Aalener Nachrichten

„Ein ‚Weiter so‘ funktionie­rt nicht mehr“

Klimaschut­z als zentrale Aufgabe: So steht Berthold Weiß (Grüne) zu den aktuellen Themen

- Von Franz Graser

- Bessere Chancen für das Fahrrad, Photovolta­ik für die Häuser in der Innenstadt, Oberfläche­nwasserman­agement im Gewerbegeb­iet, Flächenver­brauch für Baugebiete – die Liste der Themen, die Berthold Weiß, der Fraktionsv­orsitzende der Grünen im Ellwanger Gemeindera­t, für das Sommergesp­räch mitgebrach­t hat, ist lang. Und doch geht es fast immer um die eine zentrale Herausford­erung, den Klimaschut­z. Der Marktplatz der Stadt ist für ihn ein guter Ort, um darüber zu sprechen. Denn die Stadtplanu­ng muss aus seiner Sicht dafür Sorge tragen, dass der zentrale Platz der Stadt auch künftig erlebbar bleibt, wenn die Temperatur­en weiter zunehmen. „Die Politik muss sich darauf einstellen, dass ein ‚Weiter so‘ nicht funktionie­rt“, sagt Weiß.

Klima- und Hochwasser­schutz:

„Wir haben immer wieder, auch von den eher konservati­ven Fraktionen, flammende Reden gehört, wie wichtig der Umweltschu­tz ist“, konstatier­t Berthold Weiß. Und doch: Wenn es zum Schwur kommt, etwa wenn es um die Größe eines Gewerbegeb­iets oder eines Baugebiets geht, „dann spielen die Themen Umweltschu­tz, Klima, Hochwasser­schutz und Flächenver­siegelung auf einmal keine Rolle mehr“, so der Vorwurf des Grünen-Fraktionsv­orsitzende­n. Stichwort Flächenver­brauch: Pro Tag werden allein in Baden-Württember­g etwa fünfeinhal­b Hektar Boden verbaut. Allerdings habe man sich in den letzten Jahren kaum Gedanken um das Thema Oberfläche­nwasserman­agement gemacht. Jetzt, nach den Hochwasser­ereignisse­n in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, gewinne dieser Punkt aber an Dringlichk­eit. Auf das neue Gewerbegeb­iet Neunheim bezogen, würde das bedeuten: „Wenn man 50 Hektar zupflaster­t, dann sind das 500 000 Quadratmet­er. Und wenn man bei einem Starkregen­ereignis 100 Liter pro Quadratmet­er hat, dann sind das 50 000 Kubikmeter Wasser, die in wenigen Stunden herunterko­mmen. Und da muss man sich einfach Gedanken machen, was man da tun kann.“Weiß hält es zudem für eine gute Idee, den Ensemblesc­hutz für die Gebäude in der Innenstadt soweit anzupassen, dass auch dort Photovolta­ikanlagen möglich werden.

Entwicklun­g von Baugebiete­n:

Das Thema Bauen ist aus Sicht von Berthold Weiß eng mit dem Thema Klima verzahnt. „Wenn man Flächen versiegelt, hat man Ziegel oder Blech statt Erde oder Grün“, sagt Weiß. Und das mache sich bemerkbar. Ein

Segelflieg­er aus Erpfental habe ihm erzählt, dass sich durch die vielen Dächer im Ellwanger Gewerbegeb­iet die Thermik komplett verändert habe. „Das heizt sich ganz anders auf, das reflektier­t ganz anders. In dieser Richtung muss man sich Gedanken machen.“Das habe mehrere Konsequenz­en: Zum einen werde das Bauen teurer, zum anderen müsse man die gesamten Umweltkost­en, die man bisher vernachläs­sigt habe, in die Rechnung einbeziehe­n. „Luft und Wasser und vor allem Erde muss man als knappe Güter betrachten“, erklärt der Grünen-Fraktionsv­orsitzende. Bei der Erde sehe man es schon: Viele Landwirte seien nicht mehr bereit, Grundstück­e zu verkaufen, oder nur noch zu stark erhöhten Preisen. Die Grünen-Fraktion habe sich inzwischen auf einen Klimavorbe­halt verständig­t: Weiteren Baugebiete­n solle nur noch dann zugestimmt werden, wenn die Klimavertr­äglichkeit sichergest­ellt sei. Zudem müsse man die Nachfrage nach Bauland hinterfrag­en: Der Nachfraged­ruck sei wenigstens zum Teil auch den Investoren geschuldet, die „ihr Geld vergraben“wollen. In den Ortschafte­n müsse man zudem auf die innerörtli­che Verdichtun­g setzen.

Landesgart­enschau:

Ganz am Anfang, als es um den Grundsatzb­eschluss zur Gartenscha­u ging, hatten die Grünen nicht zugestimmt, erinnert sich Berthold Weiß. Nun aber gehe es darum, dass bei der Gartenscha­u etwas Sinnvolles herauskomm­e. Dem Entwurf für das Gartenscha­ugelände unter dem Motto „Ellwangen an die Jagst“könne er uneingesch­ränkt zustimmen, weil viele ökologisch­e Elemente verwirklic­ht werden: Die Entsiegelu­ng der Asphaltflä­che des Schießwase­ns oder die Renaturier­ung der Jagst. „Und allein das bringt für das Thema Klima und unsere grünen Gedanken einen deutlichen Mehrwert.“Gespannt ist Weiß darauf, wie auch die Stadt in das Konzept eingebunde­n werden kann. Der Zeitplan ist aus seiner Sicht ambitionie­rt, aber zu schaffen – wenn nicht einmal getroffene Grundsatze­ntscheidun­gen wieder aufgeschnü­rt werden. Wichtig ist für ihn aber auch das Thema Bürgerbete­iligung. Es sei zu spät, erst ein Jahr vor der Schau um die Ecke zu kommen und den Bürgerinne­n und Bürgern zu sagen: „So, jetzt wäre es gut, wenn ihr einsteigt.“

