Mit Haut und ohne Haar
Rasieren, epilieren, zupfen: Die Entfernung von Körperbehaarung hat eine lange Geschichte – Inzwischen regt sich Widerstand gegen den „Enthaarungs-Imperativ“
Ob mit Wachs, Apparaten oder Rasierklinge: Mit etwa zwölf Jahren beginnt für viele Mädchen eine Zeit der Arbeit und des Schmerzes. Meist beginnen in dem Alter nämlich an Achseln und Beinen erbarmungslos die Körperhaare zu sprießen. Besonders hart trifft es Menschen mit kräftiger, dunkler Behaarung. Etwa Ilayda: „Ich habe mich sehr früh mit dem Entfernen der Körperbehaarung beschäftigt und meinen Haaren mit allen möglichen Mitteln den Garaus gemacht“, berichtet sie im Rahmen der Ausstellung „Haarige Geschichten“in der Kunsthalle Bremen. „Wenn ich es nicht tat, habe ich mich wie ein kleines Äffchen gefühlt. Ich wollte aber lieber eine Frau mit einer glatten Haut sein.“
„Wie ein Affe“: Offenbar verfolgt den Menschen eine Art Urangst, optisch zu sehr an seine nahen Artverwandten zu erinnern. „Körperbehaarung gilt als primitiv, weil sie nah am Tierischen dran ist“, sagt Ada Borkenhagen, Psychologin am Universitätsklinikum Magdeburg. Bei Männern mag das eher durchgehen. Bei Frauen gilt ein animalischer Touch durch Fellreste aber weniger als sexy, sondern eher als abstoßend. Daher rücken die meisten ihrem Achsel-, Bein- und Schamhaar mit viel Akribie zu Leibe – insbesondere dann, wenn ein Schwimmbadbesuch den Blick auf weite Teile des Körpers freigibt. Insgesamt verbringen Frauen mehrere Wochen ihres Lebens mit Haarentfernung, wie Umfragen ergaben.
„Die Entfernung von Körperhaar ist zu einem allgemein bindenden Verhaltensstandard der in Deutschland lebenden Frauen geworden“, heißt es in einer Studie der Uni Leipzig von 2016. Sie ergab, dass sich mehr als 60 Prozent der Frauen regelmäßig die Achseln enthaaren und mehr als die Hälfte die Beine. Und mehr als 40 Prozent entfernen Haare in der Intimregion. Bei den Männern ist es immerhin jeder Vierte, der sich unter den Achseln und im Intimbereich enthaart, Beinbehaarung darf dagegen meist stehen bleiben. Für beide Geschlechter gilt: In jüngeren Altersgruppen ist der Anteil derer, die Körperbehaarung beseitigen, in der Regel deutlich höher als bei älteren.
Wozu der Stress? Handfeste Gründe für das Enthaaren gibt es kaum. Körperbehaarung ist keineswegs per se unhygienisch, wie Hautärzte betonen. Für Borkenhagen ist Enthaaren daher ein reiner Trend. „Nackte Haut ist das erste Modephänomen unserer Art“, sagt sie. „Die Haarlosigkeit insbesondere des weiblichen Körpers ist ein gutes Unterscheidungsmerkmal zu unseren Artverwandten.“Demnach sind vor allem „Weibchen“als Partnerinnen interessant, die wenig affenartige Merkmale aufweisen.
Aber: Ausgerechnet an den Achselhöhlen und in der Intimregion sind Affen spärlich behaart, gibt die Psychologin zu bedenken. Fellreste in diesen Regionen sind also eine menschliche Besonderheit. Müsste der Homo sapiens dann nicht gerade stolz auf sie sein? Diese Frage bleibt offen. Der Soziologe Johannes Krause von der Uni Düsseldorf hat einen anderen Ansatz. Er geht davon aus, dass es beim Ideal der Haarlosigkeit vor allem um Jugendlichkeit geht. „Ein haarloser Körper signalisiert, dass eine lange Reproduktionsphase bevorsteht.“Evolutionär bedingt gälten jugendlich wirkende Frauen als besonders attraktiv.
Neben dieser evolutionären Komponente habe Haarlosigkeit wie jedes andere Schönheitsideal auch eine soziale Komponente, sagt Krause. „Sie ist von Kultur zu Kultur und Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich.“In islamischen Kulturen etwa gehört die Entfernung von Achsel- und Schamhaaren zu den religiösen Reinlichkeitspflichten. Dagegen gilt in Japan volles Schamhaar bei Frauen als besonders schön, wie Borkenhagen berichtet. Auch in Mitteleuropa gab es über die Jahrhunderte hinweg immer wieder neue Strömungen. Schon im Mittelalter war den Menschen Körperhaarentfernung nicht fremd, schreibt Frank Gnegel in seinem Buch „Bart ab“. Eine größere Rolle begann sie ab dem 19. Jahrhundert zu spielen, als durchsichtige Stoffe und kurze Ärmel aufkamen. Gleichzeitig begann sich eine Kosmetikindustrie zu entwickeln, die Enthaarungsmittel auf den Markt brachte.
