Antworten statt Angstmache
Wer den Wahlkampf verfolgt und wer auf die vergangenen anderthalb Jahre zurückblickt, dem begegnet in der Politik immerfort ein Thema: Angst. Angst vor dem Coronavirus, Angst vor dem Klimawandel, Angst vor Rot-Grün-Rot. Das Muster ist immer dasselbe. Es soll die Menschen zur Disziplin zwingen oder an die Wahlurnen treiben. Natürlich gehören Ängste zum Leben. Und auch in der Geschichte der Politik war das Heraufbeschwören von Ängsten stets Teil der Erlangung von Macht. Nicht zuletzt hat es auf diesem Ticket vor vier Jahren eine neue Partei in den Bundestag geschafft. Mit der Angst vor Migration wurde die AfD beim ersten Parlamentseinzug auf Anhieb die stärkste Oppositionsfraktion.
Das Problem besteht darin, dass Angst einem Gift ähnelt. Sie lähmt, und spaltet. Das gilt beim Klimawandel, beim rot-grün-roten Gespenst oder bei der Migration. Und nichts braucht Deutschland derzeit weniger als Lähmung oder Spaltung. Der Schlüssel zu Veränderungen liegt in einer Demokratie darin, die Mehrheit der Bevölkerung für bestimmte Ziele zu gewinnen. Und das gelingt am besten, indem man Menschen Chancen statt der Apokalypse ausmalt, ihnen Wege zeigt, die eigene Hilflosigkeit zu überwinden und selbst etwas bewegen zu können. Sonst passiert es, dass sich die Angst auf unerwarteten Wegen Bahn bricht. Seltsame Wahlergebnisse sind davon nur eine Spielart.
Wenn jetzt also die Studie „Die Ängste der Deutschen“herausgefunden hat, dass die größte Sorge der Menschen hierzulande Wohlstandsverluste sind, dann sollte das die Parteien hellhörig machen. Denn offenbar wird den Menschen klar, dass die großen Ziele der Weltrettung – vor der Pandemie oder vor dem Klimakollaps – letztlich sie in ihrem alltäglichen Leben werden bezahlen müssen, sei es per Steuererhöhung oder durch steigende Preise. Diese Sorgen in eine positive Erzählung zu verwandeln, ist jetzt die Herausforderung. Denn die Menschen erwarten von Politikern Antworten, die Zuversicht vermitteln. Ängste haben sie selbst schon genug.