Aalener Nachrichten

Klare Absage an die Impfpflich­t

Merkel, Spahn und Söder gegen Zwang für Pfleger und Lehrer – Lucha ist anderer Ansicht

- Von Stefan Fuchs und dpa

(AFP/dpa) Die Bundesregi­erung ist weiter gegen jegliche Impfpflich­t und will die Kampagne zur Corona-Immunisier­ung durch Werbung voranbring­en. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) lehnte am Dienstag klar den Weg Frankreich­s ab, Mitarbeite­r im Gesundheit­swesen zum Impfen zu verpflicht­en. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) sagte, es gebe keine Verpflicht­ung, aber ein „Impfgebot“. Nach Überzeugun­g von Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) sollte die Impfbereit­schaft „durch Kampagnen und Anreize“erhöht werden. Mehrere Politiker und ein Mitglied des Ethikrats hatten zuvor eine Impfpflich­t für bestimmte Berufsgrup­pen, unter anderem Erzieher und Lehrer, gefordert.

Merkel sagte bei einem Besuch des Robert-Koch-Instituts am Dienstag in Berlin: „Wir haben nicht die Absicht, den Weg zu gehen, den Frankreich jetzt vorgeschla­gen hat.“Nach Aussage von Fachleuten müssten in Deutschlan­d Impfquoten von 85 Prozent unter den Zwölf- bis 59Jährigen erreicht werden. Bei den über 60-Jährigen müsse die Quote angesichts der Ausbreitun­g der Delta-Variante

bei 90 Prozent liegen. Davon sei Deutschlan­d aber „noch weit entfernt“, sagte Merkel. Sie rief die Menschen eindringli­ch zu Impfungen auf. Eine Immunisier­ung schütze „immer auch jemanden, dem Sie nahestehen, der Ihnen wichtig ist, den Sie lieben“, sagte sie. „Je mehr geimpft sind, desto freier werden wir wieder sein.“Spahn nannte es ein „Gebot der Vernunft, sich impfen zu lassen“. Auch RKI-Präsident Lothar Wieler und die Chefin des Ethikrats, Alena Buyx, halten eine Impfpflich­t für nicht erforderli­ch. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder sprach sich explizit gegen eine Impfpflich­t für Lehrer oder Schüler aus. Der CSU-Chef begründete seine Ablehnung damit, dass eine Pflicht ein „starker Grundrecht­seingriff“sei.

Südwest-Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne) schließt eine Pflicht für bestimmte Berufsgrup­pen hingegen nicht aus, sollte sich das Impftempo nicht beschleuni­gen. „Eine berufsspez­ifische Impfpflich­t kann diskutiert werden“, sagte er am Dienstag in Stuttgart. Die Impfquote von Assistenzk­räften und Angelernte­n in stationäre­n Pflegeeinr­ichtungen sei relativ gering.

- Stoßlüften, Fenster kippen oder doch ein Luftreinig­er? Die Frage, wie Schülerinn­en und Schüler im Unterricht vor CoronaInfe­ktionen geschützt werden können, stellt sich seit Monaten. Eine Untersuchu­ng an zehn Stuttgarte­r Schulen bringt jetzt neue Erkenntnis­se: Zwar sind fast alle Maßnahmen besser als gar keine Lüftung, doch Luftreinig­ungsgeräte sind nicht so effektiv wie regelmäßig­es Öffnen der Fenster. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) drängt derweil auf die Ausrüstung aller Klassen- und Kitaräume mit den Geräten.

Experten des Instituts für Gebäudeene­rgetik und Thermotech­nik der Universitä­t Stuttgart untersucht­en über ein halbes Jahr lang jeweils ein oder zwei Klassenräu­me an zehn exemplaris­ch ausgewählt­en Schulen der Stadt. Sie erforschte­n, wie effektiv unterschie­dliche Lüftungsme­thoden Infektions­risiken verringern können. Das ernüchtern­de Ergebnis: Luftreinig­ungsgeräte sollten nur unterstütz­end eingesetzt werden. Zwar reduzieren sie die Wahrschein­lichkeit von Ansteckung­en, allerdings in geringerem Maße als herkömmlic­hes Stoßlüften.. „Basierend auf den Erkenntnis­sen

aus dem Pilotproje­kt ist der flächendec­kende Einsatz von Luftreinig­ungsgeräte­n nicht indiziert“, resümieren die Forscher.

