„Aalen verliert mit Thilo Rentschler einen tollen OB“
Thomas Rühl, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler, hofft künftig auf einen faireren Umgang mit Frederick Brütting
- Als Treffpunkt für das Sommergespräch mit den „Aalener Nachrichten“hat Thomas Rühl, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler, wie die Jahre zuvor sein Haus im Tännich ausgewählt. Hier oberhalb der Friedrichstraße und in direkter Nachbarschaft zu den Tennisplätzen des TC Aalen fühlt er sich am wohlsten. Auf seiner lauschigen Terrasse, auf der sich nachts auch immer wieder Waschbären tummeln, kann er von der Arbeit im Gemeinderat abschalten und durchatmen. Dass Thilo Rentschler nicht mehr bei der OBWahl kandidiert hat, bedauert Rühl sehr. Wie sich die Zusammenarbeit der Freien Wähler mit dem neuen OB Frederick Brütting gestalten wird, kann er noch nicht sagen. „Dazu müssen wir ihn erst eine Zeit lang im Amt erleben.“
Alle Jahre wieder. Das Sommergespräch hat für Thomas Rühl, der seit 2014 Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler ist, mittlerweile Tradition. In diesem Jahr machte dieses seinem Namen allerdings keine Ehre. Denn von Sommer konnte beim Treffen mit den „Aalener Nachrichten“keine Rede sein. Wegen Regen fand das Gespräch mit dem sympathischen Kommunalpolitiker, dem der Schelm im Nacken sitzt, und der in vielen Antworten seiner Rolle als Entertainer und Comedian gerecht wird, deshalb nicht obligatorisch auf der Terrasse, sondern im Esszimmer seines Wohnhauses statt. Während Rühl den Kaffee durch die Maschine laufen lässt, bleibt Zeit, um sich umzusehen. An der Wand hinter dem Esszimmertisch hängt ein Bild vom Marktplatz, auf dem zwar kein Marktbrunnen, dafür jedoch noch das Lokal Schwanen zu sehen ist, das längst der Vergangenheit angehört. Auf die Arbeitszeichnung, die sein Vater Wilhelm Schmid 1936 als Kunstschreiner angefertigt hat, ist
Rühl ebenso stolz wie auf die Intarsien-Bilder, die dieser anhand der Zeichnung aus Furnierholz gefertigt hat, und die im Wohnzimmer an der Wand hängen.
Rühl ist ein Ur-Aalener und die Kreisstadt liegt ihm am Herzen. Deshalb hätte er es sich gewünscht, dass Thilo Rentschler nochmals als OB kandidiert hätte. „Er hat im politischen, kulturellen, baulichen und sachlichen Bereich sehr viele Dinge angestoßen.“Auch wenn einigen sein Tempo nach dem vorherigen Stillstand nicht gefallen habe, habe er mit seiner fleißigen und omnipräsenten Art Aalen vorangebracht und der Kreisstadt auch in der Region und im Ländle wieder einen Namen verschafft.
Rentschler sei es stets um das Wohl von Aalen gegangen, dafür habe er auch seine eigenen Bedürfnisse und die seiner Familie hinten angestellt. Das verdiene großen Respekt. Ab und an sei er angesichts seines immensen Einsatzes und Übereifers für die Stadt auch mal übers Ziel hinausgeschossen und habe den zweiten vor dem ersten Schritt getan, was im Gemeinderat nicht immer gut angekommen sei, sagt Rühl. Dennoch habe er die unfaire Behandlung durch zwei Fraktionen die vergangenen Jahre hindurch nicht verdient. Von Unsachlichkeit geprägt gewesen sei etwa die Diskussion um den StadtovalSteg. „Dieser ist allerdings kein Rentschler-Steg oder ein RentschlerDenkmal“, macht Rühl abermals deutlich. Die ersten Pläne seien bereits 2009/2010 auf dem Tisch gelegen und Rentschler habe nur das weiterführen und beenden wollen, was vor seiner Zeit als OB in Aalen angestoßen und geplant worden sei. Ihm daraus einen Strick zu drehen, sei nicht in Ordnung. Auf einen faireren Umgang hofft Rühl mit Blick auf den neuen OB in Person von Frederick Brütting.
Dass dieser das neue Stadtoberhaupt wird, sei bei seinen Konkurrenten nicht allzu überraschend gewesen. Er sei der Einzige gewesen, der das nötige Rüstzeug und die Erfahrung für das Amt mitbringt. Dass so mancher Mitbewerber geglaubt hat, quasi als Segler künftig einen Großtanker mit 1000 Angestellten im Rathaus fahren zu können, zeuge von enormen Selbstvertrauen. Das Bewerberfeld sei für Rühl auch eine Beleidigung für die Amtsinhaber der vergangenen Jahrzehnte gewesen. Selbst ein Martin Gerlach habe als Diplomverwaltungswirt mehr Rüstzeug mitgebracht als der Großteil der Kandidaten. Für Rühl sei es insofern notwendig, die Anforderungen für ein solches Amt zu ändern. „Es kann nicht sein, dass ein Bewerber nur vorweisen muss, zwischen 25 bis 67 Jahre alt zu sein, und dass gegen ihn kein Strafverfahren anhängig ist.“Ein solcher Bewerber, der darüber hinaus keine zum Amt passenden Qualifikationen nachweisen kann, würde in der freien Wirtschaft nicht einmal zum Bewerbergespräch geladen werden.