Ein gesellschaftliches Muss waren haarlose Achseln aber erst nach 1900, als ärmellose Kleider in Mode kamen. In Folge stieg die Nachfrage nach den ersten DamenNassrasierern sprunghaft an. Die Nazis jedoch lehnten solche Praktiken strikt ab und befanden, Kosmetik sei der deutschen Frau unwürdig. Das sah man in den 1950erJahren ganz anders. Damenrasierer wurden „unentbehrlich“, da inzwischen weit ausgeschnittene Badeanzüge und Abendkleider angesagt waren. Gegen diesen Enthaarungskult lief in Deutschland wiederum die 68er-Bewegung Sturm: „Üppige Bein-, Scham- und Achselbehaarung wurde nun zum Symbol der Befreiung gegen patriarchale Normen“, berichtet Borkenhagen. Der Trend zu vollem Körperhaar hielt sich nachhaltig. Noch in den 1980er-Jahren trat Nena mit üppig behaarten Achseln vor die Kamera: Während solche Bilder in Deutschland damals wenig Reaktionen auslösten, erfüllten sie die anglo-amerikanische Boulevardpresse mit Hass und Häme. Nach 1990 war es aber auch hierzulande vorbei mit dem Natürlichkeitstrend. In Zeiten immer knapperer Bikinis und Unterwäsche ging der Trend zum radikalen Enthaaren, der bis heute anhält.
Seit ein paar Jahren regt sich gegen den „Enthaarungs-Imperativ“aber wieder vehementer Widerstand. In den sozialen Netzwerken halten AktivistInnen aus der Bodypositivity-Bewegung fröhlich ihre behaarten Achseln ins Bild. Ist eine
’’ Körperbehaarung gilt als primitiv, weil sie nah am Tierischen dran ist.
Ada Borkenhagen, Psychologin
Trendwende in Sicht? „Ich bin da skeptisch“, sagt der Soziologe Krause. „Ich glaube nicht, dass solche Einzelfälle eine breite Wirkung erzielen können. Wünschenswert wäre es.“Immerhin hätte wohl Pablo Picasso an den Haarfans seine Freude gehabt: Auf einigen seiner Bilder, wie sie die Kunsthalle Bremen im Frühjahr ausstellte, sind nackte Frauen mit reichlich Achsel- und Schamhaar zu bewundern. Für die Bremer Kunsthalle waren sie Anlass für einen Aufruf, Fotos von Haaren aller Art und damit verbundene Geschichten einzureichen. Die Resonanz war groß: Mehr als 1000 Bilder samt Texten wurden eingesandt, von denen 60 im Rahmen der Ausstellung „Haarige Geschichten“(bis 19. September) gezeigt werden.
Damit möchte das Museum unterschiedlichen Gedanken rund um das Thema Haare sowie persönlichen Haar-Geschichten einen Raum geben und gängige Körper-, Gender- und Schönheitsnormen hinterfragen. Herausgekommen ist ein bunter Reigen ungewöhnlicher Bilder, Statements, Geschichten und Erinnerungen – manche davon amüsant, manche bedrückend, andere skurril. Eines der Fotos zeigt einen männlichen Oberkörper mit üppiger, dunkler Behaarung: Es stammt aus einer Serie von Porträts homosexueller Männer aus verschiedenen Ländern, die in ihrer Gay-Community Ablehnung erfahren hatten und sich nun in Berlin frei und attraktiv fühlen. Körperbehaarung und natürlicher Geruch sind in der dortigen Schwulenszene nämlich auch „ein Pluspunkt für die sexuelle Anziehungskraft“, wie Fotograf Matias Sauter Morera berichtet.
Eine andere Geschichte erzählt Ilayda, die unter ihrer starken Körperbehaarung litt und sich daher schon früh mit diversen Haarentfernungstechniken auseinandersetzte. Erst mit Mitte 20 las sie immer öfter von Frauen, die sich bewusst gegen das Enthaaren entschieden und das auch als Zeichen der Emanzipation bewerteten. „Bin ich nicht emanzipiert, nur weil ich mich enthaare?“, fragt sie sich. Ihr Statement führt eine Wahrheit vor Augen, die fast so schmerzhaft ist wie Wachsen und Zupfen: Frauen müssen sich in der Enthaarungsfrage positionieren. „Selbst wenn ich nichts mache, treffe ich eine Aussage“, sagt Ada Borkenhagen. „Die Wildnis kommt nicht zurück.“