Darts-WM statt Vierschanzentournee zum Jahresausklang 7
Ich erinnere mich an eine Zeit, da war die Vierschanzentournee das Fernsehereignis des Jahreswechsels. Martin Schmitt, Andreas Goldberger, Adam Malysz oder Sven Hannawald sprangen sich in die Herzen der Zuschauer. Gefühlt gab es keinen Haushalt, in dem die vier Wettbewerbe nicht liefen und ernsthaft verfolgt wurden. Helden, Unsympathen, jede Menge Spannung – all das gehörte zum Jahresausklang und zum
Start ins Neue unbestritten dazu.
Und heute? Da laufen die Springen immer noch irgendwie im TV. Also wenn es passt, so nebenbei. Warum? Glamouröse Stars mit internationaler Relevanz sind Mangelware, die Regeln verkomplizieren eher den Wettbewerb, neue Formate und damit Spannung? ... hm ...
Maue Sportzeiten also? Mitnichten. Denn auch wenn viele Interessierte es noch belächeln, ist Darts nicht nur in Deutschland erfolgreich in die Lücke gestoßen, die der Fußball dank seiner Winterpause lässt. Statt den dünnen Männer auf ihren langen Brettern beim Segeln zuzusehen, kochen die Emotionen nun hoch, wenn durchaus beleibtere Herren mit tätowierten Unterarmen kleine Pfeile auf noch kleinere Felder werfen.
Statt komplizierter Punktevergabe und Haltungsnoten, Materialund Wetterabhängigkeit heißt es hier täglich Mann gegen Mann – oder Frau.
Der Schwächere ist raus, nur eine(r) kann gewinnen. Die Regeln sind immer gleich. Wer sie einmal verstanden hat, vergisst sie nie wieder.
Jedes Spiel eine Psychoschlacht mit ständig wechselnden Vorteilen. Dass Favoriten straucheln und aus dem Turnier ausscheiden, keine Seltenheit. Dazu die Charaktere. Kaum ein Match, bei dem man nicht eindeutige Sympathien hat und sich zudem einfach am Sport erfreut.
Und wenn das alles nicht hilft, ist Unterhaltung durch die Kulisse gegeben. Der Dartssport ist aus dem Nichts gekommen und hat die Zeichen der Zeit erkannt – anders als so viele andere Sportarten.
Würde die Darts-WM ausfallen, würde mir etwas fehlen, bei der Vierschanzentournee bin ich mir da nicht mehr so sicher. 0. Vierschanzentournee! Siebzigste! Natürlich werden sie wieder das Wort vom „Mythos“strapazieren bis Dreikönig
– wie allwinterlich, seitdem Sepp Bradl Anfang 1953 die erste „Deutsch-Österreichische Springertournee“gewann. Vier Wettbewerbe, in nur zehn Tagen. 24 Sprünge, auf vier grundverschiedenen Schanzen. Ein Sieger am Ende, einer, der ausblenden kann – Reisestrapazen, Medienrummel, Anti-Corona-Prozeduren und, und, und … Mythos Darts-WM??? Eben!!! Vorteil Skisprung!!!
Skisprung in Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen: Das ist 24-mal ein Mensch, der sich mit nichts als zwei Brettern unter den Füßen ziemlich rasant eine ziemlich steile Schanze hinunterstürzt. Die Sekunden in der Anlaufspur, in der Luft haben etwas Archaisches. Der Sportler ist, sobald er sich vom Balken abstößt, allein. Muss, was jetzt kommt, mit sich ausmachen. Und dem Wind. Ohne Zurück. Der Zuschauer? Ist fasziniert.
Weltmeisterliche Präzision mit den kleinen Pfeilen mag begeistern, beeindrucken. Die Frage „Wie kann man nur?“stellt sich in Londons Ally Pally nicht. An den Tournee-Bakken sehr wohl. Als Dartler kann unsereins, so er fleißig übt, immerhin dilettieren. Wer von uns Normalsterblichen einmal an Oberstdorfs Schattenberg auf dem Schanzenturm stand, der wird an alles denken, nur nicht ans FleißigÜben-Wollen …
… wird stattdessen staunend genießen. Im gleißenden Flutlicht unter den 25 500, bei Schanzenwurst und Glühwein (selbst der ist in diesem Ambiente Delikatesse), verkleidet allenfalls mit mehreren Lagen Klamotten gegen die Kälte. 2021 macht die Pandemie all das leider unmöglich. Wieso aber in Zeiten von Omikron 3000 – zugegeben: originell kostümierte – Bierselige beim Darten opportun sind, wissen wohl auch nur die Briten. TV-Tournee also! Dem Mythos wird’s nicht schaden. So wie Sven Hannawald ihm nicht geschadet hat mit seinem Coup vor zwei Dekaden. Erste Plätze überall – dank einer Losung, die so simpel klang und so schwierig war: „Ich mach’ mein Zeug.“Längst geflügeltes Luftartistenwort. Der Mythos lebt. Und bleibt, ihr Dartsfreunde, der größere Wurf.
„Der Dartssport hat die Zeichen der Zeit erkannt.“
Felix Alex
„Der Mythos Tournee lebt wie eh und je.“
Joachim Lindinger