Zügig übers Land mit Bus und Bahn
Abseits der Großstädte hakt es oft im öffentlichen Nahverkehr – Mit welchen Konzepten die Parteien das ändern wollen
- Hitzewellen, Waldbrände, Hochwasser: Spätestens seit den immer häufiger auftretenden Umweltkatastrophen sind sich fast alle Parteien einig, dass die Gesellschaft klimagerecht umgebaut werden muss. Auch der Verkehrssektor steht auf dem Prüfstand. Gerade auf dem Land ist das eine Herausforderung, weil dort viele Menschen nach wie vor auf das Auto angewiesen sind. Die Parteien werben mit unterschiedlichen Ideen um Wähler.
Warum ist das Thema so wichtig?
Auf dem Land leben 70 Prozent der Deutschen. Einer aktuellen Prognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung zufolge wird das auch in der Zukunft so sein. Während es in der Stadt mit U-Bahn, Taxis und Sharing-Autos unterschiedliche Formen der Mobilität gibt, bleibt den Menschen auf dem Land häufig nur der eigene Pkw zum Pendeln oder für die Einkäufe. Um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu sichern, muss es Veränderungen in der Mobilität geben. Da sind sich fast alle Parteien einig. Denn der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor ist auf europäischer Ebene beschlossen, und nicht jeder Landbewohner wird sich so schnell ein neues E-Auto leisten können. Eine Möglichkeit, etwas zu tun, ist, das Bus- und Bahnnetz und damit den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) zu stärken.
Wie wollen die Parteien den ÖPNV reformieren?
Die Union setzt auf eine Fortführung ihrer bisherigen Verkehrspolitik und will sowohl Straße als auch Schiene ausbauen. Im Wahlprogramm ist zwar von einer Stärkung des ÖPNV die Rede, konkreter wird es bei der Union aber nicht.
Die FDP plädiert auf Technologieoffenheit und neue Formen der Mobilität wie Carsharing. So müsse es etwa „eine verbesserte Vernetzung und den Ausbau von On-Demand-Verkehren“geben, sagt Verkehrspolitiker Oliver Luksic. On-Demand-Angebote wären zum Beispiel Rufbusse. Luksic sieht dabei auch die Kommunen in der Pflicht: „Garantien für den ÖPNV können nur die Kommunen selbst vornehmen.“
Die AfD befürwortet einen besser ausgebauten ÖPNV nach dem Vorbild der Schweiz, der Fokus liegt bei ihr aber auf der Förderung des „motorisierten Individualverkehrs“, also des Privat-Pkw.
Grüne und SPD wollen eine Mobilitätsgarantie. Für die Grünen heißt das, dass jede Ortschaft an das System des ÖPNV angebunden wird. Hier soll es „mindestens stündlich ein Angebot“geben, sagt der Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, Oliver Krischer.
Für die SPD bedeutet die Mobilitätsgarantie, dass für Bewohner aller deutschen Ortschaften alle 20 Minuten Bus, Bahn, Taxi oder PoolingFahrzeug verkehren. Maximal 300 Meter sollen die Bürger zum nächsten Verkehrsmittel zurücklegen müssen, erläutert der SPD-Bundestagsabgeordnete Detlef Müller. „Das Ziel ist, dass jeder Bürger Zugang zum öffentlichen Nahverkehr hat“, sagt der Verkehrspolitiker. Er rechnet, dass das Konzept in etwa so viel kosten könnte wie die Einführung eines flächendeckenden 365-Euro-Jahrestickets für den ÖPNV, also 30 Milliarden Euro.
Wie soll es finanziert werden?
Derzeit ist es so: Wenn eine Buslinie betrieben wird, muss dafür ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt aufkommen. Die Kassen sind aber klamm. Häufig lohnt es sich nicht, mehr Buslinien als den Schulbus zu betreiben. „Viele Kommunen sind zudem unter dem Rettungsschirm der Länder und dürfen keine Ausgaben vornehmen, die über die Pflichtaufgaben hinausgehen“, so Bastian Kettner, Sprecher für Bahn, ÖPNV und Multimodalität beim ökologischen Verkehrsclub Deutschland (VCD).
Es braucht andere Finanzierungsmöglichkeiten als die bereits vorhandenen. Eine Möglichkeit ist die Erweiterung der Regionalisierungsmittel. Dies sind Gelder, die der Bund den Ländern hauptsächlich für den Schienenpersonennahverkehr zur Verfügung stellt. Die Verkehrsminister der Länder haben bereits eine schrittweise Erhöhung der Mittel gefordert. SPD-Politiker Müller schlägt vor, eine zweite Säule der finanziellen Förderung aufzubauen, aus der die Mobilitätsgarantie bezahlt werden könnte. „Das Geld könnte aus den Einnahmen durch den CO2-Preis kommen“, erläutert Müller.
Reicht das aus?
Nein, sagt der VCD. Der Verband plädiert für eine dritte Finanzierungsquelle.
Länder sollen Kommunen ermächtigen, eine Abgabe von Dritten zu erheben. Die Kommunen entscheiden dann, wen sie zur Kasse bitten – zum Beispiel Autofahrer oder Unternehmen. Die Drittnutzerfinanzierung hält Jan Strehmann vom Deutschen Städte- und Gemeindebund für möglich. In einem Abschlussbericht des Bündnisses für moderne Mobilität, bei dem Bund, Länder und Kommunen beteiligt waren, wurde vereinbart, dass „wir die verschiedenen Finanzierungsoptionen unvoreingenommen diskutieren müssen“, sagt Strehmann. Denn: „Wir müssen die ÖPNV-Finanzierung noch breiter aufstellen, damit die ambitionierten Klimaschutzziele erreicht werden können und die Kommunen den notwendigen Handlungsspielraum erhalten.“
Gibt es Anfänge in Deutschland?
Im Koalitionsvertrag von Grünen und Union in Baden-Württemberg ist eine Mobilitätsgarantie verankert. Das Konzept sieht vor, dass alle Orte im Land von 5 Uhr morgens bis Mitternacht mit dem ÖPNV erreichbar sein sollen. Bis 2026 soll es zu den Hauptverkehrszeiten im ländlichen Raum einen Halbstundentakt und im Ballungsraum einen Viertelstundentakt geben. Ab 2030 wird das System erweitert. Dann sollen die Busse und Bahnen den ganzen Tag über im Halb- und Viertelstundentakt fahren. Die Kosten werden sich auf 600 Millionen Euro belaufen. Zur Finanzierung will das Land den Kommunen die Möglichkeit geben, eine Nahverkehrsabgabe einzuführen. Darum allerdings gibt es heftige Debatten, weil Kreise und Gemeinden dem Land vorwerfen, ein Versprechen zu geben, das in Teilen die Kommunen bezahlen müssen.
Sollen Autos abgeschafft werden?
Nein, sagen Grüne und SPD unisono. „Das Auto wird auch in den nächsten Jahren ein wichtiges Verkehrsmittel sein. Wir wollen es nicht obsolet machen. Es geht darum, attraktive Alternativen zu schaffen“, meint Fraktionsvize Oliver Krischer. „Das Auto abzuschaffen ist aus heutiger Sicht völlig unrealistisch. Stattdessen muss der öffentliche Nahverkehr so gut sein, dass die Bürger auf diesen zugreifen wollen“, betont SPD-Abgeordneter Müller.