Als die Wischauer nach Aalen kamen
Serie: Vor 75 Jahren sind viele Menschen aus ihrer Heimat vertrieben worden
- In diesen Tagen vor 75 Jahren hat für viele Menschen, die heute im Altkreis Aalen leben, eine unglaublich grausame Zeit begonnen: Sie wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Ihre Heimat, das war zum Beispiel die Wischauer Sprachinsel, bestehend aus acht deutschsprachigen Dörfern etwa 30 Kilometer östlich von Brünn. Endstation war für viele der Menschen, die damals auf eine Reise in eine ungewisse Zukunft gehen mussten, war der ausgebombte Bahnhof in Aalen, ihre erste Unterkunft fanden sie zunächst in den Baracken eines ehemaligen Fremdarbeiterlagers in Wasseralfingen, ehe sie auf verschiedene Gemeinden im Altkreis Aalen verteilt wurden.
Mitte des 14. Jahrhunderts hatten Deutsche die Wischauer Sprachinsel besiedelt und über alle Sprachunterschiede hinweg mit den Tschechen zusammengelebt. Dank des starken Zusammenhalts der Sprachinsler blieben viele Bräuche und Sitten lange und unverfälscht erhalten. Besonders auffällig: Ihre farbenfrohe Tracht, die auch heute noch alle Blicke auf sich zieht.
Die wenigstens Sprachinsler waren des Tschechischen mächtig. Sie waren eine Minderheit und sprachen deutsch. Das sollte ihnen 1945 zum Verhängnis werden. Nicht genug, dass bei Kriegsende die Rote Armee auch in der Wischauer Sprachinsel wütete. „Viele wurden ertränkt, verbrannt, vergewaltigt oder haben sich selbst das Leben genommen“, hat der vor kurzem verstorbene Ehrenvorsitzende der Sprachinsler, Josef Legner, erzählt. In den nach Eduard Benesch benannten Dekreten verfügte der damalige tschechoslowakische Präsident, dass die Deutschen zu Staatsfeinden erklärt und ausgebürgert werden. Sie wurden ausgewiesen.
Am 16. Juni 1946 wurden viele von ihnen mit einem Pferdegespann nach Wischau gebracht. Legner und Matthias Wittek haben die Gefühle der ihrer Heimat Beraubten so beschrieben: „Auf den Weg dahin sahen wir als letztes Zeichen unserer Heimat die Kirchturmspitze von Kutscherau. Es war für uns sehr bewegend, wie dieser Kirchturm langsam hinter den sanften Hügeln von Kutscherau verschwand und plötzlich nicht mehr zu sehen war.“Und ein tschechischer Pfarrer hat gesagt: „Aus menschlicher Sicht war es für diese Menschen sehr grausam. Die Orte, wo sie geboren wurden, wo sie lebten und wo ihre Vorfahren begraben sind, mussten sie verlassen. Der durch fleißiges Arbeiten erworbene Besitz musste zurückgelassen werden. Sie mussten in ein für sie fremdes Land, mit den Sorgen wo werden sie wohnen, was werden sie arbeiten und wie werden sie ernährt werden .“
Aus der Wischauer Sprachinsel brachten sechs Transporte die Ausgewiesenen nach Deutschland. 900 von ihnen landeten in überfüllten Zügen zufällig in Aalen, nachdem in Ulm kein Platz mehr für sie war, und so wurde der damalige Kreis Aalen für sie zur neuen Heimat.
Rudolf Butschek, der 1976 gestorbene erste Vorsitzende des neu gegründeten Zusammenschlusses der Sprachinsel, hat seine abenteuerliche Ausreise in dem von Alois Schubert herausgegebenen Buch „Alle zehn Tage kamen tausend Vertriebene...“eindrücklich geschildert. „Anfang des Jahres 1946 wurde es für uns zur Gewissheit, dass wir aus unserer Heimat vertrieben werden. Wir Deutschen waren Freiwild, rechtlos und schutzlos mussten wir alle Demütigungen über uns ergehen lassen. So musste das spärliche Essen meistens im Stall eingenommen werden.“
Von Wischau wurden sie in das gefürchtete Todeslager in Brünn gebracht, wo sie den Hass der Lagerverwaltung zu spüren bekamen und verhöhnt wurden. Die Salatköpfe aus dem dortigen Garten seien deshalb so schön, wurde ihnen höhnisch bedeutet, weil dort viele Deutsche begraben seien.
Von dort aus wurden die Vertriebenen in einen Zug verfrachtet, der aus geschlossenen Viehwaggons bestand. Die Schiebetür wurde einen Spalt offen gelassen, damit die Menschen Luft bekamen.
Erst in Wasseralfingen fühlten sie sich wieder unter normalen Menschen. Butscheks wurden nach Zipplingen gebracht und die Einheimischen fragten sie, warum sie nicht zu Hause geblieben seien. „Nun ja“, bemerkte Rudolf Butschek, „sie wussten ja nichts von dem unendlichen Leid, das uns angetan worden war.“
Langsam fassten die Sprachinsler Fuß in der neuen Heimat. Die größte Vertriebenengruppe aus der Wischauer Sprachinsel mit 972 Personen wurde 1946 im Raum Aalen angesiedelt. Hier entwickelten sie auch ihre ersten Aktivitäten und schlossen sich zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen. 1951 erstmals und danach regelmäßig trafen sie sich in Aalen, das 1980 offiziell Patenstadt der Wischauer wurde. Auf dem Marktplatz ist ihr Wappen neben den Wappen der Partnerstädte zu finden.
Auf der Schillerhöhe entstand 1954 ein Mahnmal, das der gebürtige Brünner und Aalener Stadtbaudirektor Professor Dr. Emil Leo schuf. Im Weiheraum erinnert eine Gedenktafel an die frühere deutsche Sprachinsel. Gefertigt hat sie die Firma Haschka, (früher Rosternitz in der Wischauer Sprachinsel) aus hartem afrikanischem Basaltgestein.