Die Sache mit der Realitätsflucht
Wenn sich der Mensch laufend miserablen Nachrichten ausgesetzt sieht, sucht er sein Heil in der Realitätsflucht. Denn die Realität ist derzeit freilich eine schwer zu ertragende Zumutung. Der sogenannte Eskapismus hat eine lange Tradition, weil im Laufe der Jahrtausende eigentlich immer irgendwas zum Davonlaufen war.
Einer der bekanntesten Eskapisten war Märchenkönig Ludwig II. Obwohl so königlich-bayerisch wie nur was – und mit unbeschränktem Zugriff auf vom bayerischen Reinheitsgebot geschützte Erfrischungsgetränke
– zog er es vor, sich zunächst in Luftschlösser zurückzuziehen, später dann in echte. Die Realitätsverweigerung des Monarchen ist heute für Bayern ein gutes Geschäft. Gerüchtehalber heißt es, Japaner hätten ohne Schloss Neuschwanstein bis heute keinen Fuß in den Freistaat gesetzt.
Eskapisten der neueren Art sind zum Beispiel sogenannte Klimaleugner. Obwohl der Begriff natürlich irreführend ist. Denn Klimaleugner leugnen ja nicht, dass es ein Klima gibt. Sie leugnen vielmehr, dass wir Menschen irgendwas mit dem Klima zu tun haben. Und wer seinen eigenen Anteil an den klimatischen Absonderlichkeiten leugnet, muss auch nichts dazu beitragen, es positiv zu verändern. Da ist uns Ludwig II. schon lieber. Denn während von ihm wenigsten hübsche Immobilien übrig geblieben sind, ist fraglich, welche Überreste einmal vom Klimaleugner übrig bleiben oder von der Menschheit insgesamt. Denn Realitätsflucht hat einen großen Nachteil: Die Realität kümmert es nicht, ob irgendwer an sie glaubt. (nyf)