„Der digitale Euro kommt“
Markus Will über Digitalwährungen, die Schwächen des Bitcoin und die Genialität der dahintersteckenden Technologie
- Private Kryptowährungen wie Bitcoin gibt es schon, der digitale Dollar oder die digitale Gemeinschaftswährung Euro lassen dagegen noch auf sich warten. Doch das wird sich ändern, prohezeit der Kommunikationsexperte und Privatdozent an der Schweizer Wirtschaftsuniversität St. Gallen, Markus Will, im Gespräch mit Hendrik Groth, Benjamin Wagener und Andreas Knoch. Für die Verbraucher sind das gute Nachrichten.
Der Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich Agustín Carstens sagte jüngst über Bitcoins, die seien nur für zwei Dinge gut: Zum Spekulieren und für Lösegeldzahlungen. Hat er recht?
Mein Herz würde sagen, ja. Mein Verstand sieht das anders. Carstens hat insofern recht, als dass der Kursverlauf des Bitcoin nichts mit Stabilität zu tun hat – etwas, was Geld, was eine Währung auszeichnet. Und es stimmt auch, dass Lösegeldforderungen im Internet bevorzugt in Bitcoins erhoben werden, was der jüngste Angriff der Hackergruppe Revil einmal mehr bestätigt. Doch abgesehen davon steckt hinter dem Bitcoin und den ganzen anderen Kryptowährungen eine kluge Technologie, die das Zeug hat, das Geldsystem, wie wir es heute kennen, zu revolutionieren.
Erklären Sie das bitte.
Es geht um die Blockchain. Das kann man sich wie ein Kassenbuch vorstellen, in dem alle Bitcoin-Transaktionen eingetragen werden. Dieses Kassenbuch liegt nicht in einem Aktenschrank, wo es nur von ein paar Leuten eingesehen werden kann, sondern es befinden sich Tausende Kopien dieses Kassenbuchs auf Computern rund um den Globus. Sobald eine neue Transaktion in eines dieser Kassenbücher eingetragen wird, erscheint dieser Posten auch in allen anderen Kassenbüchern und wird von den Computern, auf denen die Kassenbücher gespeichert sind, authentifiziert. Erst dann ist die Transaktion gültig. Die Kontrolle liegt also in der Hand von vielen und nicht wie bisher in der Hand eines Akteurs, etwa einer Bank. Dabei bleiben die Transaktionsteilnehmer anonym, es sei denn, sie möchten erkannt werden.
Was sind die Vorteile dieser Technologie gegenüber dem konventionellen Zahlungsverkehr, der über Banken abgewickelt wird? Geldtransaktionen wie beispielsweise Überweisungen, gerade auch über Ländergrenzen hinweg, lassen sich damit schneller, kostengünstiger und einfacher abwickeln. Zu Ende gedacht ermöglicht diese Technologie sogar, ganz ohne einen zentralen Mittelsmann, also Banken, auszukommen.
Zurück zum Bitcoin, der aktuell wohl wichtigsten Digitalwährung. Braucht es angesichts der Fülle bargeldloser Zahlungsmöglichkeiten, angefangen von Debit- und Kreditkarten bis hin zu Paypal, überhaupt digitales Geld? Und wenn ja, was kann das besser?
Es sind im Wesentlichen zwei Sachen: die Transaktionsgeschwindigkeit und das Ausschalten von Mittelsmännern. Konventionelle Geldtransaktionen werden mit hochtechnologisierten Zahlungsverkehrssystemen zwar schneller, sie laufen aber nach wie vor über ein Konto bei einer Bank oder einem Finanzdienstleister. Das ist auch einer der Kritikpunkte am jetzigen Finanzsystem, dass viele Menschen auf der Welt mangels Konto dazu keinen Zugang haben. Digitales Geld hingegen braucht nur einen Internetzugang und läuft über die dezentrale Blockchain. Das ist nicht nur schneller und kommt ohne Intermediäre aus. Man kann das digitale Geld auch mit bestimmten Funktionen verknüpfen – etwa, indem man den Transaktionen Verträge anhängt.
Wie muss man sich das vorstellen?
Das kann im Kleinen der „Kühlschrank mit Prokura“sein, der selbst einkauft, und für eine Party die Musik, den Wein und die Kerzen aussucht, weil er die Vorlieben der Partygäste kennt. Das kann aber auch der Hauskauf sein, der ohne Notar auskommt, weil der Immobilienkauf innerhalb weniger Minuten fälschungssicher in einem Blockchain-basierten Grundbuch abgewickelt wird.
