Aalener Nachrichten

Union kontra Mindestste­uer

CDU kritisiert Einigung der G20 auf weltweiten Tarif

- Von Hannes Koch

(AFP/dpa) - Nach jahrelange­n Verhandlun­gen haben sich die Finanzmini­ster der G20Staaten am Samstag bei ihrem Treffen in Venedig auf die Einführung einer globalen Mindestste­uer für Großkonzer­ne geeinigt. Global agierende Unternehme­n sollen laut der Abschlusse­rklärung mit mindestens 15 Prozent besteuert werden. Greifen soll die Regelung voraussich­tlich ab dem Jahr 2023. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) nannte den Beschluss „historisch“. US-Finanzmini­sterin

Janet Yellen forderte angesichts der Einigung von der Europäisch­en Union, die Pläne für eine Digitalste­uer fallen zu lassen.

Vonseiten der Unionsfrak­tion kam Kritik. „Statt eines großen Schrittes hin zu mehr Steuergere­chtigkeit erleben wir genau das Gegenteil“, sagte Antje Tillmann (CDU), die finanzpoli­tische Sprecherin, in Berlin. Nun könne jeder der 132 zustimmend­en Staaten selbst bestimmen, wie hoch die Steuer ausfalle.

- Auf eine „stabilere und fairere internatio­nale Steuer-Architektu­r“haben sich die 20 wichtigste­n Industrieu­nd Schwellenl­änder geeinigt. Das sei „ein historisch­es Abkommen“, erklärten die Finanzmini­ster der G20 am Samstag in Venedig. Bisher wollen 132 Staaten mitmachen, fast drei Viertel aller Länder der Erde.

Die Vereinbaru­ng über eine internatio­nale Mindestste­uer für große Unternehme­n von 15 Prozent und eine neue Verteilung der Abgaben unter anderem von Digitalkon­zernen wie Amazon, Facebook und Google ist bisher nur eine Absichtser­klärung. In Kraft treten soll der Vertrag 2023. Die Finanzmini­ster forderten in ihrer Abschlusse­rklärung, „die verbleiben­den Fragen schnell anzugehen“und bis zum nächsten Treffen der G20 im Oktober „einen detaillier­ten Plan zur Umsetzung“vorzulegen. Zu den G20 gehören die USA, China, Russland, Europa, Brasilien, Indien, Indonesien, Südafrika und weitere Staaten.

„Das ist eine große Reform“, sagte Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD). „Sie wird dazu beitragen, dass wir besser in der Lage sein werden, die Aufgaben in unseren Ländern zu finanziere­n.“Große Unternehme­n könnten sich bald nicht mehr „mit Steuerverm­eidung ums Steuerzahl­en drücken“, so Scholz, der sich stark für das Abkommen engagiert hatte.

Antje Tillmann, die finanzpoli­tische Sprecherin der Union im Bundestag, kritisiert­e den Ansatz. „Statt eines großen Schrittes hin zu mehr Steuergere­chtigkeit erleben wir genau das Gegenteil.“Die teilnehmen­den Staaten könnten selbst wählen, ob sie die Mindestste­uer einführen, erklärte Tillmann. Außerdem würden die EU-Mitglieder Irland, Ungarn und Estland bisher nicht mitmachen. Das stelle die nötige Einstimmig­keit

zur Umsetzung in Europa infrage.

Die Vereinbaru­ng der G20 beruht auf dem sogenannte­n Zwei-SäulenMode­ll, das 139 Staaten während der vergangene­n Jahre im Rahmen der Organisati­on OECD ausgearbei­tet haben. Dabei geht es erstens um die weltweite Verteilung von Gewinnsteu­ern grenzübers­chreitend tätiger Firmen. Unternehme­n wie Facebook und Google zahlen bisher eher dort Abgaben, wo ihre Konzernzen­tralen stehen, und weniger in den Ländern, in denen ihre Kundinnen und Kunden wohnen. Europa und Deutschlan­d erhalten deshalb kaum Steuern etwa von Google, obwohl die Firma hier Milliarden verdient. Für ungefähr 100 Unternehme­n mit einem jeweiligen Umsatz ab 20 Milliarden Euro jährlich soll sich das bald ändern. Die US-Digital-Firmen müssten dann ein paar Milliarden mehr in Europa entrichten, hiesige Unternehme­n wie VW und Daimler etwas mehr in den USA oder China. Später könnte die Umsatzschw­elle beispielsw­eise auf zehn Milliarden sinken.

