Die USA überlassen den Taliban das Feld
Radikale Islamisten feiern nach dem Abzug ihren Sieg – EU möchte unkontrollierte Migration verhindern
(dpa/AFP) - Die Taliban haben sich nach dem vollständigen Abzug der USA aus Afghanistan als Sieger über die Supermacht inszeniert. Am Dienstag übernahmen die radikalen Islamisten die Kontrolle am Kabuler Flughafen, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten Symbol der internationalen Truppenpräsenz am Hindukusch war. Mit dem Westen wollen die Taliban nach eigener Darstellung „gute Beziehungen“. Doch die Furcht vor einer neuen islamistischen Schreckensherrschaft bleibt.
Genau eine Minute vor Mitternacht war in der Nacht zu Dienstag die letzte US-Militärmaschine am Flughafen von Kabul abgehoben, kurz darauf begannen die Taliban auf der Landebahn zu feiern. „Glückwunsch an Afghanistan, dieser Sieg gehört uns allen“, sagte TalibanSprecher Sabihullah Mudschahid. Die Taliban-Spezialeinheit „Badri 313“marschierte demonstrativ auf.
Unterdessen möchte die EU vorerst keine konkreten Zusagen zur Aufnahme von Menschen aus Afghanistan machen. „Anreize zur illegalen Migration sollten vermieden werden“, heißt es in einer am Dienstag beim Sondertreffen der Innenminister verabschiedeten Erklärung.
Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen sei die EU entschlossen, eine Wiederholung von großen und unkontrollierten illegalen Migrationsbewegungen zu verhindern.
Damit wurde auf die sogenannte Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 und 2016 angespielt. Damals kamen Millionen von Migranten in die EU. Allein in Deutschland stellten rund 1,2 Millionen Menschen zum ersten Mal einen Asylantrag. Viele von ihnen stammten aus Syrien, wo 2011 ein Bürgerkrieg begonnen hatte. Um eine ähnliche Entwicklung nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan zu vermeiden, soll laut der
Erklärung nun sichergestellt werden, dass Not leidende Menschen in der unmittelbaren Nachbarschaft Afghanistans Schutz erhalten.
Auf die Frage nach einem möglichen Engagement Deutschlands verwies Innenminister Horst Seehofer darauf, dass sich die Bundesrepublik bislang immer an Flüchtlingsinitiativen beteiligt habe. Er wollte allerdings keine konkreten Zusagen machen. „Ich halte es nicht für sehr klug, wenn wir jetzt hier über Zahlen reden, weil Zahlen natürlich etwas auslösen“, sagte der CSU-Politiker. Man wolle keinen sogenannten Pull-Effekt auslösen.
Zwar befinden sich immer noch Staatsangehörige westlicher Staaten in Afghanistan – nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein mehrere Hundert Deutsche, meist mit doppeltem Pass. Doch offizielle Vertreter haben nach dem Abzug der letzten Soldaten weder die USA noch Deutschland mehr in Afghanistan. Wie läuft nun der Kontakt zu den Taliban?
Die wichtigste Verbindungsstelle ist das sogenannte Taliban Political Office, das politische Büro der Taliban. Es hat in der katarischen Hauptstadt Doha seinen Sitz. Allerdings handelt es sich nicht um ein tatsächliches Büro oder eine Botschaft. Sondern um eine Gruppe von führenden Taliban, denen dort seit 2013 auf Einladung des katarischen Emirs Häuser zur Verfügung stehen. Dort fanden seitdem nicht
nur die Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban statt, es werden überdies internationale Kontakte gepflegt. Auch der deutsche AfghanistanBotschafter Markus Potzel ist seit Wochen in Doha, um mit den Führungskräften der Taliban zu sprechen. Außenminister Heiko Maas, der momentan durch die Nachbarländer Afghanistans reist, betont immer wieder, es gehe darum, Kommunikationskanäle offen zu halten, schon allein, um die noch verbliebenen Ortskräfte aus Afghanistan herausholen zu können.
In der deutschen Politik ist dieser Ansatz nicht unumstritten. Vor allem die Opposition protestiert. Der FDP-Außenpolitiker Bijan Djir Sarai etwa betont: „Ich halte Verhandlungen mit Taliban grundsätzlich für falsch.“Deutschland dürfe sich nicht von Extremisten abhängig machen.
In der SPD setzt man hingegen auf finanziellen Druck gegenüber den Taliban. „Der wichtigste Hebel ist die humanitäre Hilfe“, sagt Außenexperte Nils Schmid. Afghanistan leide derzeit unter einer schweren Dürre und sei auf internationale Hilfe angewiesen. Zwar hat die Bundesregierung ein Hilfspaket von 100 Millionen Euro aufgelegt, aber die Entwicklungshilfe für das Land – jährlich immerhin 430 Millionen Euro – ist vorerst ausgesetzt. Ob wieder Geld fließen wird, hängt auch davon ab, wie die Gespräche mit den Taliban verlaufen. Im Auswärtigen Amt ist man zuversichtlich, dass die Verhandlungsposition der Deutschen gut sei. „Sie brauchen uns mehr als wir sie“, heißt es in Diplomatenkreisen.