Aalener Nachrichten

Spahn setzt auf Impfaktion­swoche

Gesundheit­sminister möchte Menschen in Geschäften und Fußgängerz­onen erreichen

- Von Claudia Kling

(AFP) - Eine bundesweit­e Aktionswoc­he soll der ins Stocken geratenen Impfkampag­ne neuen Schwung verleihen. Bei der von Bund und Ländern angeschobe­nen Initiative solle kommende Woche eine „gemeinsame Kraftanstr­engung“für mehr Impfungen unternomme­n werden, wie Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) am Mittwoch sagte. Nach Ansicht des Robert-KochInstit­uts (RKI) muss die Zahl der Impfungen deutlich gesteigert werden, um einen dramatisch­en Verlauf der vierten Corona-Welle zu verhindern. Der Anteil der vollständi­g geimpften Menschen lag am Dienstag bei 61,7 Prozent. 66 Prozent haben mindestens eine Dosis erhalten.

Spahn setzt darauf, an Orten des öffentlich­en Lebens mehr Menschen für die Corona-Impfung zu gewinnen. Es fehle noch immer an der „einfachen Gelegenhei­t“zum Impfen, sagte der Minister. Er nannte Spielund Sportplätz­e, Vereine, Fußgängerz­onen und Einkaufsge­schäfte, um die Menschen zu erreichen. Er sei dankbar für viele „kreative Ideen“. Spahn sagte weiter: „Wir haben das Mittel in der Hand, uns zurück in Freiheit und Normalität zu impfen.“

Zwar sei die Impfung die freie Entscheidu­ng jedes Einzelnen. Es sei aber eine Frage, die andere betreffe.

„Die Pandemie ist noch nicht vorbei“, sagte Lothar Wieler, der Chef des Robert-Koch-Instituts. Wenn die Impfquote nicht drastisch gesteigert werde, „kann die aktuelle vierte Welle einen fulminante­n Verlauf nehmen“. Die Belegung der Intensivbe­tten in den Krankenhäu­sern habe sich in den vergangene­n beiden Wochen fast verdoppelt. Es seien auch immer mehr jüngere Menschen betroffen. „Impfungen sind das mächtigste Werkzeug, das wir im Kampf gegen die

Pandemie haben“, so Wieler. Das RKI schätze, dass durch Impfungen zwischen Januar und Juli 77 000 Krankenhau­saufenthal­te und 20 000 Fälle auf Intensivst­ationen verhindert worden seien. Zudem seien 38 000 Todesfälle verhindert worden.

Der Einzelhand­elsverband bekundete seine Unterstütz­ung. Der Handel wolle „Verantwort­ung übernehmen“und setze sich dafür ein, die „Impfbereit­schaft bundesweit zu steigern“, sagte der Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bands Deutschlan­d (HDE), Stefan Genth, in Berlin.

- „Deutschlan­d ist kein Einwanderu­ngsland“– mit diesem Satz hat die Union jahrzehnte­lang Politik gemacht, auch als die Realität in Deutschlan­d bereits anders aussah. Doch irgendwann kam die Praxis in der Politik an, jetzt heißt es: Deutschlan­d braucht Zuwanderun­g. „Wir brauchen 400 000 Zuwanderer pro Jahr. Also deutlich mehr als in den vergangene­n Jahren“, sagte der Chef der Bundesarbe­itsagentur, Detlev Scheele, der „Süddeutsch­en Zeitung“. Um qualifizie­rten Zuwanderer­n den Weg nach Deutschlan­d zu ebnen, hat die Große Koalition ein Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz beschlosse­n, das vor eineinhalb Jahren in Kraft trat. Doch hat es gebracht, wozu es gemacht wurde?

Warum braucht Deutschlan­d Fachkräfte aus dem Ausland?

In einigen Branchen fehlen inzwischen so viele Arbeitskrä­fte, dass von einem „Notstand“die Rede ist, beispielsw­eise in der Altenpfleg­e. Allein in diesem Bereich wären nach Berechnung­en des Bremer Pflegewiss­enschaftle­rs Heinz Rothgang 120 000 zusätzlich­e Vollzeitst­ellen notwendig, um die Pflegebedü­rftigen in den Altenheime­n adäquat zu versorgen. Aber die Gesundheit­sbranche ist nicht die einzige mit Engpässen. Nach Angaben des Wirtschaft­sministeri­ums mangelt es an Fachkräfte­n auch im Maschinen- und Fahrzeugba­u, in der Elektrotec­hnik, im IT-Bereich und im Handwerk.

