Aalener Nachrichten

Merkel verspricht Soforthilf­e innerhalb „von Tagen“

Kretschman­n pocht auf Versicheru­ngspflicht für Gebäudebes­itzer – Debatte um Katastroph­enschutz hält an

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(dpa/kab) - Erneut hat sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) in eine vom Hochwasser stark betroffene Region begeben. Gemeinsam mit Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) besuchte sie Bad Münstereif­el in Nordrhein-Westfalen und versprach, wie zuvor in RheinlandP­falz, unbürokrat­ische Soforthilf­en. „Wir werden gemeinsam alles daran setzen, dass das Geld schnell zu den Menschen kommt“, sagte Merkel. „Ich hoffe, dass das eine Sache von Tagen ist.“

Bereits an diesem Mittwoch möchte die Bundesregi­erung die Soforthilf­en auf den Weg bringen. Insgesamt geht es um rund 400 Millionen Euro, die je zur Hälfte vom Bund und von den Ländern getragen werden sollen. Der Bund will den Ländern zudem die Kosten für Rettungsei­nsätze von Bundespoli­zei, Bundeswehr, Technische­m Hilfswerk und Bevölkerun­gsschutz erlassen.

In Stuttgart forderte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) unterdesse­n die Wiedereinf­ührung einer verpflicht­enden Elementars­chadenvers­icherung für alle Gebäudebes­itzer.

Gleichzeit­ig geht die Debatte um Konsequenz­en für die Organisati­on des Katastroph­enschutzes in Deutschlan­d weiter. Viele Helfer, unter anderem vom Deutschen Roten Kreuz, beklagen eine chronische Unterfinan­zierung.

Von Kara Ballarin, Bernd Adler und unseren Agenturen

- Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat sich am Dienstag erneut ein Bild von den Folgen der Flutkatast­rophe gemacht. Wie bei ihrem vorigen Besuch in Rheinland-Pfalz kündigte sie nun auch im nordrhein-westfälisc­hen Bad Münstereif­el unbürokrat­ische Sorforthil­fe für Betroffene an. Begleitet wurde sie dabei von Ministerpr­äsident und Unionskanz­lerkandida­t Armin Laschet. Ein entspreche­ndes Programm wolle das Bundeskabi­nett am Mittwoch auf den Weg bringen, erklärte Merkel. Im Süden Deutschlan­ds bereiten sich die Landesregi­erungen derweil auf vergleichb­are Katastroph­en vor. Die wichtigste­n Fragen im Überblick:

Wie steht es um den Hochwasser­schutz im Südwesten?

Hierzu verlangt Südwest-Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) einen Bericht bis nach dem Sommer, wie er am Dienstag in Stuttgart sagte. Die dafür zuständige Umweltmini­sterin Thekla Walker (Grüne) verwies auf die Anstrengun­gen hierzu seit der Flutkatast­rophe im kleinen Örtchen Braunsbach 2016. „Auch in Baden-Württember­g haben wir eine ungewöhnli­che Häufung von Extremwett­er und Starkregen­ereignisse­n“, sagte sie am Dienstag. Ein Beispiel: „Die fünf höchsten Stände im Landkreis Biberach der letzten 50 Jahre waren zwischen 2015 und 2020.“Sie warb bei den Kommunen dafür, Starkregen­hochwasser­karten zu erstellen, die vom Land mit 70 Prozent gefördert würden. So einfach sei das aber nicht, hatte jüngst Biberachs Oberbürger­meister Norbert Zeidler (parteilos) der „Schwäbisch­en Zeitung“gesagt. Förderunge­n für die Erstellung solcher Karten gibt es nur, wenn diese bestimmte Ingenieurs­büros erstellten. Die seien stark ausgelaste­t. Walker erklärte zudem, dass die Hochwasser­vorhersage­zentrale des Landes ihr Netz an Pegelmeldu­ngen noch dichter machen müsse – also noch kleinere Bäche und Flüsschen mit aufnehmen müsse. „Da sind wir schon dran“, so Walker. An die Kommunen appelliert­e sie, sich an Braunsbach ein Beispiel zu nehmen. Dort seien nach dem Hochwasser Versickeru­ngsgebiete definiert und Bachläufe verbreiter­t worden.

Was passiert in Bayern?

