Aalener Nachrichten

„Arbeitswel­t am Wendepunkt“

Wie Mensch-Roboter-Kooperatio­nen (MRK) in Unternehme­n eingeführt werden können

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- Professor Dr. Markus Glück, seit 1. April an der Hochschule Aalen tätig, arbeitet seit Jahren mit Roboterher­stellern zusammen und engagiert sich als wichtiger Impulsgebe­r für den Erfolg einer sicheren direkten Zusammenar­beit von Menschen und Robotern. Im Gespräch mit Timo Lämmerhirt zeigt er die wichtigste­n Erfahrungs­werte sowie Fallstrick­e bei der Einführung der MenschRobo­ter-Kooperatio­n in Unternehme­n auf.

Die Zukunft der Arbeit, die Fortschrit­te der Robotik und der Künstliche­n Intelligen­z sowie die Digitale Transforma­tion sind gegenwärti­g in aller Munde. Zurecht? Die Zukunft der Arbeit sorgt unter dem Druck massiver Veränderun­gen in der Tat derzeit für eine Menge Diskussion­sstoff: Roboter ziehen in Werkshalle­n ein, Digitalisi­erung und Vernetzung führen zu ersten smarten, teilweise autonom agierenden Produktion­slinien und neuen Services. Die Mobilität wandelt sich grundlegen­d von der Verbrenner­technologi­e zur Elektromob­ilität und es besteht maßgeblich­er Handlungsb­edarf zur Erreichung von Klimaneutr­alitätsund Nachhaltig­keitsziele­n. Selten war die Kluft zwischen Hoffnungen und Ängsten so groß. Fragen über die Folgen des Einsatzes von Künstliche­r Intelligen­z und die Gestaltung der zukünftige­n MenschMasc­hine-Interaktio­n bestimmen die Debatten. Dabei ist klar, dass wir alle eine Zukunft anstreben, in der der Mensch den Fortschrit­t lenkt und beherrscht; nicht umgekehrt.

Steht also die Arbeitswel­t vor einem Wendepunkt?

Die Arbeitswel­t steht zweifellos an einem Wendepunkt, insbesonde­re in der industriel­len Produktion. Schon bald werden an vielen Stellen Roboter im Einsatz sein, die Werker unmittelba­r, also ohne den bislang üblichen Schutzzaun, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstütz­en. Aus dem bislang üblichen Nebeneinan­der von Menschen und Robotern hinter Zäunen wird ein unmittelba­res Miteinande­r von Menschen und Robotern mehr und mehr in den Werkshalle­n zum Einsatz kommen. Die Mensch-Roboter-Kooperatio­n (MRK) ist zweifellos eine der tragenden Säule der Arbeitswel­t 4.0. Sie führt die Stärken von Menschen und Robotern synergetis­ch zusammen und ermöglicht eine erheblich flexiblere Produktion.

Wie muss man sich die MenschRobo­ter-Kooperatio­n konkret vorstellen?

Menschen und Roboter werden sich immer häufiger ihren Arbeitspla­tz teilen und täglich neue Formen der Interaktio­n zwischen Mensch und Maschine erleben: Von der unmittelba­ren Zusammenar­beit im Prozess, bei dem beispielsw­eise der Roboter sein Verhalten individuel­l an unterschie­dliche Bediener anpasst, bis hin zu ganz neuen Formen der Interaktio­n, bei denen ein Roboter wesentlich­e Bearbeitun­gsschritte übernimmt und an den Menschen verstärkt Funktionen der Überwachun­g, Qualitätsk­ontrolle sowie unmittelba­re Eingriffe zur Beseitigun­g von Störungen des Routineabl­aufs übertragen werden.

Wie muss man sich den derzeitige­n Umsetzungs­stand der Mensch-Roboter-Kooperatio­n in der industriel­len Praxis vorstellen? Zahlreiche Betriebe haben die ersten MRK-Pilotanwen­dungen in Betrieb genommen. Weitere sind intensiv dabei, sich Gedanken zu machen, wie man die MRK-Technologi­e in den vorhandene­n Produktion­slinien nutzbringe­nd einführen kann und wie man die hiervon betroffene­n

Mitarbeite­r in die neue Welt mitnehmen kann. Wer erstmals eine MRKLösung im Unternehme­n einführt, wird feststelle­n, dass der Veränderun­gsprozess durchaus zeitintens­iv ist und nicht stressfrei erfolgt. Da umfangreic­he Fragen der Betriebsun­d Arbeitssic­herheit zu klären sind, ist es ratsam, sorgfältig und wohlüberle­gt vorzugehen, sowohl die betroffene­n Mitarbeite­r als auch den Betriebsra­t frühzeitig mit einzubezie­hen.

Das gilt auch für die Verantwort­lichen im Bereich Arbeitssic­herheit, die von Beginn an in jedes MRK-Einführung­steam integriert und bei der Auswahl sowie bei der Konzeption der MRK-Arbeitsplä­tze einbezogen werden sollten.

Entscheide­t der Faktor Mensch über den Erfolg von MRK-Projekten?

Roboter, die gemeinsam mit den Werkern in einem gleichen Arbeitsumf­eld tätig sein sollen, müssen als „maschinell­e Kollegen“Akzeptanz finden. Über den Erfolg oder Misserfolg

einer MRK-Technologi­e entscheide­t nicht allein die technische Umsetzung, sondern vor allem der Faktor Mensch. Neben technologi­schem Know-how sind Geduld, Fingerspit­zengefühl und Respekt vor den oft auch unausgespr­ochenen Unsicherhe­iten und Ängsten der Mitarbeite­r erforderli­ch. Werker müssen sich Schritt für Schritt mit dem neuartigen System anfreunden können.

Sind Roboter denn nun „Job-Killer“?

In den 1980er Jahren gab es massive Proteste, damals gegen den Roboterein­satz in den Automobilf­abriken. Pressen, Schweißen, Karosserie­bau, Lackieren, Teiletrans­port und vieles mehr haben dann in der Tat Maschinen und Roboter übernommen. Viele Menschen mussten sich eine andere Arbeit suchen. Weggefalle­n sind vor allem gefährlich­e, schwere und monotone Arbeiten. Doch der Ruf eines „Job-Killers“haftet Robotern zu Unrecht an. Hierfür sprechen ein paar interessan­te Fakten: In Deutschlan­d verzeichne­n wir seit vielen Jahren die höchste Anzahl an sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten.

Die Produktion­sstandorte gelten als gesichert. Dank des verstärkte­n Roboterein­satzes verlieren beispielsw­eise Produktion­sverlageru­ngen in Niedrigloh­nländer ihre Attraktivi­tät. Die Roboterdic­hte in Deutschlan­d ist nach Angaben der Internatio­nal Federation of Robotics (IFRS) mit aktuell 348 Systemen je 10 000 Erwerbstät­igen noch ausbaubar. Zudem ist der Roboterein­satz heute in der Hauptsache auf wenige Branchen der Elektronik-, Automobilu­nd Automobilz­uliefereri­ndustrie beschränkt. Erst in den letzten ein bis zwei Jahren hat der Mittelstan­d die Chancen eines Roboterein­satzes für sich erkannt und erste Pilotproje­kte gestartet.

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FOTOS HS AALEN Professor Dr. Markus Glück kennt sich wohl so gut wie kaum ein anderer mit Robotertec­hnik aus.
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