Laute Minderheit
„Rafle du Vélodrome d’Hiver“. „Ich habe den Stern getragen und weiß, was das bedeutet. Ich habe ihn immer noch in meinem Fleisch.“
In Paris versammelten sich rund 18 000 Impfgegnerinnen und -gegner zu mehreren Kundgebungen. Eine wurde von den Rechtspopulisten Florian Philippot und Nicolas Dupond-Aignan angeführt, zu einer anderen hatte ein Abgeordneter der Linksaußenpartei La France Insoumise aufgerufen. Auch prominente Vertreter der „Gelbwesten“gingen auf die Straße und forderten einen Rücktritt Macrons. Bereits 2018 hatten die Gilets jaunes gewaltsam gegen den Reformkurs der Regierung demonstriert. Die Regierung fürchtet, dass sich die Stimmung nun ähnlich aufheizen könnte wie damals.
Mehrere Abgeordnete, die den Gesundheitspass verteidigten, erhielten bereits Todesdrohungen. Das Wahlkreisbüro des Präsidenten der Nationalversammlung, Richard Ferrand, wurde vorübergehend besetzt. Die parteilose Abgeordnete und Impfgegnerin Martine Wonner rief dazu auf, alle Büros der Parlamentarier zu stürmen. „Es gibt eine Verbindung zwischen extremer Rechter und extremer Linker wie zu Zeiten der Gelbwesten“, warnte ein
Minister in der Zeitung „Le Parisien“.
Die Ankündigungen Macrons lösten allerdings nicht nur heftige Proteste aus, sondern führten auch zu einem Ansturm auf die Impfzentren: Mehr als 3,5 Millionen Französinnen und Franzosen vereinbarten seit dem vergangenen Montag einen Termin. „Entweder die generelle Impfung oder ein viraler Tsunami“, verteidigte Regierungssprecher Gabriel Attal im „Parisien“die Entscheidungen des Präsidenten, die die Mehrheit seiner Landsleute gut heißen.
Die Infektionszahlen steigen seit mehr als einer Woche in Frankreich
Nur rund 40 Prozent der Krankenschwestern und -Pfleger sind in Frankreich gegen Covid-19 geimpft. Für Menschen, die Verantwortung für Kranke tragen, ist das zu wenig. Deshalb soll nun eine Impfpflicht für das Personal im Gesundheitswesen eingeführt werden. Wer dabei von einer Impf-Diktatur spricht, irrt sich gewaltig. Und wer zum Sturm auf die Abgeordnetenbüros aufruft, hat ohnehin jede Glaubwürdigkeit verloren. Präsident Emmanuel Macron hat die Aufgabe, seine Landsleute zu schützen. Mit der Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen setzt er um, was von einem Staatschef erwartet wird.
Drei Viertel der Französinnen und Franzosen halten die Impfpflicht für Pflegeberufe für richtig. Sogar dass künftig beim Besuch eines Cafés die Immunisierung nachgewiesen werden muss, findet eine knappe Mehrheit gut. Für viele ist die Ankündigung des Staatschefs sogar Anlass, sich endlich für die Impfung anzumelden: Mehr als 200 000 Impftermine wurden allein am Samstag vergeben. Die 100 000, die gleichzeitig auf den Straßen demonstrierten, machten zwar mehr Lärm. Sie sind aber nur eine laute Minderheit.