Lichtkunst trifft auf Urgewalt
Farbenfroh und interaktiv geht es in der Schweizer Taminaschlucht noch bis Mitte Oktober zu
Hoch ragen die Felswände, unablässig tost das Wasser durch die dunkle, enge Klamm. Soweit, so natürlich. Wer aber am späten Nachmittag oder am Abend die Taminaschlucht im Kanton St. Gallen betritt, erlebt zusätzlich zum Naturschauspiel auch noch tanzende Spiralen, Kringel und Figuren auf der felsigen Leinwand.
Blinzel, blinzel – ganz schön dunkel hier: Die Augen müssen sich erst einmal an die veränderten Lichtverhältnisse im Stollen gewöhnen, der mal blau, mal türkis, mal magenta beleuchtet wird. Sicher, Lichtkunst braucht Kontrast. Und so tapsen wir entlang der Thermalwasserleitung zunächst noch etwas vorsichtiger, später dann selbstsicherer voran. Mehr als zehn Jahre reist das Wasser durch den Untergrund bis es an der Taminaquelle mit 36,5 Grad Celsius austritt. 5000 bis 8000 Liter sprudeln dort pro Minute heraus. Da ist es nicht verwunderlich, dass der Bäderbetrieb hier Tradition hat. Die 2015 erneuerte Leitung transportiert das flüssige Gut von der Quelle in den Kurort.
Der ein Kilometer lange Rundweg mit den Lichtinstallationen beginnt am Alten Bad Pfäffers, dem ältesten erhaltenen Barockbad in der Schweiz. Von der Innenstadt windet sich ein breiter aber unbeleuchteter Schotterweg knapp vier Kilometer entlang der Tamina dort hinauf. Immer wieder laden Bänke Fußgänger zum Verweilen ein. Private Fahrzeuge, Fahrräder oder Scooter haben auf der Strecke nichts verloren, sie ist Wanderern, dem Postbus und den Kutschen der „Rössliposcht“vorbehalten. Im „Light Ragaz“-Ticket sind die Extrafahrten mit dem Bus bereits inklusive – ohne Anspruch auf Sitzplatz allerdings.
Zurück im Stollen: Ein bisschen erinnern die bunten Formen auf der Wand an Mikroorganismen aus dem Biologiebuch, im nächsten Moment an Tintenkleckse aus dem Rorschachtest, dann an Bewohner einer farbenprächtigen Unterwasserwelt, als nächstes an entfernte Galaxien und schließlich an lauter kleine Splitter. Verspielt gehen die Szenen ineinander über – immer und immer wieder. Elf Installationen befinden sich auf dem Rundweg, manche von ihnen üben – teilweise auch in Verbindung mit Musik – eine fast schon hypnotische Wirkung aus. Stundenlang könnten sie einen in ihren Bann ziehen.
Die Kunstwerke leben von Dynamik – und häufig von der Interaktion. Mal dient die eigene Stimme dazu, die Darstellung zu beeinflussen, mal helfen Schalter oder Tasten bei der Veränderung. Eine große Rolle spielt auch das Wasser – ob nun beim Wasserspiegel, dem Wasserpiano oder der Wasserdisco.
Von den Dimensionen her erinnert eine der Konstruktionen ein wenig an einen Tischkicker. Es fehlen zwar die Figuren, stattdessen befindet sich in dem verschlossenen Plexiglasbehälter Wasser. Und mit frisch desinfizierten Händen lassen sich über mehrere Hebel Wellen erzeugen. Diese wogen dann als Abbildung über die Wand.
Im Pumpraum wartet das Wasserpiano auf Spieler. Mit Bedienen der verschiedenen Tasten schweben verschiedene Lichtelemente durch den Raum. Bei der Wasserdisco übernimmt der Besucher die Rolle des DJs. Er steuert das Geschehen aber nicht mittels Mischpult, sondern indem er einen Wasserstrahl unterbricht. So erklingen dann Klassiker der Discomusik und rote, blaue und grüne Spots sorgen für Clubstimmung. Nach einer kleinen Tanzeinlage zu „Stayin’ Alive“geht es in die Schlucht über.
Auch wenn von oben wenig Licht durchkommt, noch lassen sich am späten Nachmittag die Konturen der Felswände erahnen. Auf dieser 80 Meter hohen Kulisse spielen sich die letzten vier Installationen ab. Fließend gehen die Formen ineinander über, an manchen Stellen wird es eindrücklich figürlich. Da erscheinen auf dem dunklen Stein schon mal Gebäude oder plastisch wirkende Tiere. Auch das eigene Gesicht lässt sich auf die Felswand projizieren.
Dazu muss der Kopf in einen gelb leuchtenden Rahmen gehalten werden – den Rest übernimmt die Technik. Wir sind mal so frei zu behaupten: Dahinter steckt immer ein kluger Kopf.
Noch bis 16. Oktober ist dienstags bis sonntags der Besuch von „Light Ragaz“möglich. Die erste Fahrt mit dem Postauto vom Hotel Krone startet um 17 Uhr, die letzte um 20.20 Uhr, freitags und samstags um 21.40 Uhr. An Freitagen, Samstagen und Feiertagen kostet der Eintritt CHF 33 pro Person, an den restlichen Tagen CHF 25. Für Menschen mit Klaustrophobie oder Photophobie ist der Besuch nicht geeignet. Infos und Tickets unter www.lightragaz.com
Alle Ausflugstipps der „Sommerzeit“-Serie finden Sie auch unter www.schwäbische.de/sommerzeit