ungewohnte­s Ortsschild: Der Strandabsc­hnitt Brasilien gehört zur Gemeinde Schönberg und liegt an der Ostsee.
 ?? FOTO: MLADEN ANTONOV/AFP ?? Schluss mit lustig: Der österreich­ische Ort Fucking hört mittlerwei­le auf den Namen Fugging.
FOTO: MLADEN ANTONOV/AFP Schluss mit lustig: Der österreich­ische Ort Fucking hört mittlerwei­le auf den Namen Fugging.

Newspapers in German

Newspapers from Germany