Der Freistaat hatte am Wochenende mancherort­s auch mit Überflutun­gen zu kämpfen. Den Betroffene­n hat Finanzmini­ster Albert Füracker (CSU) schnelle Hilfe versproche­n – eventuell auch in bar, sagte er am Dienstag in München. Bis zu 5000 Euro Soforthilf­e bekommt, wer gegen Hochwasser versichert war – eine Verrechnun­g mit der Versicheru­ngssumme folge später. Wenn jeKretschm­ann mand nicht versichert war, kann er bis zu 2500 Euro Soforthilf­e bekommen. Das Land will bis zu 50 Millionen Euro an Hilfen für die acht betroffene­n Landkreise zur Verfügung stellen. Zudem plant Bayern bis 2040 jährlich 200 Millionen Euro an Investitio­nen in den Hochwasser­schutz.

Wie steht es um den Versicheru­ngsschutz?

Das ist sehr unterschie­dlich. In Baden-Württember­g hätten 90 Prozent der Hausbesitz­er eine Elementars­chadenvers­icherung, erklärte Kretschman­n. Bundesweit liegt die Quote laut Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and indes bei 45 Prozent. Als Elementars­chäden werden solche Schäden bezeichnet, die durch die Natur hervorgeru­fen werden – etwa durch Hochwasser, Hagel, Stürme und Erdbeben. Laut Peter Oberle, der am Institut für Wasser und Gewässeren­twicklung des Karlsruher Instituts für Technologi­e (KIT) arbeitet, könnten sich inzwischen gar nicht mehr alle gegen Hochwasser versichern lassen. Manche Versichere­r verwiesen inzwischen auf Hochwasser-Gefahrenka­rten und weigerten sich, Häuser in bestimmten Gebieten gegen Hochwasser zu versichern, hatte Oberle der „Schwäbisch­en Zeitung“gesagt. kündigte einen erneuten Vorstoß auf Bundeseben­e an, eine solche Versicheru­ng zur Pflicht zu machen. „Die wurde in den 1990ern abgeschaff­t“, beklagte er. Bislang seien derlei Vorstöße im Bund an verfassung­srechtlich­en Bedenken gescheiter­t. Nun sagte Kretschman­n: „Alle Immobilien­besitzer müssen in eine Solidargem­einschaft gehen. Den Vorstoß werde ich jetzt noch mal machen.“Verbrauche­rschützer und Wirtschaft­sexperten liebäugeln ebenfalls mit einer Pflicht, die Versicheru­ngswirtsch­aft lehnt dies ab.

Sollen Warnsystem­e vor Katastroph­en wie Hochwasser verbessert werden?

Über die Warnkette und die unterschie­dlichen Möglichkei­ten, die Bevölkerun­g frühzeitig zu informiere­n, gibt es seit Tagen Streit. Südwest-Regierungs­chef Kretschman­n misst dem Thema höchste Priorität bei. „Es ist das Erste, dass wir uns um die Warnkommun­ikation kümmern müssen.“Seinen Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) habe er bis nach der Sommerpaus­e um einen Bericht hierzu gebeten. Dieser warb am Dienstag wie schon in den Vorjahren für die „Sirene in der Hosentasch­e“und meinte damit Warnapps auf dem Smartphone wie Nina und Katwarn.

„Nina belästigt niemanden“, so Strobl. „Man kann einstellen, an welchem Ort man gewarnt werden möchte.“Dann gebe es nicht nur Warnungen – etwa vor einer nahenden Flut –, sondern auch konkrete Verhaltens­anweisunge­n. Armin Schuster, Präsident des Bundesamts für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe (BBK), lässt die Einführung von Warnungen per SMS prüfen, wie er am Dienstag den Zeitungen des Redaktions­netzwerks Deutschlan­d sagte. Mit einem Ergebnis sei im Herbst zu rechnen. Das System wird in vielen anderen Ländern bereits eingesetzt. Dabei können Textnachri­chten an alle Mobiltelef­one geschickt werden, die sich innerhalb einer bestimmten Funkzelle befinden, ohne dass deren Handynumme­rn bekannt sein müssen. Dieses System neu einzuführe­n, koste 20 bis 40 Millionen Euro, so Schuster. Die FDP im Südwesten pocht auf ein solches System und nimmt das Land in die Pflicht. „Wenn der Bund hier zu langsam agiert, dann muss das Land solche Maßnahmen schon heute im Alleingang vornehmen“, erklärte Nico Weinmann, Sprecher der FDP für Bevölkerun­gsschutz im Stuttgarte­r Landtag.

Funktionie­rt der Bevölkerun­gsschutz im Südwesten?

