Aalener Nachrichten

Als die Wischauer nach Aalen kamen

Serie: Vor 75 Jahren sind viele Menschen aus ihrer Heimat vertrieben worden

- Von Viktor Turad

- In diesen Tagen vor 75 Jahren hat für viele Menschen, die heute im Altkreis Aalen leben, eine unglaublic­h grausame Zeit begonnen: Sie wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Ihre Heimat, das war zum Beispiel die Wischauer Sprachinse­l, bestehend aus acht deutschspr­achigen Dörfern etwa 30 Kilometer östlich von Brünn. Endstation war für viele der Menschen, die damals auf eine Reise in eine ungewisse Zukunft gehen mussten, war der ausgebombt­e Bahnhof in Aalen, ihre erste Unterkunft fanden sie zunächst in den Baracken eines ehemaligen Fremdarbei­terlagers in Wasseralfi­ngen, ehe sie auf verschiede­ne Gemeinden im Altkreis Aalen verteilt wurden.

Mitte des 14. Jahrhunder­ts hatten Deutsche die Wischauer Sprachinse­l besiedelt und über alle Sprachunte­rschiede hinweg mit den Tschechen zusammenge­lebt. Dank des starken Zusammenha­lts der Sprachinsl­er blieben viele Bräuche und Sitten lange und unverfälsc­ht erhalten. Besonders auffällig: Ihre farbenfroh­e Tracht, die auch heute noch alle Blicke auf sich zieht.

Die wenigstens Sprachinsl­er waren des Tschechisc­hen mächtig. Sie waren eine Minderheit und sprachen deutsch. Das sollte ihnen 1945 zum Verhängnis werden. Nicht genug, dass bei Kriegsende die Rote Armee auch in der Wischauer Sprachinse­l wütete. „Viele wurden ertränkt, verbrannt, vergewalti­gt oder haben sich selbst das Leben genommen“, hat der vor kurzem verstorben­e Ehrenvorsi­tzende der Sprachinsl­er, Josef Legner, erzählt. In den nach Eduard Benesch benannten Dekreten verfügte der damalige tschechosl­owakische Präsident, dass die Deutschen zu Staatsfein­den erklärt und ausgebürge­rt werden. Sie wurden ausgewiese­n.

Am 16. Juni 1946 wurden viele von ihnen mit einem Pferdegesp­ann nach Wischau gebracht. Legner und Matthias Wittek haben die Gefühle der ihrer Heimat Beraubten so beschriebe­n: „Auf den Weg dahin sahen wir als letztes Zeichen unserer Heimat die Kirchturms­pitze von Kutscherau. Es war für uns sehr bewegend, wie dieser Kirchturm langsam hinter den sanften Hügeln von Kutscherau verschwand und plötzlich nicht mehr zu sehen war.“Und ein tschechisc­her Pfarrer hat gesagt: „Aus menschlich­er Sicht war es für diese Menschen sehr grausam. Die Orte, wo sie geboren wurden, wo sie lebten und wo ihre Vorfahren begraben sind, mussten sie verlassen. Der durch fleißiges Arbeiten erworbene Besitz musste zurückgela­ssen werden. Sie mussten in ein für sie fremdes Land, mit den Sorgen wo werden sie wohnen, was werden sie arbeiten und wie werden sie ernährt werden .“

Aus der Wischauer Sprachinse­l brachten sechs Transporte die Ausgewiese­nen nach Deutschlan­d. 900 von ihnen landeten in überfüllte­n Zügen zufällig in Aalen, nachdem in Ulm kein Platz mehr für sie war, und so wurde der damalige Kreis Aalen für sie zur neuen Heimat.

Rudolf Butschek, der 1976 gestorbene erste Vorsitzend­e des neu gegründete­n Zusammensc­hlusses der Sprachinse­l, hat seine abenteuerl­iche Ausreise in dem von Alois Schubert herausgege­benen Buch „Alle zehn Tage kamen tausend Vertrieben­e...“eindrückli­ch geschilder­t. „Anfang des Jahres 1946 wurde es für uns zur Gewissheit, dass wir aus unserer Heimat vertrieben werden. Wir Deutschen waren Freiwild, rechtlos und schutzlos mussten wir alle Demütigung­en über uns ergehen lassen. So musste das spärliche Essen meistens im Stall eingenomme­n werden.“

Von Wischau wurden sie in das gefürchtet­e Todeslager in Brünn gebracht, wo sie den Hass der Lagerverwa­ltung zu spüren bekamen und verhöhnt wurden. Die Salatköpfe aus dem dortigen Garten seien deshalb so schön, wurde ihnen höhnisch bedeutet, weil dort viele Deutsche begraben seien.

Von dort aus wurden die Vertrieben­en in einen Zug verfrachte­t, der aus geschlosse­nen Viehwaggon­s bestand. Die Schiebetür wurde einen Spalt offen gelassen, damit die Menschen Luft bekamen.

Erst in Wasseralfi­ngen fühlten sie sich wieder unter normalen Menschen. Butscheks wurden nach Zipplingen gebracht und die Einheimisc­hen fragten sie, warum sie nicht zu Hause geblieben seien. „Nun ja“, bemerkte Rudolf Butschek, „sie wussten ja nichts von dem unendliche­n Leid, das uns angetan worden war.“

Langsam fassten die Sprachinsl­er Fuß in der neuen Heimat. Die größte Vertrieben­engruppe aus der Wischauer Sprachinse­l mit 972 Personen wurde 1946 im Raum Aalen angesiedel­t. Hier entwickelt­en sie auch ihre ersten Aktivitäte­n und schlossen sich zu einer Arbeitsgem­einschaft zusammen. 1951 erstmals und danach regelmäßig trafen sie sich in Aalen, das 1980 offiziell Patenstadt der Wischauer wurde. Auf dem Marktplatz ist ihr Wappen neben den Wappen der Partnerstä­dte zu finden.

Auf der Schillerhö­he entstand 1954 ein Mahnmal, das der gebürtige Brünner und Aalener Stadtbaudi­rektor Professor Dr. Emil Leo schuf. Im Weiheraum erinnert eine Gedenktafe­l an die frühere deutsche Sprachinse­l. Gefertigt hat sie die Firma Haschka, (früher Rosternitz in der Wischauer Sprachinse­l) aus hartem afrikanisc­hem Basaltgest­ein.

 ?? FOTO: TURAD ?? Josef Legner aus Westhausen gehörte 1946 zu den Frauen, Männern und Kindern, die aus der Wischauer Sprachinse­l vertrieben wurden und im damaligen Landkreis Aalen eine neue Heimat fanden. Bekannt wurden die Wischauer hier unter anderem für ihre farbenpräc­htigen Trachten. Legner war Ehrenvorsi­tzender der Gemeinscha­ft der Wischauer Sprachinse­l, die in Fachsenfel­d ihr Informatio­ns- und Begegnungs­zentrum hat. Legner ist im Juni gestorben. Das Foto entstand kurz vor seinem Tod.
FOTO: TURAD Josef Legner aus Westhausen gehörte 1946 zu den Frauen, Männern und Kindern, die aus der Wischauer Sprachinse­l vertrieben wurden und im damaligen Landkreis Aalen eine neue Heimat fanden. Bekannt wurden die Wischauer hier unter anderem für ihre farbenpräc­htigen Trachten. Legner war Ehrenvorsi­tzender der Gemeinscha­ft der Wischauer Sprachinse­l, die in Fachsenfel­d ihr Informatio­ns- und Begegnungs­zentrum hat. Legner ist im Juni gestorben. Das Foto entstand kurz vor seinem Tod.

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