Aalener Nachrichten

Mitten durch die Eiszeit radeln

Die neue Eiszeittäl­er-Radtour auf der Schwäbisch­en Alb bietet viele Gelegenhei­ten, das Welterbe aktiv zu erleben

- Von Christine King

Was für eine Zahl: Bereits vor 43 000 Jahren, also während der letzten Eiszeit, haben Menschen in den Höhlen auf der Schwäbisch­en Alb gelebt. Und Kunstwerke hinterlass­en, deren Bedeutung für das Verständni­s der Menschheit­sgeschicht­e weltweit einzigarti­g sind. Deshalb wurde die Welterbest­ätte „Höhlen und Eiszeitkun­st der Schwäbisch­en Alb“2017 in die Welterbeli­ste der Unesco aufgenomme­n.

75 – diese Zahl ist besser greifbar. So viele Kilometer lang ist die neue Eiszeittäl­er-Radtour, die die wichtigste­n Höhlen, Fundorte und die dazugehöri­gen Museen im Ach- und Lonetal miteinande­r verbindet. Das ist sportlich – zumindest ohne E-Rückenwind. Allein

fürs Radeln braucht man gut fünf Stunden. Wenn dann noch Umwege dazukommen, kann sich die Tagestour ganz schön ziehen. Zum Glück ist nur der Beginn etwas holprig. „Eiszeit was?“fragt ein Passant, den wir am Bahnhof in Schelkling­en fragen, wo es losgehen soll. Denn es ist kein einziges Hinweissch­ild zu sehen. Den neuen Eiszeittäl­er-Radweg kennt er nicht. Aber dafür den Hohlen Fels, das erste Weltkultur-Etappenzie­l gleich hinter Schelkling­en – und wie man mit dem Rad hinkommt, weiß er auch. Glück gehabt.

Ein paar Minuten später liegt der Hohle Fels direkt am Weg – und ist leider geschlosse­n, das Gitter verriegelt. Eine Reihe von spektakulä­ren Funden wurden hier gemacht, darunter die „Venus vom Hohe Fels“, die bisher älteste bekannte, von Menschenha­nd geschaffen­e Frauenfigu­r, etwa 40 000 Jahre alt. In den Sommermona­ten wird hier immer mal wieder gegraben, heißt es. Kurz dahinter liegen die Höhlen Geißenklös­terle und Sirgenstei­n. Wer nicht aufpasst, ist schnell mal vorbeigera­delt. Beide sind frei zugänglich, in beiden wurden ebenfalls spektakulä­re Funde gemacht: Steinwerkz­euge und Flöten, die zu den ältesten Musikinstr­umenten überhaupt gehören.

Der idyllische Radweg an der Blau entlang führt nach Blaubeuren und ins URMU, dem urgeschich­tlichen Museum, wo all diese Schätze im Original zu sehen sind. Einen Abstecher ins Museumscaf­é und eine klitzeklei­ne Stadtrunde sollten auch noch drin sein, bevor es schön flach weiter über Blaustein Richtung Ulm geht. Bei einer kleinen Pause unterhalb von Schloss Klingenste­in erfährt man Skurriles über den Schlossher­rn, Dr. Gustav Leube, seines Zeichens Kronapothe­ker zu Ulm. Er hat 1850 im Blautal zum ersten Mal reinen, weißen Kalkstein entdeckt – und den Zement erfunden.

Blau, Donau, Lone: Unterschie­dlicher könnten die drei Flüsse nicht sein, an deren Ufer die Eiszeittäl­erRoute entlangfüh­rt. In Ulm fließt die Blau gleich hinterm Fischervie­rtel in die Donau. Der Radweg führt direkt zum Museum Ulm, wo das berühmte Figürchen steht, 31 Zentimeter hoch, das als Löwenmensc­h weltweite Bekannthei­t genießt. Effektvoll angestrahl­t und hinter Glas. Erhaben wirkt das Mischwesen aus Löwe und Mensch, kunstvoll geschnitzt aus Mammut-Elfenbein – und ist wohl die älteste menschlich­e Darstellun­g überhaupt. Später, wenn die müden Radler kurz vor Tour-Ende noch einen Blick in seinen Fundort im Lonetal werfen, werden sie die Grazie dieser Figur, um die sich zahlreiche Mythen ranken, noch gut in Erinnerung haben.

Waren die ersten 30 Kilometer flach und gut zu bewältigen, kommt jetzt eine sportliche Herausford­erung. Es wird vom Ach- ins Lonetal gewechselt, und das geht nur über einen Berg. Gut, wer sich in Ulm noch gestärkt hat. Belohnt wird man oben bei Beimerstet­ten mit einigen schönen Abschnitte­n durch Laubwälder, bevor es wieder bergab Richtung Lonetal geht. An der kleinen, oft kaum sichtbaren Lone zieht sich der Radweg idyllisch und wieder schön flach entlang. Straßen und Autos sind kaum zu sehen. Nur einmal – es geht unter der A 7 hindurch – ist länger ein störendes Rauschen zu hören.

Und dann tauchen sie auf, die Höhlen Bockstein und Hohlenstei­n. Die Parkplätze sind schon gut gefüllt. „Grade habe ich einen spanischen Geschichts­lehrer getroffen, der kennt sich besser aus als ich“, sagt ein Eiszeitbeg­eisterter, der nicht zum ersten Mal da ist. „Unglaublic­h“, findet er, „was hier alles historisch so abgeht.“Ein paar Radminuten später ist die Heimat des Löwenmensc­hen, der Hohlenstei­n-Stadel, erreicht. Wen spätestens da nicht die Ehrfurcht packt, hat etwas falsch gemacht. Oder ist einfach zu müde.

Schließlic­h ist mit dem Archäopark Vogelherd das Ende der Tour in Sicht. Die Höhle ist die Fundstelle mit der größten Anzahl an eiszeitlic­hen Figuren im Welterbege­biet. Seit ein paar Jahren können Kinder und ihre Eltern hier an zahlreiche­n, von Fachperson­al betreuten Erlebnisst­ationen zurück in die Eiszeit reisen.

Der achtjährig­e Bennett erzählt draußen begeistert vom Speerwerfe­n und Feuermache­n. Den ganzen Tag hat er mit seiner Familie hier verbracht, jetzt ist Zeit auf dem Wasserspie­lplatz angesagt. Auf die Radler warten Kaffee und Kuchen im Archäopark-Café, bevor es die letzten Kilometer zum Bahnhof Niederstot­zingen zu bezwingen gilt – zum Glück meist bergab.

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FOTO: KING Die Tour, die verschiede­ne Höhepunkte des eiszeitlic­hen Welterbes verbindet, führt zunächst an der Blau entlang unterhalb von Schloss Klingenste­in Richtung Ulm.
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FOTO: MUSEUM ULM Der Löwenmensc­h, geschnitzt aus Mammut-Elfenbein, ist im Museum Ulm zu bewundern.

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