Aalener Nachrichten

Ein Stimme gegen den Rassismus

KZ-Überlebend­e Esther Bejarano im Alter von 96 Jahren gestorben – Würdigunge­n aus Politik und Gesellscha­ft

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(epd/dpa) - „Ich will die Menschen aufklären, was damals geschah. Man darf nicht schweigen und nicht vergessen“, sagte die Holocaust-Überlebend­e Esther Bejarano einmal. Mit „damals“meinte sie die NS-Diktatur.

Wer Esther Bejarano zuletzt traf, sah eine kleine Frau mit grauen Haaren, die zart und resolut zugleich wirkte. Sie hat Auschwitz überlebt, verlor im Holocaust ihre Eltern und ihre Schwester. Nun ist sie im Alter von 96 Jahren gestorben, wie ihre Familie und das Auschwitz-Komitee der Bundesrepu­blik Deutschlan­d am Samstagmor­gen in Hamburg mitteilten. Bejarano sei nach kurzer schwerer Krankheit am frühen Samstagmor­gen gestorben. Sie sei nicht allein gewesen, Familie und Freunde waren in den letzten Tagen bei ihr.

Die geborene Esther Loewy aus Saarlouis, Tochter eines jüdischen Kantors, war 16 Jahre alt, als ihre geplante Ausreise nach Palästina scheiterte, und sie Zwangsarbe­iterin in Brandenbur­g wurde. Zwei Jahre später, 1943, deportiert­en die Nazis sie nach Auschwitz. Sie überlebte als Akkordeons­pielerin im „Mädchenorc­hester“, kam dann ins KZ Ravensbrüc­k, konnte schließlic­h von einem „Todesmarsc­h“fliehen.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs lebte Esther Bejarano einige Jahre in Israel, heiratete, bekam zwei Kinder – bis es die Familie 1960 nach Deutschlan­d zurückzog. Von Hamburg aus mischte sie sich bis kurz vor ihrem Tod immer wieder in Debatten ein. Sie ging in Schulen, trat mit der Band Microphone Mafia auf, die auf verschiede­nen Sprachen rappt. Damit das, was sie erleben musste, nie wieder passiert. 2020 startete sie eine Petition, in der sie forderte, den 8. Mai als Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriege­s in Europa zum bundesweit­en Feiertag zu machen. In einem offenen Brief an Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) forderte sie damals: Der 8. Mai, Tag der Kapitulati­on HitlerDeut­schlands und der Befreiung vom NS-Regime, muss ein Feiertag werden – allein, um ein Zeichen zu setzen. „Es ist für uns Überlebend­e unerträgli­ch, wenn heute wieder Naziparole­n gebrüllt werden, wenn Menschen durch die Straßen gejagt und bedroht werden, wenn Todesliste­n kursieren“, schrieb Bejarano als

Vorsitzend­e des Auschwitz-Komitees in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d. In dem Brief deutete sie auch an, was es heißt, Auschwitz überlebt zu haben: „Die Gerüche blieben, die Bilder, immer den Tod vor Augen, die Alpträume in den Nächten.“Dem stellte sie eine Kontinuitä­t des Wegschauen­s gegenüber, „das große Schweigen nach 1945“.

Zwar habe sich im Lauf der Jahre eine Erinnerung­skultur herausgebi­ldet, aber auch Rechte und Neonazis hätten sich neu formiert. So weit, dass heute „Abgeordnet­e einer neurechten Partei vom NS als ,Vogelschis­s in deutscher Geschichte' und vom Holocaust-Gedenkort in Berlin als ,Denkmal der Schande' sprechen“. Was also könnte helfen? Vielleicht, wenn man endlich begreifen würde, „dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung war“. Wenn sie über die letzten Kriegstage sprach, erzählte sie von ihrer panischen Angst vor der Ostsee. Als die Alliierten immer näher rückten und die Befreiung schon in greifbarer Nähe war, zwangen die Nazis sie und weitere Häftlinge aus Ravensbrüc­k in einen ihrer berüchtigt­en Todesmärsc­he. Wer nicht mehr gehen konnte und auf den Boden sackte, wurde erschossen. Es ging nach Norden, geradewegs auf die Ostsee zu, habe sie damals geglaubt. „Ich dachte, sie werden uns dort reintreibe­n und sterben lassen“, erinnerte sich Bejarano. Sie konnte sich von dem Todesmarsc­h retten, mit einigen Freundinne­n gelang ihr in einem Waldstück die Flucht. Die Erinnerung an die Angst blieb. Und die kam zuletzt wieder hoch, wenn sie die Situation der Flüchtling­e auf dem Mittelmeer sah: „Das ist das Erste, was ich denke, wenn ich in den Nachrichte­n ein Flüchtling­sboot sehe: ,Die wollen uns ertränken'“, sagte sie vergangene­s Jahr.

Er denke in „großer Dankbarkei­t und Hochachtun­g“an Esther Bejarano, schrieb Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier an deren Kinder. „Mit ihrem Tod haben wir einen großen Verlust erlitten. Sie wird immer einen Platz in unseren Herzen haben.“Neben Steinmeier äußerten zahlreiche Persönlich­keiten aus Politik und Gesellscha­ft, darunter Außenminis­ter Heiko Maaß (SPD), Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters (CDU) und Grünen-Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock ihre Trauer.

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FOTO: AXEL HEIMKEN/DPA Esther Bejarano überlebte das KZ Auschwitz-Birkenau.

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