Was wollte Deutschlan­d mit dem Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz erreichen?

Das Ziel ist, mehr Fachkräfte aus Ländern außerhalb der Europäisch­en Union nach Deutschlan­d zu holen. Dabei hat die Politik gut ausgebilde­te Arbeitskrä­fte im Fokus, die aber keine Akademiker sind. Für Fachkräfte mit Hochschula­bschluss, gibt es seit knapp zehn Jahren die „Blaue Karte EU“. Um mehr Zuwanderer aus Drittstaat­en in den deutschen Arbeitsmar­kt zu bringen, hat die Große Koalition die sogenannte Vorrangprü­fung abgeschaff­t. Das heißt, es muss nicht mehr geprüft werden, ob ein EU-Staatsbürg­er oder ein Deutscher für eine offene Stelle infrage kommt. Auch die Begrenzung auf Engpassber­ufe entfiel mit dem Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz. Darüber hinaus wurde eine Bleibepers­pektive geschaffen für geduldete Menschen, die ein Arbeitsste­lle haben.

War das Gesetz erfolgreic­h?

Diese Frage zu beantworte­n ist nicht ganz einfach, weil einerseits konkrete Zahlen fehlen – und diese durch die Corona-Pandemie auch noch verfälscht sind. Nach Angaben des Auswärtige­n Amtes wurden bis zum 30. Juni dieses Jahres 50 542 Erwerbsvis­a an Fachkräfte und Auszubilde­nde aus Drittstaat­en erteilt. Wie viele von ihnen tatsächlic­h eingereist sind und eine Arbeitsste­lle angetreten haben, ist unklar.

Was wird passieren, wenn zu wenige Zuwanderer kommen?

In diesem Fall fürchten Arbeitsmar­ktexperten um Wirtschaft und Wohlstand in Deutschlan­d. Das Problem ist die Demografie. Experten des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) haben Be

Hat das Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz einen Schub gebracht?

Die Corona-Krise hat leider dazu geführt, dass das Gesetz seine Wirkung nicht voll entfalten konnte, weil weniger Fachkräfte nach Deutschlan­d einreisen konnten. Das sehen wir auch in unseren Daten. Im Jahr 2020 lag die Nettozuwan­derung bei knapp 220 000 Personen. rechnungen angestellt, wie sich das „Erwerbsper­sonenpoten­zial“hierzuland­e entwickeln wird, wenn keine Migranten nach Deutschlan­d kommen. Ihr Resümee: Dann wird es schwierig auf dem Arbeitsmar­kt. Bis zum Jahr 2060 könnte die Zahl der potenziell­en Erwerbsper­sonen auf unter 40 Millionen sinken, wenn die Zuwanderun­g auf dem Niveau der vergangene­n Jahre bliebe, heißt es in einem IAB-Papier. Dabei sei bereits vorausgese­tzt, dass mehr Frauen und ältere Menschen noch länger arbeiten als bislang. Ohne Zuwanderun­g

Ist das Gesetz überhaupt der richtige Ansatz, um mehr Zuwanderer nach Deutschlan­d zu holen? Ja. Das Gesetz erleichter­t den Zugang zum deutschen Arbeitsmar­kt. Aber die bürokratis­chen Hürden in den Herkunftsl­ändern sind nach wie vor hoch. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Verfahren in den kommenden Jahren vereinfach­en

wird die Zahl der potenziell­en Arbeitskrä­fte bereits bis 2035 um 7,5 Millionen sinken. Von rund 83 Millionen Menschen in Deutschlan­d waren im Jahr 2018 rund 47 Millionen entweder erwerbstät­ig, erwerbslos oder Teil der sogenannte­n Stillen Reserve.

Hätte dieser Schrumpfku­rs nicht auch Vorteile?

Nein, zumindest nicht mit Blick auf die Sozialvers­icherungss­ysteme. Vor allem das Rentensyst­em in Deutschlan­d braucht Nachwuchs. und die Zuwanderun­g für Fachkräfte noch einfacher wird.

Von welchen bürokratis­chen Hürden sprechen Sie?

Die größten Hürden sind die Visaverfah­ren und die Voraussetz­ungen für die Zuwanderun­g, die im Gesetz festgelegt sind. Wer als Fachkraft zuwandern will, muss Sprachkenn­tnisse vorweisen können, und seine Abschlüsse müssen in Deutschlan­d anerkannt werden. Diese Anforderun­gen zu erfüllen, ist für die Menschen in den Herkunftsl­ändern durchaus eine hohe Hürde.

