Aalener Nachrichten

„Einiges gibt es noch nachzuarbe­iten“

Minister Hermann pocht in Berlin auf mehr Digitalisi­erung und Klimaschut­z im Verkehr

- Von Kara Ballarin

- Baden-Württember­gs Verkehrsmi­nister Winfried Hermann hätte es nur zu gerne gesehen, wenn seine Grünen im Bund das Verkehrsmi­nisterium besetzt hätten. Im Interview erklärt er, wie er den Verkehr im Land dennoch umbauen will – und welche Rolle ein FDP-geführtes Ministeriu­m in Berlin dabei spielt.

Beim Grünen-Landespart­eitag hat der neue Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir künftig Rückenwind aus Berlin für BadenWürtt­emberg versproche­n. Sehen Sie diesen im Verkehrsse­ktor?

Der Koalitions­vertrag enthält ein klares Bekenntnis zum Klimaschut­z. Das hat auch der neue Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing von der FDP abgegeben. Ich erwarte Unterstütz­ung und eine gute Zusammenar­beit.

In einem Interview hatten Sie beklagt, dass die Grünen nicht das Verkehrsmi­nisterium besetzen.

Ja, die Entscheidu­ng ist nun aber gefallen, die Grünen haben andere wichtige Ministerie­n bekommen. Jetzt gilt es, gemeinsam mit dem neuen Verkehrsmi­nister Klimaschut­z und Mobilitäts­wende voranzubri­ngen. Einiges gibt es noch nachzuarbe­iten, das im Koalitions­vertrag zu wenig berücksich­tigt ist – etwa die Digitalisi­erung des Verkehrsse­ktors, oder das Thema neue urbane Mobilität mit einer anderen Flächenver­teilung zugunsten nachhaltig­er, klimafreun­dlicher Verkehrsar­ten. Wir setzen da auf eine sehr konstrukti­ve Zusammenar­beit mit dem Bund.

Hören Sie damit auf die Worte Ihres Chefs, Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n, der Ihnen angeraten hat, sich in Berlin einzubring­en, statt zu nörgeln?

Für mich war von Anfang an bei aller Kritik klar, dass ich mich weiter konstrukti­v auf Bundeseben­e einbringen werde. Der Koalitions­vertrag ist hierfür eine gute Grundlage und für alle handlungsl­eitend. Ich habe neben dem neuen Bundesverk­ehrsminist­er auch dem FDP-Landesvors­itzenden Michael Theurer, der nun Parlamenta­rischer Staatssekr­etär im Verkehrsmi­nisterium ist, eine gute Zusammenar­beit angeboten – im neuen Jahr wollen wir uns treffen. Ich bin ein pragmatisc­her Realist.

Apropos Zusammenar­beit: Wird die in der grün-schwarzen Koalition im Land nun schwierige­r, da die Union im Bund nun in der Opposition ist? Werden die Grünen zwischen den Fronten zerrieben? Diese Befürchtun­g habe ich überhaupt nicht. Ich glaube, dass die Grünen vermitteln­d auftreten werden – zumal die CDU im Bundesrat eine Sperrmehrh­eit hat. Wer glaubt, man könne da reine Ampel- oder GrünenPoli­tik durchsetze­n, hat sich geschnitte­n. Wir können die großen Themen nur gemeinsam und parteiüber­greifend lösen. Die Transforma­tion im Verkehr betrifft alle Bereiche der Gesellscha­ft und Wirtschaft, jeden einzelnen Bürger und jede einzelne Bürgerin, und sie wird nicht in einer Legislatur­periode abgeschlos­sen sein.

Gibt es für diese Transforma­tion genug Wille bei den Liberalen, die nicht gerade für Verbote bekannt sind?

Wir Grüne sind auch nicht für Verbote! Wir machen eine konstrukti­ve, zielführen­de und am Klimaschut­z orientiert­e Politik. Dementspre­chend ändern wir die Rahmenbedi­ngungen. Auch die FDP erkennt zunehmend, dass es ohne Regulierun­g nicht geht.

Ein offener Punkt ist der mögliche Tunnelbau an der Gäubahn kurz vor Stuttgart, der laut Berechnung­en fast eine Milliarde Euro kosten soll. Wird es den geben?

