„Ein ‚Weiter so‘ funktioniert nicht mehr“
Klimaschutz als zentrale Aufgabe: So steht Berthold Weiß (Grüne) zu den aktuellen Themen
- Bessere Chancen für das Fahrrad, Photovoltaik für die Häuser in der Innenstadt, Oberflächenwassermanagement im Gewerbegebiet, Flächenverbrauch für Baugebiete – die Liste der Themen, die Berthold Weiß, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Ellwanger Gemeinderat, für das Sommergespräch mitgebracht hat, ist lang. Und doch geht es fast immer um die eine zentrale Herausforderung, den Klimaschutz. Der Marktplatz der Stadt ist für ihn ein guter Ort, um darüber zu sprechen. Denn die Stadtplanung muss aus seiner Sicht dafür Sorge tragen, dass der zentrale Platz der Stadt auch künftig erlebbar bleibt, wenn die Temperaturen weiter zunehmen. „Die Politik muss sich darauf einstellen, dass ein ‚Weiter so‘ nicht funktioniert“, sagt Weiß.
Klima- und Hochwasserschutz:
„Wir haben immer wieder, auch von den eher konservativen Fraktionen, flammende Reden gehört, wie wichtig der Umweltschutz ist“, konstatiert Berthold Weiß. Und doch: Wenn es zum Schwur kommt, etwa wenn es um die Größe eines Gewerbegebiets oder eines Baugebiets geht, „dann spielen die Themen Umweltschutz, Klima, Hochwasserschutz und Flächenversiegelung auf einmal keine Rolle mehr“, so der Vorwurf des Grünen-Fraktionsvorsitzenden. Stichwort Flächenverbrauch: Pro Tag werden allein in Baden-Württemberg etwa fünfeinhalb Hektar Boden verbaut. Allerdings habe man sich in den letzten Jahren kaum Gedanken um das Thema Oberflächenwassermanagement gemacht. Jetzt, nach den Hochwasserereignissen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, gewinne dieser Punkt aber an Dringlichkeit. Auf das neue Gewerbegebiet Neunheim bezogen, würde das bedeuten: „Wenn man 50 Hektar zupflastert, dann sind das 500 000 Quadratmeter. Und wenn man bei einem Starkregenereignis 100 Liter pro Quadratmeter hat, dann sind das 50 000 Kubikmeter Wasser, die in wenigen Stunden herunterkommen. Und da muss man sich einfach Gedanken machen, was man da tun kann.“Weiß hält es zudem für eine gute Idee, den Ensembleschutz für die Gebäude in der Innenstadt soweit anzupassen, dass auch dort Photovoltaikanlagen möglich werden.
Entwicklung von Baugebieten:
Das Thema Bauen ist aus Sicht von Berthold Weiß eng mit dem Thema Klima verzahnt. „Wenn man Flächen versiegelt, hat man Ziegel oder Blech statt Erde oder Grün“, sagt Weiß. Und das mache sich bemerkbar. Ein
Segelflieger aus Erpfental habe ihm erzählt, dass sich durch die vielen Dächer im Ellwanger Gewerbegebiet die Thermik komplett verändert habe. „Das heizt sich ganz anders auf, das reflektiert ganz anders. In dieser Richtung muss man sich Gedanken machen.“Das habe mehrere Konsequenzen: Zum einen werde das Bauen teurer, zum anderen müsse man die gesamten Umweltkosten, die man bisher vernachlässigt habe, in die Rechnung einbeziehen. „Luft und Wasser und vor allem Erde muss man als knappe Güter betrachten“, erklärt der Grünen-Fraktionsvorsitzende. Bei der Erde sehe man es schon: Viele Landwirte seien nicht mehr bereit, Grundstücke zu verkaufen, oder nur noch zu stark erhöhten Preisen. Die Grünen-Fraktion habe sich inzwischen auf einen Klimavorbehalt verständigt: Weiteren Baugebieten solle nur noch dann zugestimmt werden, wenn die Klimaverträglichkeit sichergestellt sei. Zudem müsse man die Nachfrage nach Bauland hinterfragen: Der Nachfragedruck sei wenigstens zum Teil auch den Investoren geschuldet, die „ihr Geld vergraben“wollen. In den Ortschaften müsse man zudem auf die innerörtliche Verdichtung setzen.
