Auf dem Weg in die Weltspitze
Die Friedrichshafener Radrennfahrerin Liane Lippert spekuliert in Tokio auf einen Überraschungserfolg
- So früh so gut zu sein, hat auch einen Nachteil: Es fehlt die Erfahrung. Vor allem in entscheidenden Momenten. Das musste Liane Lippert zuletzt mehrfach erfahren. Bei der deutschen Meisterschaft in Stuttgart zog die Friedrichshafener Radrennfahrerin im Sprint den Kürzeren gegen ihre Nationalmannschaftskollegin Lisa Brennauer und musste sich mit dem Vizetitel begnügen; bei „La Course“, dem Eintagesrennen der Frauen im Rahmen der Tour de France, war sie wieder ganz vorne dabei, bei der Zielankunft aber zwischen anderen Fahrerinnen eingeklemmt; auch auf der dritten Etappe des Giro d’Italia Donne, der wichtigsten Rundfahrt im Frauenradsport, musste sie sich im Zielsprint geschlagen geben. „Natürlich ist das ärgerlich“, sagt Lippert, „aber ich habe gesehen, dass ich vorne mithalten kann. Und aus diesen Situationen lerne ich für die Zukunft.“
Und diese hat beste Aussichten, rosig zu werden. Liane Lippert ist auf dem Weg in die absolute Weltspitze. Bereits im vergangenen Jahr trug die heute 23-Jährige über Monate hinweg (auch bedingt durch eine lange Corona-Pause) das Lila Trikot der Gesamtführenden der World Tour, am Ende der Saison feierte sie den Gewinn der Nachwuchswertung in der Eliteliga des Radsports. Und auch diese Saison fährt die Friedrichshafenerin regelmäßig ganz vorne mit – auch wenn es noch nicht zum ganz großen Sieg gereicht hat. „Die Form stimmt auf jeden Fall“, sagt Lippert unmittelbar vor dem Abflug zu den Olympischen Spielen in Tokio. Das hat sie auch in den vergangenen Wochen bei der Italien-Rundfahrt gezeigt, die sie einmal mehr als beste Deutsche beendet hat und bei der sie ihrem Team DSM als Helferin zu drei Etappensiegen verhalf.
Beim olympischen Straßenrennen will sie nun wieder selbst auf Ergebnis fahren. Auf dem schwierigen Kurs rund um Tokio ist ihr durchaus eine Überraschung zuzutrauen – auch wenn sie selbst vor ihrem ersten olympischen Rennen tiefstapelt. „Ich bin sicher keine Favoritin. Wenn alles normal läuft, machen das die Niederländerinnen, die eine sehr starke Mannschaft haben.“Zwar steht die endgültige Taktik der deutschen Mannschaft noch nicht fest, doch ist davon auszugehen, dass ihre Teamkameradinnen für Lippert und Brennauer fahren werden, um diese bis zum Schluss in eine gute Position zu bringen. „Ich versuche, so lange wie möglich vorne dranzubleiben“, sagt die junge Häflerin. „Und dann muss man schauen, was möglich ist.“
Eine Medaille wäre in jedem Fall die Krönung ihrer bisherigen Karriere. Schon jetzt ist die Nominierung für sie ein Riesenerfolg – wenn auch die logische Konsequenz aus ihren starken Leistungen in den vergangenen Jahren. Vor ihren ersten Spielen sei sie „aufgeregt und gespannt“, sagt die deutsche Meisterin von 2018 – auch wenn ihr bewusst ist, dass vom sonst üblichen olympischen Flair in Tokio nur sehr wenig zu spüren sein wird. „Das ist natürlich sehr schade. Trotzdem überwiegt die Freude, dass die Spiele stattfinden und ich dabei bin.“Eines steht jetzt schon fest: Liane Lippert wird auf jeden Fall weiter an Erfahrung gewinnen.