Eine Legende landet im Museum
Das legendäre Flugboot Do 24 ATT kommt ins Museum
Das Flugzeug aus dem Hause Dornier ist eine Legende: Mit der Do 24, deren Geschichte im Jahr 1944 begann, wurden Tausende Menschen gerettet – Flüchtlinge und Schiffbrüchige. Wassern auf dem Bodensee, wie hier auf dieser historischen Aufnahme aus dem Jahr 1971 wird sie an diesem Freitag nicht. Stattdessen landet die letzte existierende Do 24, umgebaut zur Do 24 ATT, im Dornier-Museum. Sie soll aus eigener Kraft mit laufenden Motoren vom Flughafen ins benachbarte Museum rollen.
- Seit Wochen hungern die sechs Geschwister, frieren sich in diesem eiskalten Winter 1945 auf der Flucht vor der Roten Armee fast zu Tode. Die zieht nach Westen, nachdem die Deutsche Wehrmacht Russland überfallen und dabei Millionen Soldaten und Zivilisten ermordet hatte. Die Kinder stapfen durch meterhohen Schnee. Rennen vor Fliegerangriffen um ihr Leben. Ihre Mutter Emma Gutsch: tot. Der Vater: nicht greifbar. In einem Lager am Fliegerhorst Kamp, zwischen Kolberg und Treptow an der Rega gelegen, nimmt sich die vierfache Mutter Marie Sanden der Geschwister im Alter von acht bis 15 Jahren an. Die Angst raubt der Großfamilie und den anderen Flüchtlingen fast den Atem – die Rote Armee rückt immer näher. Wie ein Wunder kommt es den Menschen vor, als am Morgen des 4. März 1945 die Rettung bereitsteht: Flugboote des Typs Do 24 der deutschen Seenotgruppe 81. Nur noch mit ihnen ist ein Entkommen möglich. Wie am Fließband wassern die Flugboote auf dem Kamper See, heben mit Flüchtlingen an Bord ab. Keiner weiß, ab wann die Maschinen beschossen werden.
Es sind Berichte wie diese, die Iren Dornier bewegen. Er ist Eigner der letzten existierenden Do 24, umgebaut zur Do 24 ATT, und Enkel von Flugzeugpionier Claude Dornier. Viele ehemalige Mitarbeiter der Firma Dornier bekommen feuchte Augen, wenn von dem Flugboot die Rede ist, das Weltgeschichte geschrieben hat. Am Freitag wird die Do 24 vom Bodensee Airport in Friedrichshafen ins benachbarte Dornier Museum rollen, wird eines der Top-Ausstellungsstücke. Museumsdirektor Peter Rien sagt: „Im August 1971 kehrte die Do 24 nach Deutschland zurück und findet nach einer wechselvollen Geschichte nun, nach 50 Jahren, ihre Heimat bei uns im Dornier Museum. In der Form und Ausstattung, wie das Flugboot heute in unserer Ausstellung steht, ist es weltweit einzigartig und ein weiteres Zeugnis für den Pioniergeist und die Experimentierfreudigkeit von Dornier bis in die heutige Zeit.“
Die Geschichte der Do 24 begann 1944. Seitdem wurden rund 200 Maschinen als Rettungs- und Transportflugboote ausgeliefert. Professor Elmar Wilczek, letzter Programmleiter Seeflugwesen bei der Dornier Luftfahrt GmbH, spricht von einem „fantastischen Seeflugzeug“: „Dieses Flugboot steht wie kaum ein anderer Flugzeugtyp in der Welt für den humanitären Gedanken in der Luftfahrt.“
Insgesamt 12 000 Schiffbrüchige – ob Freund, ob Feind – sind während der Kriegszeit von den Crews unter schwierigsten Bedingungen und unter Einsatz des Lebens im Mittelmeerraum, der Nord- und Ostsee, dem Atlantik und Ärmelkanal aus Seenot gerettet worden. An den Brückenköpfen der deutschrussischen Front wurden zudem von der 1944 gegründeten Seenotgruppe 81, zu der 24 Do 24 Flugboote gehörten, rund 146 000 Menschen aus Ostpreußen und Hinterpommern evakuiert. In Spanien waren seit 1944 zwölf Maschinen des hochseefähigen Flugboots für die Seenotrettung stationiert. Sie wurden bis 1969 geflogen.
Vor 50 Jahren kam der Tag des
Abschieds: Die letzte noch existierende D0 24 war auf Mallorca für die spanische Luftwaffe stationiert. Sie sollte verschrottet werden. Für eine D-Mark kaufte sie Claudius Dornier, einer der Söhne von Claude Dornier und Onkel des jetzigen Eigners Iren Dornier. Mit einem Festakt wurde die letzte Maschine in Friedrichshafen empfangen.
„Nachdem bekannt wurde, dass das Flugboot endgültig in wenigen Minuten eintreffen werde, versammelte sich ein großer Teil der Dornier-Belegschaft auf der Mole, auf den Dächern der Gebäude und an den Fenstern, um den Anflug der Do 24 mitzuerleben. Groß war der Jubel, als der Veteran aus dem Dunst über der Konstanzer Bucht auftauchte und dann bei strahlendem Sonnenschein seinen Kurs auf Friedrichshafen-Löwenthal nahm“, hieß es seinerzeit in den Dornier-Werksnachrichten. Mit an Bord des Flugboots, das an der Mole am damaligen Dornier-Werk wasserte: Der damals zwölfjährige Iren Dornier. Er verliebte sich in die Maschine.
