Das Geschäft mit den Virenkillern
Corona beschert den Herstellern mobiler Luftreinigungsgeräte eine Sonderkonjunktur
- Jan-Erik Raschke vom Ludwigsburger Filterspezialisten Mann + Hummel stellt sich in den kommenden Wochen und Monaten auf eine Sonderkonjunktur ein. Zwei Wochen ist es nun her, dass sich nach langem Hin und Her auch BadenWürttemberg zu einer Förderung mobiler Luftfilter in Schulen und Kindertageseinrichtungen durchgerungen hat. Und seitdem ziehen die Aufträge an. „Mehrere Hundert Geräte wurden bereits bestellt“, sagt Raschke im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Mit „mehreren Tausend Geräten“rechnet der Direktor der Sparte Luftfiltersysteme bei Mann + Hummel – allein in Baden-Württemberg.
Knapp 70000 Unterrichtsräume gibt es im Südwesten. Und auch wenn neuere Schulgebäude in der Regel mit fest installierten raumlufttechnischen Anlagen ausgerüstet sind und das Förderprogramm für mobile Luftfilter vor allem für Klassenräume mit eingeschränkter Lüftungsmöglichkeit gilt: Der Markt scheint groß. Ob der erwartete sprunghafte Anstieg der Nachfrage bedient werden kann ist aber offen. Noch, sagt Manager Raschke, sei Mann + Hummel kurzfristig lieferfähig. Die Lagerbestände seien voll und die Produktion laufe auf Hochtouren. Doch wer im September bestelle, werde sich voraussichtlich etwas gedulden müssen.
Ähnlich klingen die Einschätzungen bei Wettbewerbern wie Innofluid aus Kuchen im Kreis Göppingen oder Al-Ko Therm aus Jettingen-Scheppach. Die Unternehmen kritisieren, dass sich die Politik mit ihrer Entscheidung für eine Förderung von Luftfiltergeräten an Schulen viel Zeit gelassen habe. Dieses Zögern könne der Markt in Zeiten weltweit fragiler Lieferketten nur schwer kompensieren. Vor allem Ventilatoren, die mit Leiterplatten aus China ausgestattet sind, seien derzeit ein rares Gut, heißt es bei den Herstellern.
„Namhafte Zulieferer haben bereits Engpässe und mehrere Monate Lieferzeiten“, berichtet Raschke. „Das wird zu einem Flaschenhals bei der Produktion.“Hinzu komme, dass es in diesem Bereich nur sehr begrenzt Alternativprodukte am Markt gebe, die die hohen Qualitätsanforderungen seitens der Politik erfüllten.
Baden-Württemberg beispielsweise hat festgeschrieben, dass förderfähige Luftfilter das Raumvolumen in Klassenräumen mindestens fünfmal pro Stunde filtern müssen und ein Hepa-Filter der Klasse H13 oder H14 zum Einsatz kommt. Ein H14-Filter kann bis zu 99,99 Prozent der Viren, Bakterien und anderer Mikroorganismen aus der Luft abfangen. Ein weiteres Kriterium ist die Geräuschkulisse. Im Klassenraum darf von den Geräten im Normalbetrieb ein Schalldruckpegel von 35 Dezibel nicht überschritten werden, was in etwa der Lautstärke von Flüstern oder leiser Musik entspricht.
„Drei Viertel der Anbieter am Markt können diese Anforderungen nicht erfüllen“, sagt Martin Törpe, Manager bei Al-Ko Therm. Dennoch sei der Ansatz richtig, da so vermieden werde, dass Billiganbieter unzureichende Geräte an Kommunen verkauften. „Eine Vielzahl an Neueinsteigern und Opportunisten“, registriert auch Jan-Erik Rasche von Mann + Hummel. Um nicht an unseriöse Anbieter zu geraten sollten Käufer seiner Meinung nach nur Geräte bestellen, deren Hersteller auch die Filter selbst produzieren oder die im Bereich Lüftungs- und Klimatechnik langjährige Expertise haben. Idealerweise komme „von der Faser bis zum System“alles aus einer Hand, so Raschke.
Seit Corona herrscht Hochstimmung auf dem Markt für Desinfektionsund Luftreinigungssysteme. Mit Beginn der kühlen Jahreszeit, wenn sich das Leben wieder in die Räume verlagert, erhöht sich die Ansteckungsgefahr. Forscher sehen insbesondere in virushaltigen Aerosolen, winzigen Partikeln aus Spucke und Lungensekret, die beim Ausatmen an die Luft abgegeben werden und dort viele Minuten oder sogar Stunden verbleiben können, ein Risiko. Die Geräte versprechen mehr Sicherheit.
