„Bambi“, der Bolzplatzkicker
Jamal Musiala spielt bei den Bayern groß auf – Nun soll er auch die Nationalelf voranbringen
- Die neue Zeitrechnung der Nationalelf begann am Sonntagabend mit dem Check-In der Nationalspieler, Trainer und Betreuer im Stuttgarter Waldhotel unweit des Fernsehturms und nur einen kurzen Fußmarsch vom Stadion der Stuttgarter Kickers in Degerloch entfernt. Dort bat der 56-jährige Hansi Flick am Montagnachmittag seine Auserwählten erstmals als neuer Cheftrainer zum Training. Mittendrin beim Neuanfang: das „Bambi“des Teams: Jamal Musiala. Und das auch noch an seinem Geburtsort.
Der 18-Jährige hat mit seinen fünf Länderspieleinsätzen (fünf Einwechslungen mit insgesamt 35 Minuten Spielzeit) und der EM im Sommer schon mehr DFB-Erfahrung als die von Flick berufenen Neulinge Karim Adeyemi (19), Nico Schlotterbeck (21) und David Raum (23) zusammen. Sie können vom Küken des Teams, von „Bambi“lernen. Dieser Spitzname begleitet den Deutsch-Briten seit den ersten Einheiten mit den Profis der Bayern im Frühjahr 2020, in der Nationalelf seit der ersten Berufung und dem Debüt beim 3:0 gegen Island im
März ebenfalls. „Er ist einfach ein lieber süßer Kerl“, findet sein Münchner Kollege Serge Gnabry. Doch Musiala ist nicht nur blutjung, sondern auch flink und schnell wie ein Rehkitz. „Man kann da einen Zusammenhang mit seinen Bewegungen erkennen, die ja sehr flüssig sind“, sagt Gnabry, „er kommt immer an seinen Gegenspielern vorbei.“
Nach dem Treffer beim 5:0 gegen Hertha BSC schwärmte Bayern-Trainer Julian Nagelsmann über Musiala: „Er hat ein unglaubliches Potenzial. Das ist schon außergewöhnlich.“Vor allem dessen „gewisse Bolzplatzmentalität“. Der Chefcoach hat erkannt: „Meine größte Aufgabe ist es, die ihm nicht auszutreiben, das muss er beibehalten.“Diese Unbekümmertheit will auch Flick in der Nationalelf der Zukunft sehen. „Jamal ist einer, der sehr gut im Eins-gegen-eins ist, der mutig Fußball spielt“, sagte der ehemalige Bayern-Trainer, der Musiala aus der U19 nach oben zu den Profis zog. Flicks Forderung impliziert bereits eine gewisse Vorbildrolle, die Musiala innehat: „Das möchte ich nicht nur von ihm sehen, sondern von allen.“
Angesprochen fühlen dürfte sich Leroy Sané (25), der zuletzt im Zentrum
der Diskussionen stand und sich gegen Hertha BSC bei Anpfiff auf der Bank wiederfand. Ersetzt von Flügelspieler Musiala, dem Unaufhaltsamen, der den von den Fans zuletzt ausgepfiffenen Sané trotz aller Unterstützung und Lobhudelei seitens des Vereins erst einmal verdrängt hat.
Der Deutsch-Brite ist in seiner erst zweiten Profisaison schon zu gut für die Ersatzbank – mit gerade einmal 18,5 Jahren, 43 Pflichtspieleinsätzen im Bayern-Trikot (durchschnittliche Spielzeit 35 Minuten), zehn Treffern und drei Vorlagen. Bei seiner Auswechslung erhielt Musiala von den Rängen Standing Ovations – nicht nur für seinen Treffer zum 3:0 (49.), den er im Stile eines Torjägers erzielte. Ballmitnahme und -kontrolle in atemberaubender und für die Gegenspieler schwindelerregender Geschwindigkeit und dann ein satter, trockener Schuss ins lange Eck. In der Jugend des FC Chelsea hatte der gebürtige Stuttgarter Mittelstürmer gespielt – hilft ihm nun auch als verkappter Linksaußen mit Zug zum Tor. Bleibt die Frage: Wer um Himmels Willen hat eigentlich bei Chelsea dieses Talent übersehen und im Sommer 2019 ablösefrei (!) zum FC Bayern ziehen lassen? Ein Scoop der Münchner Scouting-Abteilung.
Auf dem Rasen ist Musiala frech und draufgängerisch – abseits des Platzes scheu und schüchtern. „Das Schöne ist“, so Nagelsmann, „dass er unheimlich bescheiden ist, sehr demütig und sich nicht abfeiert für Tore“. Siehe seine Aussagen nach zuletzt vier Torbeteiligungen in drei Pflichtspielen innerhalb von sieben Tagen: „Es ist ein sehr gutes Gefühl, wieder Rhythmus aufzubauen. Tore schießen macht einfach Spaß“, meinte Musiala. „Wir spielen richtig guten Fußball.“
Dazu soll Jamal, der Bolzplatzkicker, nun auch in der Nationalelf intensiver beitragen. „Ich bin komplett überzeugt von ihm. Seine Zeit wird kommen – egal wann“, glaubt Gnabry, wie Musiala ebenfalls in Stuttgart geboren. Nationalelf-Manager Oliver Bierhoff meinte: „Er ist ein Riesenfußballer. Er hat diese besondere Leichtigkeit und kann uns in Situationen helfen, wo wir ein bisschen Druck ausüben müssen.“Was im nun folgenden Dreierpack in der WM-Qualifikation gegen die Außenseiter Liechtenstein am Donnerstag, Armenien (Sonntag) und Island (Mittwoch) nötig sein wird.