Die bitterste Stunde des Präsidenten
Nach dem Anschlag mit 13 toten US-Soldaten in Kabul schwört Biden den Terroristen Rache
- In der Stunde des Terrorschocks klang Joe Biden wie George W. Bush. Wie der Präsident, der wie kein anderer die amerikanische Hybris im Rausch nach dem Sieg im Kalten Krieg verkörperte.
„Wir werden nicht vergeben, wir werden nichts vergessen, wir werden euch jagen, und ihr werdet bezahlen“, ließ Biden den afghanischen Ableger des „Islamischen Staats“wissen, der Terrorgruppe, die sich zu den Attentaten am Flughafen von Kabul bekannte. Sein Land, kündigte der Präsident an, werde hart zurückschlagen. Wo und wann, das werde es selbst bestimmen.
Es war eine Reaktion wie im Reflex. Die Androhung von Vergeltung, der entschlossene Ton: Die ungeschriebenen Gesetze Washingtons verlangen es so. Kein US-Präsident will sich in einem solchen Moment Schwäche nachsagen lassen. Gleichwohl stehen die Sätze, die an Bushs Rhetorik nach den Anschlägen vom 11. September 2001 mit ihren fast dreitausend Toten denken lassen, in markantem Kontrast zur Realität. Statt wie damals Interventionen ins Auge zu fassen, verabschiedet sich die Supermacht gerade aus Weltgegenden wie Afghanistan, wo nach nüchterner Abwägung, für die der Name Biden ebenfalls steht, die Kosten militärischer Präsenz den Nutzen deutlich übersteigen. Der Widerspruch zwischen Rückzug und markiger Rhetorik ist offenkundig.
Für Biden ist es die bislang bitterste Stunde seiner Präsidentschaft. Bislang
war er stolz auf die Tatsache, dass in den sieben Monaten seit seiner Amtsübernahme kein einziger GI am Hindukusch starb. Und nun das: 13 US-Soldaten getötet, 18 weitere verletzt. In Afghanistan ist es seit 2011 der tödlichste Angriff auf amerikanisches Militär. Damit hat sich, so fasst es die „New York Times“zusammen, das Worst-Case-Szenario des Rückzugs bewahrheitet. Eines Rückzugs, für den sich der Präsident von Anfang an wegen eines teils naiven, teils schludrigen, teils durch eine schwerfällige Bürokratie behinderten Krisenmanagements tadeln lassen musste.
Dennoch, es sagt viel über die Debattenkultur der tief gespaltenen Vereinigten Staaten, dass die Opposition die Bluttat von Kabul reflexartig zu einer Art Generalabrechnung mit dem Commander-in-chief nutzt. Mitch McConnell, im Senat die Nummer 1 der Konservativen, spricht von Terrorgruppen, die sich durch Abzug und Attentate gleichermaßen ermutigt fühlten. „Die Terroristen werden nicht aufhören, Amerika zu bekämpfen, nur weil unsere Politiker die Lust verlieren, die Terroristen zu bekämpfen.“Das klingt noch vergleichsweise sachlich, gemessen an Stimmen, die Bidens Rücktritt oder gar seine Amtsenthebung verlangen. Josh Hawley, ein Senator aus Missouri, wettert, es sei nun auf schmerzliche Weise klar, dass Biden weder den Willen noch die Fähigkeit zum Führen habe: „Er muss abtreten.“Hawley versucht in die Fußstapfen Donald Trumps zu treten, indem er mit populistischer
Rhetorik den Arbeiterführer im Kampf gegen die politische Elite gibt.
Was das afghanische Desaster für Bidens Zukunft im Weißen Haus bedeutet, ist offen. Es gibt Präzedenzfälle, die Prognosen, nach denen der Rest seiner Amtszeit im Zeichen einer nicht mehr aufzuhaltenden Talfahrt steht, zumindest als verfrüht, wenn nicht als unsinnig erscheinen lassen. 1983 hatte es Ronald Reagan mit einem Selbstmordattentäter zu tun, der einen Lastwagen voll Sprengstoff in eine Kaserne amerikanischer Marine-Infanteristen in Beirut lenkte und dabei 241 US-Soldaten tötete. Im Jahr darauf wurde Reagan nicht nur wiedergewählt, er landete einen Erdrutschsieg.
Andererseits wäre da das Fiasko des Jimmy Carter, der 1980 in einem Wüstensturm gescheiterte Versuch, Geiseln in Teheran durch eine riskante Kommandoaktion zu befreien. Das Debakel gilt bis heute als Sargnagel für die Wiederwahlchancen Carters, eines Politikers, dem nichts zu glücken schien, auch wenn die Wahrheit viel differenzierter war. Der Amtsvorgänger Gerald Ford lehnte es seinerzeit übrigens ab, seinen Nachfolger wegen der Schlappe in Iran zu kritisieren. Trump, der einen Deal mit den Taliban aushandelte und damit die Weichen für einen Rückzug stellte, den Biden vollzog, kennt eine derartige Zurückhaltung nicht. „Was für ein furchtbares Scheitern“, kommentierte der Altpräsident das Debakel von Kabul. Wahrscheinlich habe der Führer einer Nation noch nie eine derart krasse Inkompetenz an den Tag gelegt.