Harsche Kritik der kleineren Parteien am Triell
FDP, Linke und AfD vermissen bürgernahe Themen – Laschet stellt Sofortprogramm vor
BERLIN - Am Tag nach dem zweiten Triell, der TV-Debatte der drei Bewerber um die Nachfolge von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), reklamierten alle Beteiligten den Sieg für sich. Die Union, in den Umfragen weiterhin hinter der SPD liegend, sieht sich gut für die Aufholjagd in den letzten beiden Wochen bis zur Wahl gerüstet. Allerdings sehen zwei Blitzerhebungen von Meinungsforschungsinstituten erneut den SPD-Bewerber Olaf Scholz vorn. Wie bereits vor zwei Wochen lag CDU-Chef Armin Laschet bei der Frage, wer am überzeugendsten und glaubwürdigsten war, noch hinter der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Sie punktete mit den besten Sympathiewerten.
Von den Oppositionsparteien gab es derweil heftige Kritik an der Themenauswahl. FDP-Chef Christian Lindner vermisste vor allem das Thema Bildung. „Beim Triell ging es um viel Geld, das verteilt werden soll“, schrieb er auf Twitter. Es hätten aber Ideen gefehlt, „wie wir unsere Wirtschaft nach der Krise stärken, um überhaupt die Mittel für Soziales und Ökologisches zu gewinnen“. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch nannte den Schlagabtausch „insgesamt enttäuschend“. Themen wie „gute Arbeit, Kinderarmut, Inflationsentwicklung, gleiche Lebensverhältnisse in Ost-West“hätten keine Rolle gespielt.
Kritik kam auch von AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla. „Über die wirklichen Probleme der Deutschen hat man kaum gesprochen“, sagte er im ZDF. So sei es wenig um die Rente und Steuern gegangen, die hohe Inflation sei „mit keinem Wort erwähnt“worden. Die „wirklichen Sorgen und Probleme des Mittelstands, der Mittelschicht“seien nicht vorgekommen. Inhaltlich nahmen im Triell die Themen Klimaschutz und bezahlbarer Wohnraum den größten Raum ein. Außen- und Europapolitik spielten keine Rolle. Scholz und Laschet waren zudem wiederholt heftig aneinandergeraten.
Laschet stellte am Montag zusammen mit der stellvertretenden Parteichefin Silvia Breher ein Sofortprogramm vor, in dem sechs Bereiche benannt sind, die im Falle eines CDU-Wahlsieges Priorität haben sollen. Die Union wolle Familien, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Polizei, Einsatzkräfte und den Mittelstand in den Blick nehmen, sagte Laschet. „Wir wollen uns vor allem denen widmen, die in der Pandemie besonders gelitten haben.“Breher zeigte sich überzeugt, dass die CDU nach dem Erfolg bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen auch die Bundestagswahl gewinnen werde.
BERLIN - Beim zweiten Triell zwischen Annalena Baerbock (Grüne), Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) ging es heftig zur Sache – und zwar zu komplizierten Themen. Talkmaster Thomas Gottschalk sprach sogar von „Chefbeamten-Chinesisch“. Eine Übersetzung.
Redet Scholz seine Rolle bei der Finanzministeriums-Razzia klein?
In der vergangenen Woche durchsuchte die Staatsanwaltschaft Osnabrück Räume des Finanzministeriums. Sie will herausfinden, wer in der Anti-Geldwäsche-Behörde FIU dafür verantwortlich war, dass Hinweise auf eine Millionen-Überweisung nach Afrika nicht gemeldet wurden, obwohl es den Verdacht der Terrorfinanzierung gab. Im Streit über diese Frage bekam Scholz rote Ohren im Triell. So richtig sei das Finanzministerium für diese Behörde gar nicht zuständig, wehrte er sich gegen heftige Vorhaltungen Laschets. Klar ist, dass sein Ministerium für die FIU zuständig ist. Die Frage lautet jetzt, in welcher Form: Hat es die Fachaufsicht, kann es sogar Anweisungen geben – und Scholz’ politische Verantwortung wäre größer. Hat das Ministerium nur die Rechtsaufsicht, kann es lediglich überprüfen, ob die FIU richtig gehandelt hat. Und was gilt? Ganz eindeutig ist das nicht zu beantworten, heißt es bei der Union: Geht es um konkrete Fälle, gibt es nur die Rechtsaufsicht. Das Ministerium könne aber sehr wohl untersuchen, ob die FIU generell richtig organisiert sei, um Geldwäsche-Meldungen effektiv zu verfolgen.
