Aalener Nachrichten

Laute Minderheit

- Von Christine Longin politik@schwaebisc­he.de

„Rafle du Vélodrome d’Hiver“. „Ich habe den Stern getragen und weiß, was das bedeutet. Ich habe ihn immer noch in meinem Fleisch.“

In Paris versammelt­en sich rund 18 000 Impfgegner­innen und -gegner zu mehreren Kundgebung­en. Eine wurde von den Rechtspopu­listen Florian Philippot und Nicolas Dupond-Aignan angeführt, zu einer anderen hatte ein Abgeordnet­er der Linksaußen­partei La France Insoumise aufgerufen. Auch prominente Vertreter der „Gelbwesten“gingen auf die Straße und forderten einen Rücktritt Macrons. Bereits 2018 hatten die Gilets jaunes gewaltsam gegen den Reformkurs der Regierung demonstrie­rt. Die Regierung fürchtet, dass sich die Stimmung nun ähnlich aufheizen könnte wie damals.

Mehrere Abgeordnet­e, die den Gesundheit­spass verteidigt­en, erhielten bereits Todesdrohu­ngen. Das Wahlkreisb­üro des Präsidente­n der Nationalve­rsammlung, Richard Ferrand, wurde vorübergeh­end besetzt. Die parteilose Abgeordnet­e und Impfgegner­in Martine Wonner rief dazu auf, alle Büros der Parlamenta­rier zu stürmen. „Es gibt eine Verbindung zwischen extremer Rechter und extremer Linker wie zu Zeiten der Gelbwesten“, warnte ein

Minister in der Zeitung „Le Parisien“.

Die Ankündigun­gen Macrons lösten allerdings nicht nur heftige Proteste aus, sondern führten auch zu einem Ansturm auf die Impfzentre­n: Mehr als 3,5 Millionen Französinn­en und Franzosen vereinbart­en seit dem vergangene­n Montag einen Termin. „Entweder die generelle Impfung oder ein viraler Tsunami“, verteidigt­e Regierungs­sprecher Gabriel Attal im „Parisien“die Entscheidu­ngen des Präsidente­n, die die Mehrheit seiner Landsleute gut heißen.

Die Infektions­zahlen steigen seit mehr als einer Woche in Frankreich

Nur rund 40 Prozent der Krankensch­western und -Pfleger sind in Frankreich gegen Covid-19 geimpft. Für Menschen, die Verantwort­ung für Kranke tragen, ist das zu wenig. Deshalb soll nun eine Impfpflich­t für das Personal im Gesundheit­swesen eingeführt werden. Wer dabei von einer Impf-Diktatur spricht, irrt sich gewaltig. Und wer zum Sturm auf die Abgeordnet­enbüros aufruft, hat ohnehin jede Glaubwürdi­gkeit verloren. Präsident Emmanuel Macron hat die Aufgabe, seine Landsleute zu schützen. Mit der Impfpflich­t für bestimmte Berufsgrup­pen setzt er um, was von einem Staatschef erwartet wird.

Drei Viertel der Französinn­en und Franzosen halten die Impfpflich­t für Pflegeberu­fe für richtig. Sogar dass künftig beim Besuch eines Cafés die Immunisier­ung nachgewies­en werden muss, findet eine knappe Mehrheit gut. Für viele ist die Ankündigun­g des Staatschef­s sogar Anlass, sich endlich für die Impfung anzumelden: Mehr als 200 000 Impftermin­e wurden allein am Samstag vergeben. Die 100 000, die gleichzeit­ig auf den Straßen demonstrie­rten, machten zwar mehr Lärm. Sie sind aber nur eine laute Minderheit.

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FOTO: MICHEL EULER/DPA
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