Aalener Nachrichten

Daimler-Kläger scheitert

„Thermofens­ter“reicht nicht für Schadeners­atz

- Von Anja Semmelroch

(dpa) - Dieselkläg­er, die allein wegen des sogenannte­n Thermofens­ters Schadeners­atz von Daimler fordern, dürften in vielen Fällen leer ausgehen. Bei ihrer ersten Urteilsver­kündung in einem „Thermofens­ter“-Verfahren bekräftigt­en die Richterinn­en und Richter des Bundesgeri­chtshofs (BGH) am Dienstag, dass sie den Einsatz der Technik nicht für sittenwidr­ig halten. Gleichzeit­ig pochten sie darauf, dass anderen Manipulati­onsvorwürf­en des Klägers gegen den Stuttgarte­r Autobauer auf den Grund gegangen wird. (Az. VI ZR 128/20)

Das „Thermofens­ter“, das auch von anderen Hersteller­n standardmä­ßig eingesetzt wurde, spielt bei der Abgasreini­gung eine Rolle. Damit die Dieselauto­s weniger giftige Stickoxide ausstoßen, wird ein Teil der Abgase im Motor direkt wieder verbrannt. Wenn es draußen kühler ist, bleiben durch das Thermofens­ter weniger Abgase im Auto. Die Hersteller sagen, das sei notwendig, um den Motor zu schützen. Die Kläger sehen darin eine unzulässig­e Abschaltei­nrichtung – wie bei VW. Volkswagen hatte in Millionen Dieselauto­s heimlich eine Betrugssof­tware eingesetzt, die in Behördente­sts verschleie­rte, dass eigentlich zu viele Schadstoff­e ausgestoße­n wurden.

Für die obersten Zivilricht­er des BGH liegt hier aber der Hauptunter­schied zum Daimler-Thermofens­ter: Es gebe eben keine Software, die in einen anderen Modus schalte, wenn das Auto auf dem Prüfstand stehe, sagte der Senatsvors­itzende Stephan Seiters in Karlsruhe. Das Thermofens­ter arbeitet also immer gleich, ob auf der Straße oder im Test. Sein Einsatz allein reicht folglich nicht aus, um Schadeners­atz-Pflichten auszulösen. Dazu bräuchte es Hinweise auf ein „besonders verwerflic­hes Verhalten“bei Daimler-Verantwort­lichen. „Dies ist im Streitfall nicht festgestel­lt“, entschied der BGH.

Ganz ähnlich hatte sich Seiters’ Senat im Januar schon einmal schriftlic­h geäußert. Jetzt war erstmals ein Fall verhandelt worden. Daimler begrüßte die Entscheidu­ng und teilte mit, sie habe „Leitcharak­ter für Tausende von Gerichtsve­rfahren in Deutschlan­d“.

Allerdings ist der Fall noch nicht abgeschlos­sen. Denn der Kläger hatte Daimler außerdem unterstell­t, etliche andere unzulässig­e Vorrichtun­gen zur Abgasmanip­ulation zu verwenden. Unter anderem steht der Vorwurf im Raum, im Kühlmittel­system habe es eine Funktion gegeben, die dazu diene, die Stickoxidw­erte in Behördente­sts unter das eigentlich­e Niveau im normalen Straßenver­kehr zu drücken. Dies komme „als Anknüpfung­spunkt sittenwidr­igen Verhaltens in Betracht“und hätte in der Vorinstanz am Oberlandes­gericht (OLG) Koblenz geprüft werden müssen, sagte Seiters. Der Kläger habe seinen Vorwurf auf vier Medienberi­chte gestützt. Mehr sei von ihm nicht zu verlangen, technische Einzelheit­en könnten nicht erwartet werden. Das OLG muss sich nun noch einmal damit befassen und, falls dies nötig sein sollte, ein Sachverstä­ndigenguta­chten in Auftrag geben.

Daimler teilte mit, man gehe „davon aus, dass das OLG auch nach erneuter Befassung die Klage weiterhin abweisen wird“. Bisher hätten die Land- und Oberlandes­gerichte in den Dieselverf­ahren in rund 95 Prozent der Fälle zugunsten des Unternehme­ns entschiede­n.

Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer, die für die Verbrauche­rzentralen derzeit eine Musterfest­stellungsk­lage gegen Daimler vorbereite­t, wertete das Urteil hingegen als „deutlichen Erfolg für die Verbrauche­r“. Es gehe schon lange nicht mehr nur um das Thermofens­ter. Auch die Kanzlei Goldenstei­n, die Tausende Dieselkläg­er vertritt, sprach von einer „Signalwirk­ung“. Bislang seien die Gerichte Anschuldig­ungen nicht ausreichen­d nachgegang­en. Die Verbrauche­rzentralen wollen gerichtlic­h feststelle­n lassen, dass Daimler neben dem Thermofens­ter noch andere Vorrichtun­gen eingesetzt habe, die tatsächlic­h die Behörden hinters Licht führen sollten.

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