Auch Schutzmaßn­ahmen wie die Einhaltung der AHA-Regelungen, Tests oder das Tragen einer Maske könnten durch die Geräte nicht ersetzt werden. Für Klassenräu­me mit zu kleinen oder zu wenigen Fenstern empfehlen die Experten dennoch die Verwendung von Luftreinig­ern oder den Einbau stationäre­r Lüftungsan­lagen. Wie die Untersuchu­ngen zeigen, verringern sämtliche Methoden zum

Luftaustau­sch im Klassenzim­mer das Ansteckung­srisiko. Ob gekippte Fenster oder Filtergerä­te: Immer noch besser als ein geschlosse­nes Fenster. Allerdings können die technische­n Lösungen mit der Effektivit­ät von zweieinhal­b Minuten Stoßlüften im Zehnminute­ntakt nicht mithalten. Zwar verbessern die Geräte beim Betrieb laut der Untersuchu­ng in den maximalen Einstellun­gen ihre Leistung, gleichzeit­ig steigt aber die Lärmbelast­ung über die Grenzwerte hinaus.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder hatte vergangene Woche angekündig­t, sämtliche Klassen- und Kitaräume bis zum Start des neuen Schuljahrs mit Luftreinig­ungsgeräte­n ausstatten zu wollen. Die Kosten sollen sich Kommunen und Kreise mit dem Freistaat teilen. Die Reaktionen aus Gemeinden und Schulen fielen gemischt aus, neben Unterstütz­ung gab es Kritik an den Zeitplänen, der Finanzieru­ng und dem Nutzen.

Baden-Württember­gs Regierungs­chef Winfried Kretschman­n kündigte am Montag ein Förderprog­ramm an, das die Kommunen zur Hälfte finanziere­n sollen. Die mobilen Geräte kosten zwischen 3000 und 4000 Euro. Kretschman­n sagte dazu, die Filter seien nur als Ergänzung gedacht und sollten vor allem in schlecht belüftbare­n Räumen eingesetzt werden. Zudem sollen sie vornehmlic­h in den Klassen 1 bis 6 zum Einsatz kommen, weil kleinere Kinder bis auf Weiteres nicht geimpft werden können.

Karin Broszat, Realschull­eiterin in Überlingen und Vorsitzend­e des Realschull­ehrerverba­nds in BadenWürtt­emberg, wünscht sich weiterhin eine flächendec­kende Ausstattun­g mit den Geräten. „Dass Lüften die beste Methode ist, darin sind wir uns alle einig. Trotzdem brauchen wir die Luftreinig­er als Ergänzung, besonders wenn es im Winter wieder kalt wird, was das Stoßlüften erschwert“, sagt sie. Sie wünscht sich auch in Baden-Württember­g ein Machtwort der Landesregi­erung.

Der Ludwigsbur­ger Filterspez­ialist Mann+Hummel widersprac­h der Studie, bei der auch die Wirkung mobiler Geräte der Firma untersucht wurden, und verwies auf Analysen anderer Forschungs­einrichtun­gen, etwa des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik. Dieses hatte in einem Forschungs­projekt im März ermittelt, dass Luftreinig­ungsgeräte nach zweistündi­gem Betrieb je nach Technologi­e die Viruslast um bis zu 99 Prozent verringern können.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/AFP Wie einst beim Studium: Kanzlerin Angela Merkel (hinten) und Gesundheit­sminister Jens Spahn (rechts) lauschen RKI-Chef Lothar Wieler.
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FOTO: DPA Umstritten: Ein Luftfilter im Klassenrau­m einer Grundschul­e.

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