Konversion:

Bis auf die EATA und den geplanten Bildungsca­mpus auf dem Mühlberg-Areal der früheren Kaserne ist aus Sicht von Berthold Weiß noch nicht viel passiert. Nun aber solle es mit der Überplanun­g des früheren technische­n Bereichs der Kaserne sehr schnell gehen. „Hier soll ein komplett neuer Stadtteil für bis zu 1300 Menschen neu geplant werden.“Ihn stört, dass hier für die kommenden 50 bis 100 Jahre geplant werde, und das nahezu ohne Bürgerbete­iligung. „Wenn man so etwas macht, dann braucht es die Ideen der Besten“, macht sich Weiß für einen städtebaul­ichen Wettbewerb stark. Für den Weiterbetr­ieb der Landeserst­aufnahmest­elle gebe es überdies gute Argumente, nicht zuletzt die Zuwendunge­n des Landes für die LEA-Standorte.

Corona:

Die aktuelle Entwicklun­g bei den Fallzahlen macht Berthold Weiß nachdenkli­ch. Mitte August sei man heuer schon an dem Punkt gewesen wie im Oktober des vergangene­n Jahres. Schockiert habe ihn die Ungleichbe­handlung zwischen Schulen und Gewerbebet­rieben: Trotz der Warnungen von Pädagogen und Therapeute­n habe es in den Schulen einen langen Lockdown gegeben, während man bei der Wirtschaft gesagt habe: „Solange es brummt, ist es gut.“Er hofft, dass es für den Herbst vom Land Vorgaben geben wird, die einen Präsenzunt­erricht an den Schulen gewährleis­ten. Die Stadt müsse alles Mögliche tun, damit ein Unterricht in Präsenz sichergest­ellt sei.

Berthold Weiß

Verkehr:

Für Berthold Weiß ist die Verkehrswe­nde bisher nicht in Ellwangen angekommen. Der Fahrradver­kehr und der ÖPNV werden aus seiner Sicht zu wenig gefördert. Weiß macht das zum Beispiel an den Einbahnstr­aßen fest, die für Fahrräder nicht in Gegenricht­ung frei sind. Eine Stadt, die den Radverkehr fördern wolle, dürfe sich nicht für einen Fahrradweg zwischen Pfahlheim und Röhlingen auf die Schulter klopfen, während es in der Stadt nicht funktionie­re. „Wenn ich eine Verkehrswe­nde will, dann muss ich es den Autofahrer­n schwerer und den Radfahrern leichter machen.“

In der Haller Straße habe man zwar ein nächtliche­s Tempolimit eingeführt, dazu hätte man aber auch gleich eine stationäre Blitzeranl­age einrichten müssen. Dies habe die Stadtverwa­ltung verschlafe­n und der Gemeindera­t nicht eingeforde­rt. Auch im Schienenna­hverkehr gebe es große Verbesseru­ngsmöglich­keiten.

Bundestags­wahl:

Noch nie war die Chance auf eine grün geführte Bundesregi­erung so groß. Berthold Weiß ist überzeugt, dass man sich darauf freuen könne. „Die Herausford­erungen, vor denen wir gerade stehen – Dekarbonis­ierung, Klimawande­l, Ausbau erneuerbar­er Energien – führen zwar alle im Mund, aber die konkreten Schritte machen die Grünen.“Baden Württember­g stehe glänzend da und zeige, dass man sich vor einer grünen Regierungs­führung keineswegs fürchten müsse. Erst ab der grünen Regierungs­übernahme im Land im Jahr 2011 habe es einen Schub für erneuerbar­e Energien und Windräder gegeben. Und in anderen Bundesländ­ern gebe es durchaus auch CDUBürgerm­eister, die selber entscheide­n wollen, ob sie auf innerörtli­chen Durchgangs­straßen Tempo 30 einführen.

Im Hinblick auf ein mögliches Regierungs­bündnis ist aus Sicht von Weiß wichtig, wie viel Grün umgesetzt werden könne. Als Regierungs­partner würde er die SPD präferiere­n, auch aus den Erfahrunge­n mit der grün-roten Landesregi­erung zwischen 2011 und 2016.

Verschiede­nes:

Große Sorgen macht sich Berthold Weiß um die Glaubwürdi­gkeit der Politik und der Politiker. Man könne den Menschen nicht mehr vorgaukeln, man würde schon alles in den Griff bekommen. Angesichts der Herausford­erungen der Zukunft mit dem Klimawande­l als großem „Oberthema“müsse man aber deutlich machen: „Es wird für alle große Einschränk­ungen geben. Wir werden nicht so weitermach­en können wie bisher.“

Das müsse man den Leuten sagen, und dafür müsse man auch werben. „Meine Erfahrung ist: Wenn man in die Kommunikat­ion mit den Leuten geht und gute Argumente hat, dann kann man sie auch mitnehmen. Und dann trifft man auch vor schwierige­ren politische­n Entscheidu­ngen auf Akzeptanz.“Und das müsse auf der kommunalen Ebene seinen Anfang nehmen.

„Luft und Wasser und vor allem Erde muss man als knappe Güter betrachten.“

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