„Unternehmen können sehr schnell und sehr radikal handeln“
Antje von Dewitz, die Chefin des Tettnanger Outdoor-Ausrüsters Vaude, über mehr Nachhaltigkeit, riskante Managemententscheidungen und warum sie lieber beim Marketing spart als beim Klimaschutz
- Kleine Ziele steckt sich die Chefin des Tettnanger OutdoorAusrüsters Vaude, Antje von Dewitz, ungern. Denn wenn man wirklich etwas bewegen wolle, müsse man große Schritte machen. Besonders wenn es um den Klimaschutz geht. Für das nächste Jahr hat sich Vaude vorgenommen komplett klimaneutral zu wirtschaften. Im Interview mit Benjamin Wagener und Helena Golz spricht von Dewitz über ihre Ambitionen, die Notwendigkeit von CO und die neue Bundesregierung.
Frau von Dewitz, Robert Habeck ist neuer Wirtschafts- und Klimaminister. Gibt Ihnen das ein gutes Gefühl im Hinblick auf das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels?
Ja, die neue Regierung macht mir Hoffnung. Ich finde es richtig, dass die Ressorts Wirtschaft und Klima zusammengelegt wurden, denn beim Umsetzen der Klimaziele spielt die Wirtschaft eine ganz entscheidende Rolle. Die Koalition hat es insgesamt bisher gut geschafft, gegensätzliche Perspektiven zusammenzubringen durch einen neuen politischen, modernen, kollegialen Stil. Das ist genau das, was wir brauchen, um ehrgeizige Ziele zu erreichen.
Sie haben schon 2009 die Vision in Ihrem Unternehmen festgelegt, durch und durch nachhaltig zu werden. Sie haben damals das ganze Unternehmen umgebaut, um Nachhaltigkeit in allen Bereichen zu verankern. Wie ist das in Ihrer Belegschaft angekommen?
Meine Geschäftsleitungskollegen und viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter standen von Anfang an voll dahinter, aber natürlich gab es auch viele, die erst mal skeptisch waren. Auch unsere langjährigen Produzenten weigerten sich anfangs den Weg mitzugehen, weil die Zertifizierungen zusätzliche Kosten verursachen und wir die einzigen Abnehmer waren, die nach nachhaltigen Produkten gefragt haben. Wir mussten also viel Überzeugungsarbeit leisten. Aber mittlerweile ist das Thema Nachhaltigkeit bei uns schon seit Jahren fest integriert.
Nun haben Sie sich die nächsten Ziele gesteckt: 2022 soll Vaude weltweit klimaneutral werden. Und bis 2030 wollen Sie noch zusätzlich die Hälfte Ihrer Emissionen reduzieren. Warum gleich zwei so ambitionierte Ziele?
So wie wir momentan in Deutschland und weltweit wirtschaften, können wir nicht weitermachen. Wir verbrauchen viel zu viele Ressourcen. Wir müssen sehr schnell handeln, damit unsere Kinder und deren Nachfolgegenerationen noch ein lebenswertes Leben auf diesem Planeten haben. Im aktuellen Weltklimabericht wird noch einmal deutlich, dass uns gerade mal sieben, acht Jahre bleiben, in denen wir überhaupt noch Einflussmöglichkeiten haben, das 1,5Grad-Ziel zu erreichen und damit dramatische Folgen abzuwenden. Deshalb setzen wir bei Vaude alles daran, dass wir unseren Beitrag dazu noch schneller und wirkungsvoller leisten können.
Und wie schaffen Sie das?
Wir sind bereits seit 2012 am Standort in Tettnang klimaneutral. Nun gilt es, das global auszuweiten. Dazu arbeiten wir an zwei Stellschrauben. Zum einen stellen wir auf recycelte oder biobasierte Materialien um, deren Herstellung weniger C0 verbraucht. Zum anderen wollen wir, dass unsere Materiallieferanten klimaneutral arbeiten. Das ist natürlich herausfordernd, denn wir sind für die Produzenten ja nur ein Auftraggeber unter vielen, aber wir haben Emissionen gemeinsam erfasst und unterstützen sie bei der Umstellung.
Das heißt, bis das geschafft ist, müssen Sie zusätzlich auf CO 2Kompensationen zurückgreifen? Ja, wir haben uns verpflichtet, als Unternehmen unseren Beitrag zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels zu leisten, indem wir unsere Emissionen reduzieren. Da wir momentan noch nicht alle Emissionen vermeiden können, kompensieren wir zusätzlich. Das heißt übersetzt, wir investieren Geld in Klimaschutzprojekte, die so viele Emissionen einsparen, wie wir derzeit noch ausstoßen. Wir fahren also momentan zweigleisig: Wir reduzieren so viel wie nur irgendwie möglich und zugleich kompensieren wir. Damit sind wir ab nächstem Jahr klimaneutral.
Ist das Kompensieren dabei eine Notlösung oder ist das wirklich eine gute Sache?
Es ist Fakt, dass die Emissionen, die wir verbrauchen, durch zertifizierte Kompensationsprojekte an anderer Stelle eingespart werden. Und ich denke, das ist auch eine gute Lösung. Für Unternehmen, die kompensieren, sollte es aber gleichzeitig im Vordergrund stehen, ihre Emissionen immer weiter einzusparen – so wie wir es machen.
CO2-Emissionen entstehen nicht nur bei Produktion oder Transport, sondern auch beim Kunden selbst. Darauf haben Sie als Unternehmen doch kaum Einfluss, oder?