Landesgartenschau:
Ganz am Anfang, als es um den Grundsatzbeschluss zur Gartenschau ging, hatten die Grünen nicht zugestimmt, erinnert sich Berthold Weiß. Nun aber gehe es darum, dass bei der Gartenschau etwas Sinnvolles herauskomme. Dem Entwurf für das Gartenschaugelände unter dem Motto „Ellwangen an die Jagst“könne er uneingeschränkt zustimmen, weil viele ökologische Elemente verwirklicht werden: Die Entsiegelung der Asphaltfläche des Schießwasens oder die Renaturierung der Jagst. „Und allein das bringt für das Thema Klima und unsere grünen Gedanken einen deutlichen Mehrwert.“Gespannt ist Weiß darauf, wie auch die Stadt in das Konzept eingebunden werden kann. Der Zeitplan ist aus seiner Sicht ambitioniert, aber zu schaffen – wenn nicht einmal getroffene Grundsatzentscheidungen wieder aufgeschnürt werden. Wichtig ist für ihn aber auch das Thema Bürgerbeteiligung. Es sei zu spät, erst ein Jahr vor der Schau um die Ecke zu kommen und den Bürgerinnen und Bürgern zu sagen: „So, jetzt wäre es gut, wenn ihr einsteigt.“
Konversion:
Bis auf die EATA und den geplanten Bildungscampus auf dem Mühlberg-Areal der früheren Kaserne ist aus Sicht von Berthold Weiß noch nicht viel passiert. Nun aber solle es mit der Überplanung des früheren technischen Bereichs der Kaserne sehr schnell gehen. „Hier soll ein komplett neuer Stadtteil für bis zu 1300 Menschen neu geplant werden.“Ihn stört, dass hier für die kommenden 50 bis 100 Jahre geplant werde, und das nahezu ohne Bürgerbeteiligung. „Wenn man so etwas macht, dann braucht es die Ideen der Besten“, macht sich Weiß für einen städtebaulichen Wettbewerb stark. Für den Weiterbetrieb der Landeserstaufnahmestelle gebe es überdies gute Argumente, nicht zuletzt die Zuwendungen des Landes für die LEA-Standorte.
Corona:
Die aktuelle Entwicklung bei den Fallzahlen macht Berthold Weiß nachdenklich. Mitte August sei man heuer schon an dem Punkt gewesen wie im Oktober des vergangenen Jahres. Schockiert habe ihn die Ungleichbehandlung zwischen Schulen und Gewerbebetrieben: Trotz der Warnungen von Pädagogen und Therapeuten habe es in den Schulen einen langen Lockdown gegeben, während man bei der Wirtschaft gesagt habe: „Solange es brummt, ist es gut.“Er hofft, dass es für den Herbst vom Land Vorgaben geben wird, die einen Präsenzunterricht an den Schulen gewährleisten. Die Stadt müsse alles Mögliche tun, damit ein Unterricht in Präsenz sichergestellt sei.
Berthold Weiß
Verkehr:
Für Berthold Weiß ist die Verkehrswende bisher nicht in Ellwangen angekommen. Der Fahrradverkehr und der ÖPNV werden aus seiner Sicht zu wenig gefördert. Weiß macht das zum Beispiel an den Einbahnstraßen fest, die für Fahrräder nicht in Gegenrichtung frei sind. Eine Stadt, die den Radverkehr fördern wolle, dürfe sich nicht für einen Fahrradweg zwischen Pfahlheim und Röhlingen auf die Schulter klopfen, während es in der Stadt nicht funktioniere. „Wenn ich eine Verkehrswende will, dann muss ich es den Autofahrern schwerer und den Radfahrern leichter machen.“
In der Haller Straße habe man zwar ein nächtliches Tempolimit eingeführt, dazu hätte man aber auch gleich eine stationäre Blitzeranlage einrichten müssen. Dies habe die Stadtverwaltung verschlafen und der Gemeinderat nicht eingefordert. Auch im Schienennahverkehr gebe es große Verbesserungsmöglichkeiten.
Bundestagswahl:
Noch nie war die Chance auf eine grün geführte Bundesregierung so groß. Berthold Weiß ist überzeugt, dass man sich darauf freuen könne. „Die Herausforderungen, vor denen wir gerade stehen – Dekarbonisierung, Klimawandel, Ausbau erneuerbarer Energien – führen zwar alle im Mund, aber die konkreten Schritte machen die Grünen.“Baden Württemberg stehe glänzend da und zeige, dass man sich vor einer grünen Regierungsführung keineswegs fürchten müsse. Erst ab der grünen Regierungsübernahme im Land im Jahr 2011 habe es einen Schub für erneuerbare Energien und Windräder gegeben. Und in anderen Bundesländern gebe es durchaus auch CDUBürgermeister, die selber entscheiden wollen, ob sie auf innerörtlichen Durchgangsstraßen Tempo 30 einführen.
Im Hinblick auf ein mögliches Regierungsbündnis ist aus Sicht von Weiß wichtig, wie viel Grün umgesetzt werden könne. Als Regierungspartner würde er die SPD präferieren, auch aus den Erfahrungen mit der grün-roten Landesregierung zwischen 2011 und 2016.
Verschiedenes:
Große Sorgen macht sich Berthold Weiß um die Glaubwürdigkeit der Politik und der Politiker. Man könne den Menschen nicht mehr vorgaukeln, man würde schon alles in den Griff bekommen. Angesichts der Herausforderungen der Zukunft mit dem Klimawandel als großem „Oberthema“müsse man aber deutlich machen: „Es wird für alle große Einschränkungen geben. Wir werden nicht so weitermachen können wie bisher.“
Das müsse man den Leuten sagen, und dafür müsse man auch werben. „Meine Erfahrung ist: Wenn man in die Kommunikation mit den Leuten geht und gute Argumente hat, dann kann man sie auch mitnehmen. Und dann trifft man auch vor schwierigeren politischen Entscheidungen auf Akzeptanz.“Und das müsse auf der kommunalen Ebene seinen Anfang nehmen.
„Luft und Wasser und vor allem Erde muss man als knappe Güter betrachten.“