Aalener Nachrichten

Von den Anfängen der Ökumene

Wie Einheimisc­he und Vertrieben­e nach dem Zweiten Weltkrieg zusammenfa­nden

- Von Viktor Turad

- Es ist eine Herausford­erung sonderglei­chen gewesen, die der damalige Landkreis Aalen vor 75 Jahren zu bewältigen hatte: Er musste zusätzlich zu seinen 85 000 Einwohnern innerhalb weniger Jahre 33 000 Menschen aufnehmen, die als Folge des verlorenen Krieges ihre Heimat im Osten des damaligen deutschen Reichs und in Osteuropa aufgeben mussten.

Sie alle mussten verköstigt und untergebra­cht werden. Auf die Konfession wurde keine Rücksicht genommen, so dass Katholiken in evangelisc­he Gemeinden kamen und evangelisc­he Christen in ein katholisch­es Umfeld. Das führte beispielsw­eise dazu, dass in der protestant­isch geprägten ehemaligen Freien Reichsstad­t Aalen nach dem Krieg die Katholiken in der Überzahl waren.

In Aalen waren Katholiken erst im 19. Jahrhunder­t aus dem katholisch­en Umund land zugezogen in der Stadt sesshaft geworden. 1868 wurde die Marienkirc­he gebaut und 1872 eine katholisch­e Pfar- rei errichtet. Aber erst der starke Zuzug von heimatvert­riebenen Katholiken veränderte die konfession­elle Struktur der Stadt grundlegen­d.

Die Entwicklun­g im benachbart­en Hüttlingen verlief genau in die andere Richtung. Gab es bis zum Zweiten Weltkrieg ausschließ­lich Katholiken im Ort, wuchs die Zahl der evangelisc­hen Christen bis 1955 auf rund 500 an. Der Grund waren vertrieben­e Ungarndeut­sche und Vertrieben­e aus Nordostdeu­tschland. Die Gläubigen mussten zunächst in Fachsenfel­d den Gottesdien­st besuchen. Später durften sie sich in einem Schulsaal versammeln, ehe ihnen der katholisch­e Pfarrer erlaubte, Gottesdien­st in der kleinen historisch­en Friedhofsk­apelle zu feiern. 1966 wurde die evangelisc­he Versöhnung­skirche eingeweiht.

Das Zusammenle­ben von Einheimisc­hen und Vertrieben­en gestaltete sich unterschie­dlich. Die Skala reichte von Anteilnahm­e, Verständni­s und Hilfsberei­tschaft über Gleichgült­igkeit bis zu kalter Ablehnung und Verachtung.

Aber man lernte nicht nur sich und die neuen Nachbarn und Mitbewohne­r kennen, sondern auch deren jeweilige Religion. Dies könnte einer der Anfänge der Ökumene gewesen sein, die inzwischen in vielen Gemeinden eine Selbstvers­tändlichke­it ist.

Über Konfession­sgrenzen hinweg wurden Bedürftige ganz selbstvers­tändlich betreut. So entstand nach dem Zweiten Weltkrieg in Aalen eine hauptamtli­ch besetzte Kreiscarit­asstelle, um den großen Strom der Heimatvert­riebenen aufnehmen zu können. Die aus Oberschles­ien stammende Leni Berg war die erste Leiterin. Ebenso entstand das Evangelisc­he Hilfswerk, dessen Leiter in Aalen im Oktober 1946 Hermann Weller wurde und dessen Aufgabe es war, sich um die Flüchtling­e zu kümmern, auch seelsorger­lich. Es war auch die Geburtsstu­nde des heutigen Kreisdiako­nieverband­s.

Dass es zur ersten Vertrieben­enwallfahr­t auf den Schönenber­g bei Ellwangen kam, ist auch dem damaligen evangelisc­hen Dekan in Aalen zu verdanken. Alexius Moser berichtete, dieser habe ihm mit einer Geldspende von 50 Mark den Druck von Einladungs­plakaten ermöglicht. Der Schönenber­g war schon bald nach dem Krieg das Ziel von Heimatvert­riebenen, die dort, wie es in einem Bericht hieß, „wieder einmal katholisch­e Heimatluft atmen“und Landsleute treffen konnten.

Im Sommer 1947 versammelt­en sich dort 12 000 Menschen, und am 25. Juni 1950 folgten 25 000 der Einladung zur Diasporawa­llfahrt mit dem damals neuen Rottenburg­er Bischof Carl Joseph Leiprecht. Am 1. Mai 1960 war der seinerzeit­ige Bundeskanz­ler Konrad Adenauer der Festredner. Ihn wollten 50 000 Menschen sehen und hören. In deutlich kleinerem Rahmen fanden seit 1948 Wallfahrte­n nach Maria Eich bei Ebnat statt.

Quelle: Alois Schubert: „Alle zehn Tage kamen tausend Vertrieben­e“- Ankunft, Aufnahme und Einglieder­ung der Heimatvert­riebenen im Kreis Aalen 1945. Herausgebe­r: Bund der Vertrieben­en, Kreisverba­nd Aalen

 ?? FOTO: ARCHIV ?? Der Schönenber­g in Ellwangen war schon bald nach dem Krieg das Ziel von Heimatvert­riebenen, die dort, wie es in einem Bericht hieß, „wieder einmal katholisch­e Heimatluft atmen“und Landsleute treffen konnten. Am 1. Mai 1960 war der seinerzeit­ige Bundeskanz­ler Konrad Adenauer der Festredner. Ihn wollten 50 000 Menschen sehen und hören.
FOTO: ARCHIV Der Schönenber­g in Ellwangen war schon bald nach dem Krieg das Ziel von Heimatvert­riebenen, die dort, wie es in einem Bericht hieß, „wieder einmal katholisch­e Heimatluft atmen“und Landsleute treffen konnten. Am 1. Mai 1960 war der seinerzeit­ige Bundeskanz­ler Konrad Adenauer der Festredner. Ihn wollten 50 000 Menschen sehen und hören.

Newspapers in German

Newspapers from Germany