Es stimmt, dass 30 bis 40 Prozent der Emissionen beim Nutzer entstehen, indem er unsere Produkte zum Beispiel oft oder zu heiß wäscht oder nur sehr kurz nutzt. So entstehen Einflüsse auf die Umwelt, die man in Emissionen umrechnen kann. Wir arbeiten seit Langem daran, diesen ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten. Dabei unterstützen wir unsere Kunden ganz konkret. Wir betreiben zum Beispiel unsere eigene Reparaturwerkstatt, bieten Ausrüstung zur Miete an oder wir geben den Kunden praktische Pflegetipps und Reparaturanleitungen an die Hand, um die Nutzungsdauer unserer Produkte zu verlängern.
Aber all das kostet Geld. Wie wollen Sie gleichzeitig absichern, dass
Ihr Unternehmen erfolgreich wirtschaftet? Denn wenn Sie nicht erfolgreich wirtschaften, haben Sie ja überhaupt keine Handlungsmöglichkeit mehr.
Ja, das vorherrschende Wirtschaftssystem macht es einem wirklich nicht leicht, ganzheitlich Verantwortung zu übernehmen. Es ist viel leichter zu sagen: „Das geht mich alles nichts an.“Aber das kann nicht die Lösung sein. Also wie machen wir es und wie können wir uns das leisten? Indem wir uns extrem effizient in unseren Prozessen aufgestellt haben. Das heißt: gut planen, den Einkauf exakt durchrechnen, die Sortimente langfristig ausrichten, um beispielsweise hohe Wertverluste durch Auslaufware oder Restposten zu verhindern. Außerdem wirtschaften wir umsichtig und sparen an entscheidenden Stellen. Wir haben zum Beispiel keine riesigen Marketingbudgets. Ein wichtiger Aspekt ist am Ende aber sicherlich auch, dass wir ein Familienunternehmen sind, das keinen profitorientierten Shareholdern verpflichtet ist.
Sind denn auch die Kunden bereit, mehr für Klimaschutz zu zahlen? Das ist heute sicherlich eher der Fall als noch vor zehn Jahren – es gibt immer mehr Menschen, die nachhaltig konsumieren möchten. Den Kunden ist die Tragweite ihrer Konsumentscheidung heute viel bewusster. Sie verstehen besser, welche möglichen negativen Auswirkungen Textilprodukte haben und wie viel Nachhaltigkeit wert ist.
Eine Befragung der Unternehmensberatung PwC hat kürzlich ergeben, dass Jugendliche in Deutschland beim Einkaufen zwar Wert auf Nachhaltigkeit legen, dass der Preis aber immer noch das wichtigste Kaufkriterium ist.
Das stimmt genauso, der Preis ist nach wie vor sehr sensibel. Auch bei Vaude ist es noch nicht so, dass unsere Mehrkosten für mehr Nachhaltigkeit durch den Preis gedeckt sind. Deswegen müssen wir auch so effizient wirtschaften. Und natürlich gibt es immer noch viele Jugendliche, die bei Textildiscountern wie Primark oder Shein einkaufen. Es ist eben sehr schwer, gewohntes Konsumverhalten aufzugeben. Aber ich nehme auch wahr, dass immer mehr Menschen versuchen, in ihrem Umfeld nachhaltig zu handeln, ob als Privatperson oder als Unternehmen.
Seit November sind Sie neue Vorständin im Bundesverband für Nachhaltige Wirtschaft. In welchen Branchen läuft es denn gut und bei welchen Branchen sehen Sie noch Nachholbedarf in puncto Nachhaltigkeit?
Das kann ich gar nicht so pauschal sagen. Ich glaube, dass sich in jeder Branche das eine oder andere Unternehmen schon richtig bemüht, sei es in der Outdoorbranche, der Reiseoder Versicherungsbranche.
Was sagen Sie zu den großen Branchen Baden-Württembergs: der Automobilindustrie und dem Maschinenbau?
Ich bin sicher keine Expertin der Automobilindustrie, aber ich finde jetzt nicht, dass Deutschland Vorreiter in Sachen nachhaltige Automobilentwicklung ist.
Sie haben mal im „Harvard Business Manager“geschrieben, dass Sie Ratschlägen externer Beratung eher skeptisch gegenüberstehen. Jetzt haben Sie selbst vor einem Jahr die Vaude Academy gegründet, um Unternehmen auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit zu beraten. Wie passt das zusammen?
In meinem Beitrag im „Harvard Business Manager“war das auf die strategische Ausrichtung eines Unternehmens bezogen. Ich finde, die muss aus dem Unternehmen heraus geboren werden, um authentisch zu sein, die kann dir kein Berater vorgeben. Aber in Bezug auf spezielle Thematiken arbeiten auch wir bei Vaude mit externen Beratern zusammen. Gleiches Prinzip gilt in der Vaude Academy. Wir beraten hier bei der Nachhaltigkeitsmethodik, zeigen, wie Nachhaltigkeit als BusinessKompetenz aufgebaut wird, die Entscheidung über die inhaltliche Strategie trifft das Unternehmen selbst.
Um an den Anfang unseres Gespräches zurückzukommen: Wer kann denn nun am Ende schneller für mehr Klimaschutz sorgen? Die Politik oder die Wirtschaft? Unternehmen können schon sehr schnell und sehr radikal handeln, während die Politik sicherlich mehr Zwängen unterworfen ist. Das heißt aber auch, dass die Unternehmen manchmal ungewöhnliche und sogar riskante Entscheidungen treffen müssen, die viel Mut kosten. Ich erlebe leider oft, dass viele in puncto Nachhaltigkeit verharren. Unternehmen warten auf die politischen Rahmenbedingungen, die Politik wartet auf Vorgaben aus Europa und der Konsument wartet auf mehr Angebot. Der eine guckt auf den anderen. Dabei muss jeder anfangen zu handeln in dem Bereich, den er verantwortet. Denn wir brauchen jeden!