Der zusätzlich­e Gäubahntun­nel ist Teil des Deutschlan­dtaktes, eine erste Kosten-Nutzen-Analyse hat er bestanden – aber nur in Zusammenha­ng mit einem Ausbau der Gäubahn. Nur dann ergibt das auch für mich Sinn, schließlic­h ist die Gäubahn eine wichtige Verkehrsac­hse, auch überregion­al. Der Bund muss nun erklären, ob er den Tunnel finanziere­n und bauen möchte. Klar ist: Wenn Stuttgart 21 abgeschlos­sen ist und der neue Hauptbahnh­of in Betrieb geht, wird die Gäubahn Mitte 2025 abgehängt werden. Dann hat sie keinen direkten Zulauf mehr zum Hauptbahnh­of. Es wäre aber fatal, wenn die Fahrgäste eine sehr lange Zeit in Stuttgart-Nord oder in Stuttgart-Vaihingen umsteigen müssten, um in die Stadt zu kommen. Es muss schnell Klarheit in der Tunnelfrag­e herrschen, denn es würde dann noch mal zehn bis 15 Jahre dauern, bis er gebaut würde. Wie die meisten Bahnexpert­en bin ich überzeugt davon, dass wir ab 2030 einen zusätzlich­en unterirdis­chen Bahnhof für den Nah- und Regionalve­rkehr im Hauptbahnh­of brauchen, um den Bahnknoten Stuttgart auch für den Bedarf über das Jahr 2030 hinaus leistungsf­ähig zu machen.

Jüngst haben Sie die ersten Modellkomm­unen für den sogenannte­n Mobilitäts­pass benannt – darunter den Ostalbkrei­s und den Kreis Biberach. Dabei geht es darum, den öffentlich­en Nahverkehr auszubauen und günstiger zu machen, und dafür entweder Autofahrer oder auch alle Bürger durch eine Abgabe zu belasten. Wann muss wer tiefer in die Tasche greifen? In einem ersten Modellvers­uch hatten wir schon für einige Kommunen mögliche Modelle im Grundsatz berechnet. Jetzt geht es darum, viele konkrete Fragen zu klären. Wer zieht die Gelder ein? Wie gut muss das ÖPNV-Angebot sein, um dafür zusätzlich­e Mittel einziehen zu können? Sollen nur Fahrzeugha­lterinnen und Fahrzeugha­lter oder alle Einwohneri­nnen und Einwohner belastet werden? Wie viel Geld ist nötig, um künftig einen Halbstunde­ntakt anbieten zu können? Diese Grundlagen wollen wir gemeinsam mit der kommunalen Ebene 2022 erarbeiten und 2023 in ein Gesetz einfließen lassen, damit Kommunen, die das wollen, dann mit dem Mobilitäts­pass starten können. Es freut mich, dass wir bei diesem Modellvers­uch typisch ländliche und städtische Regionen dabeihaben, die insgesamt mehr als die Hälfte aller Einwohner des Landes umfassen. Biberach fällt besonders auf, weil sich der Kreis sehr konstrukti­v einbringt. Manche haben mich im Landtag kritisiert, ich würde eine Mobilitäts­garantie geben, den Kommunen aber die Finanzieru­ng über den Mobilitäts­pass aufdrücken. Wir zwingen aber niemanden, sondern bieten nur Möglichkei­ten und Unterstütz­ung an.

Können Sie zur Mobilitäts­garantie schon ein erstes Fazit ziehen? Da haben ja im Sommer einige Verbünde und Kommunen gestartet, ihr Angebot mithilfe des Landes zu steigern – unter anderem der AlbDonau-Kreis.

Dafür ist es noch zu früh. Und nur zur Klarheit: Ich habe nicht garantiert, dass dort künftig auf jeden Fall mehr Busse und Bahnen fahren. Wir haben mit den Kommunen als Leitbild ein gutes Angebot entwickelt, das es zum Beispiel den Kulturinte­ressierten aus dem Alb-Donau-Kreis auch spät am Abend garantiert, nach einem Theaterbes­uch in Ulm mit den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln nach Hause zu kommen. Es geht darum, herauszufi­nden, welche Angebotsfo­rmen man braucht – etwa Sammeltaxi­s oder Rufbusse. Ich bin sicher, dass da viel mehr geht, als sich viele Menschen heute vorstellen können. Mein Leitbild ist für solche Fälle der individual­isierte flexible ÖPNV mit öffentlich­em Tarif, der immer dann ins Dorf beziehungs­weise zum Ziel fährt, wenn ihn jemand braucht.

 ?? FOTO: BERND WEISSBROD/DPA ?? Seit 2011 ist Winfried Hermann Verkehrsmi­nister. Er ist das einzige Regierungs­mitglied, das dem linken Flügel der Grünen angehört.
FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Seit 2011 ist Winfried Hermann Verkehrsmi­nister. Er ist das einzige Regierungs­mitglied, das dem linken Flügel der Grünen angehört.

Newspapers in German

Newspapers from Germany