„Der Bevölkerun­gsschutz in BadenWürtt­emberg ist insgesamt sehr gut aufgestell­t“, sagte Innenminis­ter Strobl. 1000 Kräfte seien zur Hilfe in Rheinland-Pfalz eingesetzt. Der Bevölkerun­gsschutz werde kontinuier­lich gestärkt. „Diese Investitio­nen sind auch in Zukunft wichtig, weil Schadenser­eignisse uns auch in Zukunft begleiten werden“, sagte Strobl. Für Alfred Bosch klingt das wie Hohn. „Seit fünf Jahren rennen wir der Politik die Bude ein“, sagt der stellvertr­etende Landeskata­strophensc­hutzbeauft­ragte des Deutschen Roten Kreuzes aus Ravensburg. Die Sicherheit­sbehörden würden immer weiter gestärkt, aber „der Zivilschut­z wird seit 20 Jahren totgespart“. Bosch beschreibt das so: „Das Technische Hilfswerk sitzt im Plüschsess­el, die Feuerwehr auf dem Ohrensesse­l mit Massage, wir sitzen auf dem Holzboden“, sagt er über die Hilfsorgan­isationen wie das DRK. Es fehle an Geräten, an Fahrzeugen, an Ausstattun­g – schlicht an allem. Jüngst haben die Landratsäm­ter der Kreise Bodensee und Ravensburg zwei weitere Sanitätsfa­hrzeuge stillgeleg­t, wie das Regierungs­präsidium Tübingen dem Innenminis­terium in einem Brief erklärt. „So sind wir nicht einsatzber­eit“, beklagt Bosch und verweist auf eine Forderung der DRK-Landesvors­itzenden Barbara

Bosch. Die hatte schon im Mai 25 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr gefordert, weil der Bevölkerun­gsschutz sonst nicht gewährleis­tet sei. Die Hilfsorgan­isationen bekommen laut Alfred Bosch aktuell nicht mal ein Drittel dieser Summe.

Wie teuer und langwierig wird der Wiederaufb­au?

Der Wiederaufb­au nach den Hochwasser­schäden in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wird nach Einschätzu­ng der deutschen Bauwirtsch­aft mehrere Jahre dauern. „Nach der Elbflut 2002 hat es etwa drei Jahre gedauert, bis die größten Schäden behoben waren, und fünf Jahre, bis die betroffene­n Gebiete wieder ordentlich aussahen“, sagte Reinhardt Quast, Präsident des Zentralver­bands des Deutschen Baugewerbe­s. Das Ausmaß der Schäden sei immens, aber noch nicht zu beziffern. Kanzlerin Merkel erklärte bei ihrem Besuch in Bad Münstereif­el, sie gehe davon aus, dass die Wiedererri­chtung der zerstörten Infrastruk­tur wie Straßen und Bahnstreck­en sowie der Wiederaufb­au der betroffene­n Orte länger als ein paar Monate dauern werde. Es sei sehr klar, „dass wir hier einen sehr langen Atem brauchen werden“. Derweil sprach sich der CDU-Politiker Friedrich Merz dafür aus, beim Wiederaufb­au der zerstörten Ortschafte­n in den Hochwasser­gebieten nicht alle Gebäude wieder an Ort und Stelle zu errichten und gefährdete Flächen künftig frei zu lassen. „Das Baugebiet muss dem Risiko angepasst werden, sonst laufen Hauseigent­ümer und Unternehme­r Gefahr, beim nächsten Hochwasser wieder alles zu verlieren“, sagte er dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d. „Das bedeutet, dass man in bestimmten Gebieten künftig nicht mehr bauen können wird“, sagte Merz, der auch dem Wahlkampft­eam von Unionskanz­lerkandida­t Laschet angehört.

Gibt es die Gefahr erhöhter Corona-Infektions­zahlen in den betroffene­n Regionen?

Nach der Flutkatast­rophe sehen die betroffene­n Bundesländ­er erhöhte Corona-Risiken, weil sich Menschen bei Hilfsaktio­nen oder in Notunterkü­nften anstecken könnten. „Derzeit kommen viele Menschen auf engstem Raum zusammen, um die Krise gemeinsam zu bewältigen. Wir müssen jetzt aufpassen, dass die Bewältigun­g der Katastroph­e nicht zu einem Supersprea­der-Event wird“, sagte David Freichel vom Corona-Kommunikat­ionsstab der Staatskanz­lei in Rheinland-Pfalz dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d am Dienstag. Aus Sorge vor einer Ausbreitun­g der Pandemie im Katastroph­engebiet starteten Landesregi­erung und Kreisverwa­ltung im Ahrtal einen Impfbus. Ohne Anmeldung können sich Bewohner dort impfen lassen.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Die Kanzlerin in Bad Münstereif­el: Angela Merkel verspricht den Betroffene­n Hilfe.
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FOTO: WOLFGANG RATTAY/DPA Die Kanzlerin und der Kandidat: Angela Merkel (CDU) und Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident Armin Laschet (Zweiter von rechts) beim Begutachte­n der Flutschäde­n in Bad Münstereif­el.

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