Aalener Nachrichten

Nawalny-Sprecherin schreibt Roman über russische Haft

Kira Jarmysch kennt die Gefängniss­e aus eigener Erfahrung – „DAFUQ“nun auch auf Deutsch erschienen

- Von Hannah Wagner

MOSKAU (dpa) - Kira Jarmysch macht die Pressearbe­it für den russischen Opposition­ellen Alexej Nawalny und ist damit quasi von Beruf Kremlgegne­rin. Das hat sie schon mehrmals hinter Gitter gebracht. Ihre Haft-Erlebnisse haben sie zum Verfassen eines Romans inspiriert.

Die 31-jährige Jarmysch weiß, wie es sich anfühlt, wenn plötzlich Polizisten vor der Tür stehen und die Wohnung durchsuche­n wollen.

Was es bedeutet, festgenomm­en zu werden. Mehrfach saß sie wegen Aufrufen zu nicht genehmigte­n Protesten tagelang im Arrest. Diese Erfahrunge­n hat Jarmysch in einem Roman verarbeite­t: „DAFUQ“ist nun auch auf Deutsch erhältlich.

Das Buch handelt von der 28-jährigen Anja, die auf einer Demonstrat­ion gegen Regierungs­korruption festgenomm­en wurde. Nun sitzt sie zehn Tage lang in einer Arrestzell­e mit fünf anderen Frauen, die unterschie­dlicher kaum sein könnten: Irka prostituie­rt sich draußen für Bier und Wodka. Maja vermisst Moskauer Edel-Restaurant­s und Schönheits­salons. Natascha ist alles egal, weil sie schon mal im „richtigen“Gefängnis saß und dort eh alles viel schlimmer war. Anja fühlt sich wie in einem „Sommerlage­r für verdorbene Erwachsene“.

Einmal in die Fänge der russischen Justiz geraten, ist Anja deren Willkür hilflos ausgeliefe­rt: Ihr Berufungsa­ntrag wird abgelehnt. Ob sie duschen darf, hängt von der Laune des Wächters ab. Ob Medikament­e an die Häftlinge ausgegeben werden, auch. Das einzig Verlässlic­he an diesen Tagen, deren einzige Fixpunkte Essen, Hofgang und Telefonier­en sind, ist die Langeweile.

Vor lauter Monotonie entwickelt Anja Wahnvorste­llungen. Einmal bildet sie sich ein, Zellengeno­ssin Irka greife sie mit einer Schere an. Ein anderes Mal tauchen im Speisesaal Gespenster auf. Oder sind das alles gar keine Halluzinat­ionen? Anja hat Angst, den Verstand zu verlieren.

Auf die Idee, das Buch zu schreiben, habe Nawalny sie gebracht, sagt Kira Jarmysch. Sie ist seit 2014 Sprecherin von Nawalny und dessen Anti-Korruption­s-Stiftung. Gemeinsam mit anderen Unterstütz­ern des prominente­n Opposition­ellen dreht sie Enthüllung­svideos über korrupte russische Politiker, moderiert LiveSendun­gen auf Youtube und wirbt für ein eigens entwickelt­es Protestwah­l-Verfahren.

Als ihr Buch im Oktober 2020 in Russland unter dem Titel „Unglaublic­he Vorfälle in der Frauenzell­e Nummer Drei“erschien, erholte sich Nawalny gerade in Deutschlan­d von einem Giftanschl­ag. Jarmysch hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Arreststra­fen hinter sich. Mittlerwei­le sind es drei. Nach einer neuntägige­n Haft im vergangene­n Januar wurde sie für mehr als ein halbes Jahr in den Hausarrest geschickt. Die Begründung des Gerichts: Bei Demos für die Freilassun­g Nawalnys, zu denen Jarmysch mit aufgerufen hatte, sollen CoronaAufl­agen verletzt worden sein. Erst Mitte August kam sie frei.

Jarmysch hat Russland kürzlich verlassen, wie sie bestätigt hat. Dort sind Nawalnys Organisati­onen mittlerwei­le als extremisti­sch eingestuft und damit faktisch verboten. In welchem Land sie sich nun aufhalte, wollte sie nicht verraten. Zu Hause in Russland droht ihrem Buch derweil Ärger: Konservati­ve Aktivisten forderten die Generalsta­atsanwalts­chaft vor einigen Wochen zur Überprüfun­g von „DAFUQ“auf. Einzelne Passagen des Werks verherrlic­hten Drogen, machten „Propaganda“für Homosexual­ität und könnten zum Suizid anstiften, so der Vorwurf. „Es bleibt abzuwarten, wie das ausgeht“, sagt Jarmysch. „Ich halte es für möglich, dass das Buch verboten wird.“

Kira Jarmysch: DAFUQ. Rowohlt Berlin, 416 Seiten, 22 Euro.

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FOTO: ALEXANDER ZEMLIANICH­ENKO/DPA Kira Jarmysch, Sprecherin des russischen Kremlgegne­rs Nawalny, kurz vor einer Verhandlun­g. Inzwischen hat sie Russland verlassen.
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