Doch bis die zwei zusammenkommen konnten, dauert es noch. Nach einer „Parkzeit“im Seewerk Immenstaad in der Nähe von Friedrichshafen entstand innerhalb von vier Jahren aus der Do 24 die Do 24 Amphibischer Technologie-Träger (ATT). Gefördert vom Bundesforschungsministerium, das fest an einen zukunftsträchtigen Markt für Amphibienflugzeuge glaubte. Zum
Teil wurden dabei auch Teile des legendären Dornier Senkrechtstarters Do 31 verwendet. Die Forschungsergebnisse sollten in ein internationales Projekt einfließen: ein besonders fortschrittliches neues Amphibien-Flugzeug (AAA).
Der mittlerweile verstorbene Dornier-Testpilot Dieter Thomas bekam damals den Auftrag, die Do 24 ATT zu testen. Was er fast drei Tage und Nächte lang, in 66 Flugstunden, tat. „Fast wie im U-Boot“sei er sich vorgekommen, urteilte der Testpilot. Mühelos absolvierte das Flugboot auch Einsätze auf rauer See. „Diese Kombination aus Wasser und Luft, das war das Schönste, was ich als Testpilot erlebt habe.“
Doch dann folgten Turbulenzen im Haus Dornier. Die endeten für die Do 24 ATT damit, dass der neue Eigentümer Daimler-Benz dem Forschungsprojekt ein jähes Ende bereitete – die Do 24 ATT kommt 1992 als Leihgabe in die Flugwerft Schleißheim des Deutschen Museums München.
Erst über zehn Jahre später erlöste Iren Dornier die Do 24 ATT von ihrem Museumsdasein. Er restaurierte die Maschine auf den Philippinen, seiner zweiten Heimat. Am 5. Februar 2004 startete sie dort wieder in die Luft. Doch damit begnügte sich der Unternehmer, der alle Fluglizenzen hat, nicht: Er ließ nicht locker, bis ihm die philippinische Luftfahrtbehörde eine vorläufige Zulassung für seine „Latina“, wie er die Do 24 ATT liebevoll nennt, erteilte. So beginnt am 16. April 2004 das „Abenteuer Mission Dream“für das Kinderhilfswerk Unicef 86 Stopps in 36 Ländern, Nord- und Südatlantiküberquerung, Wasserlandungen auf Flüssen, Seen und Ozeanen meisterte die „Königin der Lüfte“bis 28. Juli 2006. Eine historische Tour um die Welt, zugleich ein Tribut an die DornierFamiliengeschichte. Iren Dornier kreuzte immer wieder die Route, die das Flugschiff Do X seines Großvaters einst genommen hatte. Legendär auch die Wasserung auf dem Bodensee am 20. Mai 2007: Bei der „Schiffsbrücke“des Vereins Schweizer Kinder bildete Iren Dornier mit seinem Flugboot das Herz des mit vier Fahrgastschiffen gebildeten Schweizer Kreuzes – ein Dank an die Eidgenossen, die nach dem Krieg Tausende von deutschen und österreichischen erholungsbedürftigen Kindern aufnahmen.
Immer wieder hob Iren Dornier mit seiner Do 24 ATT ab – getreu seiner Lebensphilosophie „No Limits“. Dann, bei einer Veranstaltung für Wasserflugzeuge, wurde das Flugboot im Juli 2015 bei der Wasserung in Österreich durch Treibholz beschädigt. Was der Eigner zum Anlass nahm, die Do 24 ATT zurück nach Friedrichshafen zu bringen und komplett zu überarbeiten. Dort steht sie nun am Flughafen und wartet auf den Umzug ins nahegelegene DornierMuseum. Doch wird Iren Dornier seine „Latina“also wieder fliegen? Ein anspruchsvolles Unterfangen, denn die Zulassungskriterien wurden immer wieder verschärft. Ausgeschlossen ist es jedoch nach vielen technischen Umbauten an der Maschine nicht. Im Dornier Museum wird sie so ausgestellt, dass zwischen ihr und der Freiheit nur ein beweglicher Zaun steht. „Sie ist nicht nur schön. Man kann sich absolut auf sie verlassen“, betont Dornier.
Das haben auch die Geschwister Gutsch seinerzeit erlebt. Sie durften – gemeinsam mit der vierfachen Mutter Marie Sanden, die sich ihrer angenommen hatte, und deren Kinder als erste an Bord der Do 24. Sie wussten noch nicht, dass einen Tag später eine Do 24 mit mehr als 70 Kindern an Bord kurz nach ihrem Start abstürzen sollte – wohl nicht, weil sie überladen war, sondern weil sie von einer russischen Panzergranate getroffen worden war.
Von derlei blieben die GutschKinder verschont. „Am Hafen standen Unmengen von Leuten“, berichteten sie viele Jahre später. „Über ein Brett mussten wir hochklettern. Der Pilot hat uns gesagt, dass wir ganz nach hinten gehen müssen.“Die „Schaukelbewegungen“waren einem Gutsch-Mädchen noch in Erinnerung. Und dass ihm schlecht wurde, weil so viele Menschen in der Maschine waren. Der Pilot landet die Do 24 sicher in Swinemünde. Später finden die Kinder eine Heimat in Friedrichshafen. 2016 starb Günther Gutsch mit 83 Jahren. „Die Flucht hat ihn lebenslang geprägt, er hat immer wieder davon erzählt“, berichtet seine Frau. Die Do 24 habe er nie vergessen. „Sie hat ihm und seinen Geschwistern das Leben gerettet.“