Geld wie wir es kennen muss drei Funktionen erfüllen: die Tauschmittelfunktion, die Funktion als Recheneinheit und die Funktion als Wertspeicher. Bitcoins werden in der realen Welt bis dato aber kaum akzeptiert. Zudem ist der Kurs hoch volatil. Taugen Kryptowährungen überhaupt als Geld?
Man sollte den Fehler nicht machen, Bitcoins als Kryptowährungen zu bezeichnen. Denn in der Tat erfüllen sie die Funktionen, die Geld gemeinhin zugeschrieben werden, nicht. Bitcoins sind viel mehr Krypto-Assets – also digitale Vermögenswerte. Und davon gibt es inzwischen deutlich mehr als nur Bitcoins. Vor allem sogenannte Stablecoins, Krypto-Assets die mit realen Vermögenswerten – beispielsweise einem Währungskorb – hinterlegt und relativ wertstabil sind, haben das Zeug zu echtem digitalen Geld.
Werden die Staaten und Zentralbanken diesem Treiben tatenlos zusehen? Immerhin bedroht das doch das staatliche Geldmonopol? Tatsächlich haben die Zentralbanken das Thema lange Zeit nicht ernst genommen. Das hat sich inzwischen geändert. Vor allem die Pläne von Facebook mit seinen weltweit über 2,5 Milliarden Nutzern, eine eigene Digitalwährung einzuführen, haben die Währungshüter aufgeschreckt. Die Notenbanken haben erkannt, dass da Wettbewerber heranwachsen, die dem staatlichen Geldmonopol gefährlich werden können. Das übrigens sollte auch beim Staat verbleiben. Die Hoheit über das Geldwesen möchte ich nicht in den Händen privatwirtschaftlicher Organisationen sehen.
Aber das ist doch genau das Argument der Bitcoin-Fans: Die Zentralbanken hätten ihr Mandat überdehnt, sie manipulieren die Zinsund Geldpolitik, betreiben illegale Staatenfinanzierung – und überhaupt ist das alles so unseriös, dass uns das ganze System über kurz oder lang um die Ohren fliegt … Zumindest Letzteres ist an den Haaren herbeigezogen. Man kann sicher die Stabilitätspolitik der EZB hinterfragen, aber nicht die Krisenpolitik:
Euro-Krise, Corona-Krise – wie anders wäre das aufzufangen gewesen als mit konzertierten, außergewöhnlichen Maßnahmen. Eine solche Schlagkraft können die Verfechter privater Kryptowährungen niemals aufbringen. Zum einen weiß niemand, wem wie viele Bitcoins gehören. Und zum anderen gibt es keine übergeordnete Organisation wie eine Zentralbank. Eine gemeinsame Willensbildung der Kryptonians wäre also gar nicht möglich. Was ich aber schon feststelle, ist ein schleichender Vertrauensverlust bestimmter Bevölkerungsschichten gegenüber dem Staat und den Zentralbanken. Dem muss man begegnen – und das kann ich noch nicht in der gebotenen Vehemenz erkennen.
Was heißt das in der Endkonsequenz? Kommt also der digitale von der EZB herausgegebene Euro?
Bis auf wenige Feldversuche wie in China oder Schweden gibt es zwar noch kein digitales, von Zentralbanken herausgegebenes Geld. Doch es steht außer Frage, dass es kommen wird. Wir werden über kurz oder lang den digitalen Euro haben. Ein solcher Euro würde dabei als zusätzliche digitale Einheit existieren und für die oben genannten smarten Onlinegeschäfte verfügbar sein.
Anders als die Übergabe eines Geldscheins beim Bezahlen an der Ladenkasse hinterlässt jede digitale Transaktion Spuren – Bedenken und Kritik von Datenschützern wären bei der Einführung von digitalem Geld sozusagen vorprogrammiert. Wie soll der Schutz der Privatsphäre sichergestellt werden? Technisch bekommt man das hin, es ist eine Frage des Wollens. Man könnte das organisieren wie das Bankgeheimnis. Das Datengeheimnis wäre das neue Bankgeheimnis. Der digitale Euro könnte beispielsweise so ausgestaltet werden, dass alle Transaktionen bis zu einem beliebigen Schwellenwert – etwa 1000 Euro – vollkommen anonym und nicht nachvollziehbar sind, und Transaktionen erst über dieser Schwelle namentlich hinterlegt werden müssten. Aber genau das wollen die Kryptonians natürlich nicht. Eine solche Regel kann niemand anderes setzen als der Staat.