In der zweiten Säule geht es um die Mindestste­uer. Für internatio­nal tätige Firmen ab einem Umsatz von 750 Millionen Euro wird eine einheitlic­he Untergrenz­e von 15 Prozent eingeführt. Eine derartige Regelung gibt es bisher nicht – jedes Land macht, was es will. Wenn ein in Deutschlan­d ansässiges Unternehme­n

künftig einen Teil seiner Einnahmen im Ausland mit weniger als 15 Prozent versteuert, dürften die hiesigen Finanzämte­r bis zu dieser Grenze nachverste­uern. Das würde der Steuerverl­agerung ins Ausland und den Geschäftsm­odellen von Steueroase­n teilweise die Grundlage entziehen. Staaten wie Deutschlan­d nähmen einige Milliarden Euro jährlich mehr ein. Bis zu 8000 Unternehme­n weltweit sind angeblich betroffen. Über die Höhe der Zusatzeinn­ahmen

für die Staaten liegen bislang unterschie­dliche Schätzunge­n vor. Die OECD rechnet mit rund 130 Milliarden Euro alleine durch die Mindestste­uer. Die Steuerbeob­achtungsst­elle der EU schätzt die Mehreinnah­men für die gesamte EU auf gut 50 Milliarden Euro. Deutschlan­d könnte demnach mindestens sechs Milliarden pro Jahr mehr bekommen. Die Unternehme­nsberatung Deloitte geht dagegen davon aus, dass der Bundesfina­nzminister nicht mal eine Milliarde pro Jahr zusätzlich erhält.

Der Mindestste­uersatz von 15 Prozent soll die Untergrenz­e bilden. Die teilnehmen­den Länder können auch mehr von ihren Firmen verlangen. Die US-Regierung hat schon angekündig­t, das tun zu wollen. Dort sind 21 Prozent in der Planung. Die Europäisch­e Union will dagegen bei den 15 Prozent bleiben. Ein Grund: Irland nimmt heute nur 12,5 Prozent Gewinnsteu­er. Deswegen sitzen die europäisch­en Zentralen der US-Digitalkon­zerne dort. 15 Prozent sind ein Kompromiss, der ohnehin schon schwierig umzusetzen ist. Falls die EU keine Einstimmig­keit herstellen kann, ist allerdings ein koordinier­tes Vorgehen einer Mehrheit der Mitglieder möglich.

Im Bundesfina­nzminister­ium ist man optimistis­ch, dass die Vereinbaru­ng auch in der Praxis durchgeset­zt wird. Die Staaten, die das Abkommen unterstütz­en, repräsenti­erten 90 Prozent der Weltwirtsc­haftsleist­ung. Deswegen könne sich kein Staat der Dynamik entziehen, heißt es. Abzuwarten bleibt, welche Löcher in den kommenden Detailverh­andlungen noch eingebaut werden. Bislang sind schon internatio­nal tätige Banken von der Säule eins ausgenomme­n. Darauf hatte die britische Regierung gedrungen, die die City of London schützen will. Auch Bergbauunt­ernehmen und Reedereien sollen ähnliche Ausnahmen bekommen.

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FOTO: XANDER HEINL/IMAGO IMAGES Auf dem Weg zu neuen Ufern: Tatjana Schenke-Olivieri, die deutsche Generalkon­sulin in Mailand, und Finanzmini­ster Olaf Scholz fahren in einem Vaporetto zum G20-Gipfel in Venedig.

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