Doch der Nutzen von mobilen Luftfiltern ist in der Fachwelt umstritten. Wissenschaftler der GoetheUniversität Frankfurt zum Beispiel betonen als Ergebnis einer Studie, dass Luftreiniger der Filterklasse Hepa das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus deutlich verringern und empfehlen sie für Klassenräume. Forscher der Universität Stuttgart hingegen warnen: Mobile Geräte seien „keine Alternative zu einem Außenluftwechsel“und nur dort zur Unterstützung ratsam, wo es zu kleine oder zu wenige Fenster gebe. In einer Richtlinie für den Schulbetrieb unter Corona-Bedingungen hatten sich medizinische Fachgesellschaften, Robert-Koch-Institut, Bildungs- und Kinderschutzverbände weder klar dafür noch dagegen positioniert.
Kritiker wenden unter anderem ein, die Geräte seien für den Einsatz im Klassenzimmer zu laut, angesichts des Stromverbrauchs ökologisch nicht sinnvoll und erzeugten unangenehme Zugluft. Zudem wälzten sie die Raumluft nur um und könnten die notwendige Zufuhr frischer Luft daher nicht ersetzen. Befürworter verweisen auf den technischen Nutzen mobiler Filter bei der Virenreduktion und plädieren für ein
Zusammenspiel aller Maßnahmen, um die Infektionsgefahr einzudämmen. „Fachgerecht positioniert und betrieben ist ihr Einsatz wirkungsvoll, um während der Dauer der Pandemie die Wahrscheinlichkeit indirekter Infektionen zu minimieren“, heißt es auch beim Umweltbundesamt.
Dieser Einschätzung scheint man sich in vielen Kommunen im Südwesten anzuschließen. Bis zu 2,6 Millionen Euro will die Stadt Karlsruhe für mobile Luftreinigungsgeräte und CO2-Ampeln für Schulen und Kitas bereitstellen. Beschlüsse mit dem Fokus auf schwer lüftbare Schulräume haben Gemeinderäte auch in Reutlingen, Heilbronn, Konstanz, VillingenSchwenningen, Ravensburg und Bad Wurzach gefasst. In Bayern ist man vielerorts schon weiter, weil das entsprechende Förderprogramm deutlich früher als in Baden-Württemberg verabschiedet wurde. So konnten beispielsweise die von der Stadt Memmingen beim schwäbischen Hersteller Venta aus Weingarten bestellten 250 Luftreiniger bereits Ende Juli übergeben werden. Auch VentaChef Andreas Wahlich berichtet im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“von einem „expansiven Geschäft“und „vielen Anfragen“.
Wie nachhaltig das Geschäft mit mobilen Luftreinigern ist, lässt sich aktuell nur schwer beurteilen. Es spricht allerdings einiges dafür, dass es sich nicht um eine Eintagsfliege handelt. Zum einen genießt Gesundheitsprävention seit Corona einen höheren Stellenwert und nicht bloß die Schulen, sondern der gesamte Gebäudesektor in Deutschland ist unzureichend mit Lufttechnik ausgestattet. Zum anderen fördern Bund und Länder die Technik mit groß angelegten Förderprogrammen.
Baden-Württemberg etwa hat für mobile Luftfilter und CO2-Ampeln 70 Millionen Euro bereitgestellt – zehn Millionen Euro für Kitas sowie 60 Millionen Euro für Schulen. Dabei übernimmt das Land bis zu 50 Prozent der Kosten, maximal 2500 Euro pro Gerät.
Weitere 26 Millionen Euro sollen vom Bund hinzukommen, der Mitte Juli ein 200-Millionen-Euro-Paket hierfür zugesagt hat. Allerdings steht die Vereinbarung mit den Ländern dazu noch aus. Das „Handelsblatt“berichtete von inhaltlichem Streit zwischen Bund und Ländern: Die Länder würden eine Ausweitung auf alle Räume und nicht nur auf diejenigen mit eingeschränkter Lüftungsmöglichkeit fordern, schrieb die Zeitung. Eingeschränkt ist die Lüftung beispielsweise, wenn Fenster nur gekippt und nicht komplett geöffnet werden können.