Wie sich eine Zusammenarbeit mit dem neuen Stadtoberhaupt in Person von Frederick Brütting gestaltet, kann Rühl nicht sagen. Dafür müsse dieser erst einmal eine gewisse Zeit im Amt sein. In der Vergangenheit sei den Freien Wählern immer unterstellt worden, zu OBfreundlich zu sein. Doch dem sei nicht so. „Wir sind allerdings keine ständig auf öffentliche Krawalle gebürstete Fraktion.Wir haben vielmehr vieles im Hintergrund geklärt.“Dem neuen OB werde die Fraktion unvoreingenommen gegenübertreten und ihm eine respektvolle Zusammenarbeit anbieten, die nicht von politischen Interessen geprägt ist.
Angesicht einer gespaltenen und geschrumpften CDU werde die Gemeinderatsarbeit nicht leichter und Brütting müsse mit noch mehr kleineren Gruppierungen zurechtkommen. Überdies würden die Mehrheitsbeschaffungen schwieriger werden. „Die Freien Wähler erwarten, dass der neue OB erst nach Abstimmung mit dem Gemeinderat
Lösungen zusagt. Denn dieser ist kein Abnickverein, sondern möchte ins Boot geholt werden.“Überdies wünschten sich die Freien Wähler kürzere Sitzungen und dass der neue OB der Ausschussarbeit analog zum Kreistag zu mehr Verbindlichkeit verhilft, damit nicht jedes Thema ein zweites Mahl ausführlich im Gemeinderat diskutiert werden muss.
Ob der OB-Posten für Brütting nur ein Sprungbrett zu Höherem ist, kann Rühl nicht sagen. Er gehe jedoch davon aus, dass er nicht schon nach einer Amtsperiode geht. Das habe er allerdings auch bei Thilo Rentschler gedacht. Ein ständiger Wechsel sei für eine Stadt kontraproduktiv. Seiner Ansicht nach – und da dringt wieder der Kabarettist durch – muss ein Stadtoberhaupt in einer zweiten Periode das mit auslöffeln, was er in der ersten den Bürgern eingebrockt habe.
Eine große Herausforderung für Brütting seien die wegen Corona ausgefallenen Steuereinnahmen vor allem im Bereich der Gewerbesteuer, sagt Rühl. Trotzdem sei es wichtig, bereits begonnene Baumaßnahmen zu Ende zu bringen. „Sonst haben wir anstatt eines Kombibads auf Jahre nur ein paar große Löcher im Hirschbach.“Einsparen könnte man laut Rühl vor allem im Bereich der Kindertagesstätten mit einer anderen Form der Finanzierung. Es würden Kita-Bauten bereits von allerhand fachfremden Vereinen geplant, die die Stadt dann zu 70 Prozent bezahlen müsse, und mit denen sich diese Vereine mit geringem Eigenaufwand dauerhaft Immobilienbesitz verschaffen würden. „Kita-Plätze sind enorm wichtig. Aber nicht um jeden Preis und nicht zum Millionennachteil der Aalener Bürger und ihres Steuergelds.“
Verschoben werden könnte für Rühl auch das 20 Millionen schwere Radwege-Programm. Ein solches zu finanzieren, sei in einer durch Corona angespannten Finanzlage ein Luxus. Ein Luxus seien auch die von der Stadt zahlreich in Auftrag gegebenen Gutachten und aufgelegte Prospekte und Broschüren. „Eine Broschüre zu Empfehlungen für eine gendergerechte Sprache muss sicherlich nicht sein“, sagt Rühl, der dafür appelliert, bei künftigen Projekten über bezahlbare Lösungen nachzudenken und nicht jeden noch so kleinen Spezialwunsch zu berücksichtigen.
Corona hat das Leben der Bürger verändert und Rühl hat große Angst, dass nichts mehr so sein wird, wie es einmal war. Das Virus habe die Bevölkerung in zwei Lager gespalten. Sein Wunsch ist es, dass diese wieder zueinander finden, die Gastronomie und der Einzelhandel irgendwann wieder ohne Erschwernisse öffnen können und Feste wieder stattfinden, um den Zusammenhalt der Aalener zu festigen.
„Der Stadtoval-Steg war nie ein Rentschler-Steg oder ein Rentschler-Denkmal.“
„Das Bewerberfeld war eine Beleidigung für die Amtsinhaber der vergangenen Jahrzehnte.“