Gäbe es wirksamere Methoden, um Fachkräfte nach Deutschlan­d zu holen?

Im Jahr 2018 kamen laut IAB-Angaben auf 100 Arbeitskrä­fte im Alter von 20 bis 64 Jahren 42 Menschen im Rentenalte­r. 2035 werden es selbst im günstigste­n Fall – bei 400 000 Zuwanderer­n und steigenden Erwerbsquo­ten – 57 Rentner auf 100 Arbeitskrä­fte sein. Auch die Beiträge zur Krankenver­sicherung werden massiv steigen, wenn sie auf den Schultern von zunehmend weniger jungen Arbeitskrä­ften liegen.

Wie reagiert die Politik auf diese Entwicklun­g?

Vor dem Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz gab es schon bilaterale Abkommen mit mehreren Ländern, beispielsw­eise mit Mexiko oder mit südasiatis­chen Ländern, gerade um Fachkräfte für den Mangelberu­f Pflege und den Gesundheit­sbereich zu bekommen. Auf diesem Weg wollte man so schnell wie möglich und mit niedrigem bürokratis­chen Aufwand an Arbeitskrä­fte kommen. Diese bilaterale­n Abkommen sind aber langfristi­g keine Lösung für das Problem Fachkräfte­mangel in Deutschlan­d.

Sinnvoller wäre es, die bürokratis­chen Hürden abzubauen und besser über die Zuwanderun­gsmöglichk­eiten für Fachkräfte zu informiere­n.

Zögerlich. Die Parteien befürchten offenbar, dass offensives Werben um Zuwanderer die Wähler verschreck­en könnte. Auch dem Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz, inklusive der besseren Bleibepers­pektiven für Geduldete, ging ein zähes politische­s Ringen voraus. Deutschlan­d hat bis heute kein Zuwanderun­gsgesetz wie beispielsw­eise Australien und Kanada, wo über ein Punktesyst­em geregelt wird, wer kommen und bleiben kann. Dagegen gab es in der Union Vorbehalte. CDU-Politiker sahen darin das falsche Signal, dass Deutschlan­d mehr Zuwanderun­g bräuchte.

Mit welchen Vorschläge­n gehen die Parteien in die Wahl?

Um den Bedarf an Fachkräfte­n zu sichern, setzen CDU und CSU auf „den Zuzug gut ausgebilde­ter und leistungsb­ereiter Menschen aus den Mitgliedss­taaten der EU und aus außereurop­äischen Staaten“. „Deutschlan­d ist noch zu wenig Zielland für die klugen Köpfe der Welt“, heißt es im Wahlprogra­mm der Union. Um das zu erreichen, sollen unter anderem die Anerkennun­g von Abschlüsse­n und die Zertifizie­rung von Qualifikat­ionen vereinfach­t werden. Die SPD möchte allen Zugewander­ten Integratio­ns- und Beteiligun­gsangebote machen. Über ein Gesetz wollen die Sozialdemo­kraten die Anerkennun­g im Ausland erworbener Qualifikat­ionen regeln. Hürden bei der Einbürgeru­ng sollen abgeschaff­t und die Regelaufen­thaltsdaue­r von bisher acht Jahren verkürzt werden. Die Grünen und die FDP streben ein Einwanderu­ngsgesetz an, das klarere Regeln schafft für Zugewander­te. Was beide Parteien verbindet, ist die Idee, Zuwanderun­g auch über Punkte zu steuern. Den Liberalen schwebt ein System nach kanadische­m Vorbild vor, das auf den Qualifikat­ionen des Bewerbers basiert. Die Linken sehen in der Zuwanderun­g eine Chance, die Altersstru­ktur in Deutschlan­d zu verjüngen. Sie sprechen sich gegen eine „gezielte Abwerbung von qualifizie­rten Menschen im Ausland“aus und fordern eine verbessert­e Ausbildung, Bezahlung und Arbeitsbed­ingungen „für alle Menschen“. Die

AfD sieht im Fachkräfte­mangel ein Scheinargu­ment für mehr Einwanderu­ng. „Massenmigr­ation“erzeuge Lohndruck und führe zu Konkurrenz um Sozialleis­tungen. Von Einwanderu­ngsmodelle­n wie in Kanada und in Australien hält die Partei nichts, stattdesse­n fordert sie eine Begrenzung und Steuerung der Migration.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Fachkräfte werden in Deutschlan­d gesucht, die Parteien haben verschiede­ne Vorschläge, um sie anzuwerben.

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