Hat Scholz zu wenig gegen Geldwäsche unternommen?
Diesen Vorwurf erhob Annalena Baerbock: Eines der größten Probleme auch mit Blick auf den Staatshaushalt sei, „dass dem Staat rund 50 Milliarden Euro jährlich durch Steuerbetrug, durch Geldwäsche, durch kriminelle Aktivitäten durch die Lappen gehen“. Beschränkungen für besonders anfällige Barzahlungen gibt es hier tatsächlich keine. Scholz hat sie – ebenso wie die Union – bisher abgelehnt, schon weil viele Bürger Angst haben, das Bargeld solle ganz abgeschafft werden. In vier Bereichen spielen hohe Bargeldzahlungen eine große Rolle: Immobilien, Gebrauchtwagen, Uhren und Schmuck sowie Kunst. Eine Beschränkung gibt es seit Anfang 2020 bei Immobilien: Notare sind jetzt verpflichtet, Bargeldzahlungen von über 10 000 Euro zu melden – an die FIU.
Was ist noch mal der Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme?
Die Bundesrepublik ist in
299 Wahlkreise eingeteilt, jeder von ihnen entsendet einen direkt gewählten Abgeordneten in den Bundestag. Laschet hat mehrfach darauf hingewiesen, als es um den CDU-Kandidaten Hans-Georg Maaßen ging.
Er sei vom dortigen Parteiverband aufgestellt worden. Tatsächlich wählt man Maaßen (Erststimme) nicht mit, wenn man CDU wählt (Zweitstimme). Die Erststimme entscheidet, wer einen Wahlkreis gewinnt. Mit der Zweitstimme geben die Bürger der jeweiligen Landesliste einer Partei ihre Stimme. Die Zweitstimme wird häufig auch „Kanzlerstimme“genannt, weil sie über die Sitzverteilung im Bundestag entscheidet.
Taktisches Wählen mit der Erststimme – wie geht das?
Diese Frage stellen sich nicht nur viele Bürger im Wahlkreis 196 in Südthüringen, wo Maaßen antritt. Hier haben etwa die Grünen die eigenen Wähler dazu aufgerufen, den SPD-Kandidaten und früheren Biathlon-Olympiasieger Frank Ullrich zu wählen – um den hochumstrittenen Maaßen zu verhindern. Generell gilt: Wer mit der Erststimme vor allem seinen Anteil dazu leisten will, dass ein Kandidat nicht gewählt wird, sollte den aussichtsreichsten Gegenkandidaten wählen. Berechnungen zu Wahlkreisen gibt es auf wahlkreisprognose.de oder election.de.
Wie war das mit der Impfpflicht?
Während Scholz und Laschet eine Impfpflicht klar ablehnten, hat die Grüne Annalena Baerbock deutlich gemacht, dass sie eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen befürwortet – etwa im Gesundheits- und Bildungsbereich. International gesehen ist Baerbocks Position nicht abwegig. Sie folgt damit einer Linie, die es auch in anderen westlichen Industrieländern gibt. In den USA etwa hatte Präsident Joe Biden in der vergangenen Woche angesichts von 80 Millionen Impfverweigerern und hoher Infektionszahlen verfügt, dass es für alle Mitarbeiter von Bundesbehörden eine Impfpflicht geben wird. Eine Impfpflicht im Gesundheitswesen und in der Pflege gibt es seit Monatsbeginn auch in Griechenland, in Frankreich tritt sie am Mittwoch in Kraft. Bereits seit März gibt es diese Regelung in Italien.
Was war los mit der Moderation?
Die Moderatoren des zweiten Triells, ZDF-Polittalkerin Maybrit Illner und ARD-Chefredakteur Oliver Köhr, sind erfahrene Journalisten. Dennoch wirkten ihre Fragen unstrukturiert. Zur Migration durfte sich etwa nur Laschet äußern. Zudem vermischten Illner und Köhr die Themen so stark, dass jeder der drei Kandidaten zwischendurch einmal nachhaken musste.