Die rote Langeweile
Ein Gefühl macht sich breit in Fußballdeutschland. Es ist ein Gefühl der Eintönigkeit. Nicht, dass man etwas anderes als die zehnte Meisterschaft nacheinander des FC Bayern München im Vorfeld der Saison wirklich erwartet hätte, doch ist da irgendwo, ganz, ganz am Boden, in der untersten Schublade des Fußball-Gefühlsschrankes dann immer die Hoffnung (zumindest bei allen Nicht-Bayern-Anhängern), dass es dann doch irgendwann passiert, der Branchenprimus vom allzu lang besetzten Thron gestoßen wird und auf der höchsten Stufe ein anderer Verein Platz nimmt und sich die Krone aufsetzt. Doch ist diese Hoffnung beim Schreiber dieser Zeilen seit diesem Wochenende schon wieder dahin. Da braucht nun auch niemand ankommen und vom vierten Spieltag erzählen, von dem, was noch alles passieren kann, und was man sonst so an Scheinargumenten herausholt, wenn man versucht, das Unabwendbare dann doch noch nicht akzeptieren zu wollen.
Geschafft hat es der Stern des Südens ● durch einen ganz alten Trick, mit dem er schon in den 1990er-Jahren einige Titel auf unrühmliche Weise erkaufte – die direkte Konkurrenz schwächen. Wer es vergessen hat, RB Leipzig ist amtierender Vizemeister, also Bayernjäger Nummer 1, und seit diesem Sommer Trainer Julian Nagelsmann, Abwehrchef Dayot Upamecano, Kapitän Marcel Sabitzer und eine Handvoll CoTrainer an den FC Bayern los geworden. Das hat Bayern auf dem Feld eventuell leicht besser gemacht, RB aber definitiv um einiges schlechter. Nicht umsonst formulierte RB-Mittelfeldspieler Tyler Adams gegenüber „The Athletic“: „Nichts – nichts
– macht mich wütender, als dass alle deutschen Clubs an sie (den FC Bayern, Anm. d. Red.) verkaufen. Es verwirrt mich, Mann. Es ist wirklich zum Kotzen.“Recht hat er – und spricht wohl vielen Fußballfans aus der Seele. Denn so gestaltete sich das Spitzenspiel, wie es beinahe jedes der jüngeren Vergangenheit tat: Der Herausforderer reist mit großer
Hoffnung zum Gipfel und mit einer mächtigen Packung nach Hause. RBTrainer Jesse Marsch sprach von einer „großen Niederlage“und einem „schweren Moment für die Gruppe“. „Vielleicht ist es nicht fair, dass wir jetzt so große Tests haben wie gegen Bayern und auswärts bei Manchester. Vielleicht sind wir noch nicht bereit für so große Herausforderungen“,
sagte Marsch. Nicht fair? Ja, vielleicht, doch was ist schon fair, wenn es um den FC Bayern geht?
Aber wer bleibt, wenn Leipzig ● schon jetzt aus dem Titelrennen ausscheidet? Also: ernsthaft? Und nein, wir reden nun nicht vom Tabellenführer aus Wolfsburg. Auch ohne die Champions-League-Belastung anzuführen, kann man eindeutig argumentieren: Es ist der VfL Wolfsburg (!), und wir haben nicht mehr 2009. Sie werden also irgendwann einbrechen und die Tabellenführung an die Münchner Titelbuben abgeben.
So kommen wir zu Bayer Leverkusen ● und Borussia Dortmund. Furiose Offensivteams, die nicht umsonst beim direkten Duell zu begeistern wussten. Einiges spräche sogar für den Meister BVB: Denn kommt dessen Offensive der Extraklasse ins Rollen, wird es für jeden Gegner ungemütlich. Dazu ist die Bank in der Tiefe stärker besetzt als die des Branchenprimus. Die Moral stimmt ebenfalls. Bei den frechen und vor dem Tor eiskalten Leverkusenern geriet der Pokalsieger dreimal in Rückstand und gewann trotzdem. Aber: Selbst für eine offensiv ausgerichtete Mannschaft spielt Dortmund unausgewogen. Die Gegner mögen nicht viele Chancen erhalten, diese sind wegen der großen Abstände in der Defensive aber oft hochkarätig. Neun Gegentore sind bislang die Folge, Bayern kassierte vier. BVB-Trainer Marco Rose hatte „viel zu bereden“, und das sollte er dringend tun. Denn die englischen Wochen beginnen erst. Rückstände aufzuholen, geht an die Substanz. Und auf lange Sicht auf Kosten von Punkten. Es darf den Bayern also beinahe schon zu La Décima gratuliert werden.