Noch immer am Reck
Eberhard Gienger lässt als Siebziger nur in der Politik los
(SID) - Irgendwann im zweiten Corona-Frühjahr nacheinander war selbst der über Jahrzehnte rastlose und immer agile Eberhard Gienger physisch und vor allem psychisch am Ende: „Ich habe mich immer ins Zeug gelegt, aber irgendwann waren alle Akkus leer.“Und so brauchte Deutschlands einstiger Vorturner dringend eine Auszeit, der 70. Geburtstag am Mittwoch wird nur in kleiner Runde gefeiert.
Dabei war „Ebse“immer mehr der Mann für den großen Bahnhof als für das kleine Nebengleis. Einmal Welt- meister und dreimal Europameister am Reck, deutscher Rekordchampion mit 34 nationalen Titeln, ehe ihn ein gewisser Fabian Hambüchen übertrumpft hat. Mit Vollgas ging es nach der Sportlerlaufbahn weiter: Geschäftsmann, Sportfunktionär und eine Politkarriere, die ihn auf CDU-Ticket für 19 Jahre in den Deutschen Bundestag führte.
Dort loszulassen, diese Entscheidung fiel schon vor mehr als einem Jahr. Die Reckstange loslassen, das kann und will der Schwabe bis heute nicht. „Durch den Sport und das Turnen ist es besser geworden, ich fühle mich wieder auf dem Weg nach oben“, sagte Gienger. Und präsentierte zu Wochenbeginn vor laufender Kamera zwar keinen GiengerSalto, aber durchaus ansehnliche Riesenfelgen.
Mit der aktuellen Turngeneration und deren Befindlichkeiten kann der zweimalige „Sportler des Jahres“mehr als gut mitfühlen. Denn vor 41 Jahren trainierte auch Gienger in eine olympische Unsicherheit hinein. Olympia in Moskau ja oder nein – darüber wurde in Deutschland höchst kontrovers debattiert. Letztlich entschied die deutsche Politik zwei Monate vor den Spielen, die Veranstaltung wegen der sowjetischen Truppen in Afghanistan zu boykottieren.
Daher war und ist der Vater von drei Söhnen für ein Stattfinden der Spiele in Tokio, auch in Zeiten der Pandemie. „Wir müssen weiterhin lernen, mit diesem Virus zu leben. Ich glaube, dass Organisatoren und Sportler sich vernünftig verhalten werden“, sagt Gienger.
Die olympische Medaille, die er in Bronze 1976 in Montreal am Reck gewann, traut er in der japanischen Hauptstadt sowohl Elisabeth Seitz am Stufenbarren als auch Lukas Dauser am Barren zu: „Sie können auf jeden Fall das Finale erreichen. Und dann schlägt das Herz doppelt so schnell wie normal, und es gibt nach vorne kein Halten mehr.“