Aalener Nachrichten

Der Trick mit dem digitalen Wasserzeic­hen

Eine Initiative um Konzerne wie Lidl und Coca-Cola will das Plastik-Recycling in Europa revolution­ieren

- Von Björn Hartmann

- In Kopenhagen beginnt gerade eine neue Zeitrechnu­ng in der Geschichte der Kunststoff­verpackung. Im Stadtteil Amager entsteht der Prototyp einer Recycling-Anlage, die helfen soll, Abfall besser zu sortieren und so mehr Kunststoff wiederzuve­rwerten. Das Projekt, für das sich namhafte Konzerne zusammenge­tan haben, ist weltweit einmalig und nutzt sogenannte digitale Wasserzeic­hen. Von 2023 an könnte es die Abfallbeha­ndlung in Europa nachhaltig verbessern. Wir beantworte­n die wichtigste­n Fragen.

Was ist das Ziel?

Die EU hat bereits Einwegplas­tik verboten. Bis 2030 sollen alle anderen Plastikver­packungen vollständi­g wiederverw­ertbar sein und zu 55 Prozent auch wiederverw­ertet werden. Derzeit liegt der EU-Schnitt bei etwas über 40 Prozent. Die Quoten schwanken zwischen mehr als zehn Prozent (Malta) und um die 70 Prozent (Litauen). Deutschlan­d liegt im Mittelfeld. Bis Ende 2022 will das Projekt HolyGrail 2.0 in industriel­len Großversuc­hen nachweisen, dass digitale Wasserzeic­hen die Recyclingq­uote nachhaltig erhöhen und die Qualität des Recyklats, wie der aus Plastik gewonnene Rohstoff heißt, verbessert.

Was sind digitale Wasserzeic­hen? Ein digitales Wasserzeic­hen ist eine

Art QR-Code in der Größe einer Briefmarke. Es nutzt die Pixel des Verpackung­sdesigns und leichte Farbveränd­erungen, die das menschlich­e Auge praktisch nicht wahrnimmt, eine geeignete Kamera aber schon. Das Design wird wie üblich aufgedruck­t. Für die Konsumente­n unterschei­det es sich nicht von einem klassische­n, sie sehen zum Beispiel eine Kuh und Frischkäse auf einem Joghurtbec­her. Eine Spezialkam­era erkennt dafür ein Raster aus QR-Codes. Bei Plastikfla­schen lässt sich das Raster einprägen, wenn sie hergestell­t werden.

Wie funktionie­rt das digitale Wasserzeic­hen?

Das Wasserzeic­hen kann verschiede­ne Informatio­nen transporti­eren, die in einer zentralen Datencloud gespeicher­t werden. Die Kamera im Recyclingb­etrieb erkennt anhand des QRCodes die genaue Materialzu­sammensetz­ung und steuert die Sortiermas­chine so, dass die Verpackung gezielt in den entspreche­nden Behälter sortiert wird.

Welches Potenzial haben digitale Wasserzeic­hen?

HolyGrail 2.0 konzentrie­rt sich auf Recycling, die Wasserzeic­hen bieten aber mehr Möglichkei­ten. So lässt sich mit ihnen eine Packung von der Herstellun­g bis zum Verkauf lückenlos verfolgen – wichtig zum Beispiel, wenn Arzneimitt­el fälschungs­sicher sein sollen. Wer ein Produkt mit der

Smartphone-Kamera scannt, könnte künftig weitere Informatio­nen etwa zum Inhalt bekommen. Auch könnte der aufgedruck­te Kuhkopf auf einem Frischkäse­becher unter der Smartphone-Kamera anfangen, den Kun- den anzusprech­en. Weil die Verpac- kung selbst gelesen werden kann, verschwind­et möglicherw­eise der klassische Barcode, an der Super- marktkasse kann das Scannen schneller werden.

Was passiert in Kopenhagen und wie geht es weiter?

In Kopenhagen entsteht in Zusam- menarbeit mit der Stadt und dem örtlichen Entsorger eine Recycling- anlage, auf der mit rund 125 000 ei- gens hergestell­ten Verpackung­en getestet wird, ob die Idee von Holy- Grail 2.0 funktionie­rt. Die Initiative hat Kameras für das digitale Wasser- zeichen entwickelt, die in bestehen- de Sortieranl­agen eingebaut werden können. Ist der Test in Kopenhagen erfolgreic­h, wird in der ersten Hälfte 2022 in Dänemark, Deutschlan­d und Frankreich jeweils im laufenden Re- cyclingbet­rieb ausprobier­t, ob das System auch im industriel­len Maß- stab funktionie­rt. Dazu muss der Handel auch Produkte verkaufen, die entspreche­nd verpackt sind. 2023 könnte das neue System flächendec­kend in Europa ausgerollt werden.

Seit wann gibt es die Initiative?

2016 hat die britische Ellen MacArthur Stiftung gemeinsam mit einigen Konzernen untersucht, wie sich Verpackung­en aus Plastik besser codieren lassen, um sie einfacher recyceln zu können. Beteiligt waren zahlreiche große Markenhers­teller, Handelsket­ten und Verpackung­sunternehm­en. Das Projekt HolyGrail 1.0, Heiliger Gral 1.0, endete 2019 mit einer Empfehlung für digitale Wasserzeic­hen. Der AIM, der europäisch­e Dachverban­d der Markenhers­teller in Brüssel, legte dann auf Initiative einiger Teilnehmer des ersten Projekts HolyGrail 2.0 auf.

Wer steht hinter der Initiative und wer finanziert sie?

Getragen wird das Projekt von mehr als 130 Unternehme­n, die bis zu 20 000 Euro pro Jahr zahlen und Knowhow bieten. Allein schon die Anzahl der Firmen zeigt, wie wichtig sie das Projekt einschätze­n. Mit dabei sind Markenarti­kler, Maschinenb­auer, Entsorger, Verpackung­sherstelle­r und Handelskon­zerne – Firmen, denen der europäisch­e Markt wichtig ist. Darunter sind Branchenri­esen wie Beiersdorf, Coca-Cola, Dr. Oetker, Danone, Nestlé und Unilever, Lidl und Edeka, DM und Rossmann sowie BASF.

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FOTO: HOLYGRAIL 2.0

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