Tödliches Zögern
Jetzt geht es darum, Menschenleben zu retten. Der Evakuierungseinsatz der Bundeswehr, angesichts der chaotischen Lage am Flughafen Kabul zunächst mit Problemen, scheint in Gang zu kommen. Die Bundesländer bereiten sich auf die kurzfristige Ankunft mehrerer Tausend Afghanen vor und fordern ein Bundesaufnahmeprogramm. Alles richtig, nur leider viel zu spät.
Es geht um Menschen, die sich auf Deutschland verlassen haben, die der Bundeswehr ihren Einsatz – wie auch immer man zu diesem steht – überhaupt erst ermöglicht haben, als Übersetzer, als lokale Verbindungsleute. Und es geht um jene Menschen, die in Afghanistan für die Werte einstanden, von denen man ihnen gesagt hat, es seien die des Westens. Man kann verstehen, wenn diese Menschen sich im Stich gelassen fühlen. Die Bundesregierung hat so lange gezögert, dass die Frage, wem sie noch helfen kann, nicht mehr in ihrer Hand liegt. Der Bundeswehreinsatz, der am Mittwoch vom Kabinett in aller Eile nachträglich gebilligt wurde, ist vom Wohlwollen der Taliban abhängig. Erforderlich für die Rettung sind auch Gespräche mit den als Terrorgruppe eingestuften Radikal-Islamisten, ohne dass Deutschland dabei Druckmittel in der Hand hätte. Ändern die Taliban ihre Haltung, ist Schluss.
Die potenziell tödliche Zögerlichkeit hat auch damit zu tun, dass Bundespolitiker nicht den Eindruck vermitteln wollten, es komme erneut eine große Zahl von Migranten nach Deutschland. Dabei ist schon die Forderung, 2015 dürfe sich „nicht wiederholen“im Grunde unseriös und verbreitet unnötig Unsicherheit, denn ein solches Szenario steht gar nicht im Raum. Nun garantiert CDU-Chef Armin Laschet die Aufnahme aller registrierten Ortskräfte und Vertreter der Zivilgesellschaft – diese Garantie werde er „als Kanzler“abgeben. Die paar Wochen bis zur Bundestagswahl, soll das wohl heißen, werden sich die Todesängste ausstehenden Ex-Mitarbeiter der Bundesrepublik Deutschland wohl noch gedulden können.