Aalener Nachrichten

Abschied nicht nur in Harmonie

- Von Claudia● Kling c.kling@schwaebisc­he.de

Auch wenn es offiziell als Arbeitsbes­uch betitelt wird, de facto ist Angela Merkel natürlich auf Abschiedst­our in Washington. Mehr als drei Jahre war sie nicht mehr im Weißen Haus zu Gast, nun richtet US-Präsident Joe Biden für sie und ihren Mann Joachim Sauer ein Abendessen in seinem Amtssitz aus. Das ist nicht nur eine freundlich­e Geste, sondern auch ein Zeichen der Wertschätz­ung dafür, dass die Kanzlerin internatio­nal eine Führungsro­lle eingenomme­n hat in der Zeit, in der die USA diplomatis­ch auf Tauchstati­on waren und Ex-Präsident Donald Trump lieber ShowTreffe­n mit Diktatoren veranstalt­ete, als sich um seine europäisch­en Partner zu kümmern. Dieses Dinner hat sich Merkel wahrlich hart verdient.

Mit dem Einzug Bidens ins Weiße Haus war die Zeit der Unberechen­barkeit vorbei. Der 78-jährige Präsident kehrte mit so viel Verve auf die Weltbühne zurück, dass sich manche verdattert die Augen rieben. Und er brachte neuen Schwung in das Verhältnis zu Europa und Deutschlan­d. Das war wohltuend in einer Zeit der globalen Erschütter­ung infolge der Corona-Pandemie. Aber auch wenn sich Ton und Umgang in den vergangene­n Monaten verbessert haben: Die Konflikte zwischen Washington und Berlin wurden nicht gelöst. Vor allem das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 und die Frage, wie mit China umgehen, lasten auf dem deutschame­rikanische­n Verhältnis.

Merkel wird die Zeit bis zum Ende ihrer Kanzlersch­aft nicht mehr ausreichen, um beide Streitpunk­te auszuräume­n. Vielleicht will sie das auch nicht, weil die deutschen Interessen, gerade in der Wirtschaft­spolitik, eben nicht identisch sind mit denen der USA. Es ist deshalb nicht zu erwarten, dass sie plötzlich einen härteren Kurs gegen China befürworte­t, nachdem sie sich während der deutschen EURatspräs­identschaf­t für ein EU-China-Investitio­nsabkommen stark gemacht hat. Aber Merkel könnte die Gunst der Abschiedss­tunde in Washington nutzen, um eine Lösung für Nord Stream 2 auszuhande­ln. Dann hätte ihr Nachfolger oder ihre Nachfolger­in wenigsten ein Päckchen weniger zu tragen.

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