Kunstwerke wider das Vergessen
Der Konzeptkünstler Christian Boltanski ist im Alter von 76 Jahren gestorben
(dpa) - Christian Boltanski gehörte zu den in Deutschland bekanntesten französischen Künstlern. Mit seinen Werken kämpfte er gegen das Vergessen und Verdrängen an. Im Alter von 76 Jahren ist Boltanski nun in Paris gestorben, wie die französische Nachrichtenagentur AFP am Mittwoch unter Verweis auf den ehemaligen Leiter des Museums für Moderne Kunst im Centre Pompidou, Bernard Blistène, berichtete.
Zu Mauern aufgebaute Metallkästen, nackte Glühbirnen, die von der Decke hängen, kaltes Licht, Stapel von getragenen und ungetragenen Kleidern: Requisiten, die auf anonyme Menschen und Schicksale verweisen – und mit denen Christian Boltanski gegen das Vergessen kämpfte. Und ein Sujet, das in engem Zusammenhang mit der Lebensgeschichte des Künstlers stand, der am 6. September 1944 in Paris als Sohn eines jüdischen Vaters geboren wurde.
Boltanskis Erinnerungskunst ist weltweit bekannt. In Deutschland war der Künstler angesichts der NSVergangenheit schon früh sehr gefragt. Mitte der 1970er-Jahre nahm er an der documenta in Kassel teil.
Bei der Ruhrtriennale 2005 leitete Boltanski in Essen in der Kokerei der Weltkulturerbe-Zeche Zollverein gemeinsam mit Andrea Breth und Jean Kalman das Projekt „Nächte unter Tage“: Kleiderballen, die von Arbeitern immer wieder neu geordnet wurden, und Mäntel, die sich an Transportbändern bewegten. Einen dauerhaften Platz im Weltkulturerbe Völklinger Hütte bekam er mit einer Installation aus Spinden, aus denen gesprochene Erinnerungen von einstigen Arbeitern ertönen.
„Deutschland räumt der zeitgenössischen Kunst mehr Bedeutung ein als Frankreich“, sagte Boltanski einmal in einem Gespräch in Paris. Und: „Mir liegt die Mentalität. Während
man in Deutschland nach einem Abendessen über Philosophie diskutiert, wechselt man in Frankreich Höflichkeiten aus und vermeidet ernste Themen.“
Der Konzeptkünstler, Fotograf und Bildhauer war Autodidakt. Er wurde kurze Zeit nach der Befreiung von der Nazi-Besatzung in eine Familie geboren, die auch nach dem Krieg unter dem Trauma von Verfolgung und Denunziation litt. Alle Freunde seiner Eltern seien Überlebende des Holocaust gewesen, sagte er der französischen Wochenzeitung „L’Express“. Das sei zuhause immer Gesprächsthema gewesen.
Wie er dem Blatt weiter erzählte, habe seine Mutter allen gesagt, sein Vater sei verschwunden – dabei habe der sich fast zwei Jahre unter dem Boden ihrer Wohnung versteckt. „Ich hatte eine seltsame Kindheit, sehr beschützt und voller Angst“, so Boltanski. Aus dieser Erfahrung wurde sein Credo: Künstler zu sein, das heißt, seine eigenen Ängste zu verarbeiten.
Anfänglich widmete sich Boltanski der Malerei, bis er Ende der 1960er sein Gedächtniswerk schuf, das zutiefst menschlich war, jenseits großer Theorien. Erst 2019 widmete das Pariser Centre Pompidou ihm eine umfangreiche Retrospektive.