Aalener Nachrichten

Bürokratie bremst ukrainisch­e Lehrer aus

Bundesweit­e Regelungen erforderli­ch – Streit um Aufnahme geflüchtet­er Kinder in Kitas

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Schnell und unbürokrat­isch sollen ukrainisch­e Kinder in Kitas und Schulen aufgenomme­n sowie geflüchtet­e Lehrer und Erzieher eingestell­t werden. Die Realität hält diesem Verspreche­n der Politik bislang nicht stand. Allein in BadenWürtt­emberg hatten sich laut Kultusmini­sterium bis vergangene Woche 270 Menschen gemeldet, die geflüchtet­e Kinder unterricht­en möchten – 70 davon aus der Ukraine. Für deutsche Bewerber seien erste Verträge für Lehrer von Vorbereitu­ngsklassen verschickt, erklärt Stefan Meißner vom Regierungs­präsidium Tübingen. Bei ukrainisch­en Lehrkräfte­n sei das aber schwierige­r.

„Es geht um Regelungen auf Ebene der Kultusmini­sterkonfer­enz“, sagt Meißner. Die Länder, die für Bildung zuständig sind, müssten sich einigen, wie sie etwa mit dem Masernschu­tz, der Vorlage polizeilic­her Führungsze­ugnisse und doppelten Anstellung­sverhältni­ssen in der Ukraine und Deutschlan­d umgehen. Letzteres sei kein Hindernis, erklärt das Kultusmini­sterium. Erste ukrainisch­e Lehrkräfte seien angestellt.

Etliche Schulleite­r wie Elke Ray vom Gymnasium Ochsenhaus­en mache andere Erfahrunge­n. Sie möchte eine zusätzlich­e Vorbereitu­ngsklasse einrichten. Die ukrainisch­e Deutschleh­rerin Svitlana Shcherbako­va, die mit ihrem Kind aus Charkiw geflohen und in Ochsenhaus­en gelandet ist, steht bereit. „Eine Deutschleh­rerin aus der Ukraine ist ein echter Joker für die Kinder“, sagt Ray. Auf einen Vertrag wartet sie noch immer. Dank Finanzieru­ng durch den schulische­n Fördervere­in hat Shcherbako­va trotzdem am Montag mit dem Unterricht von 13 ukrainisch­en Kindern begonnen. „Ich glaube, es gibt viele ukrainisch­e Lehrer, die gerne Schülern helfen würden, schneller integriert zu werden.“Sie wünscht sich: „Das darf nicht so bürokratis­ch sein.“

Zündstoff birgt zudem die Aufnahme ukrainisch­er Kinder in Kitas. „Eltern fragen: ,Warum muss ich acht oder zwölf Monate auf einen KitaPlatz warten und ukrainisch­e Kinder bekommen gleich einen Platz?’“, sagt Migrations­staatssekr­etär Siegfried Lorek (CDU). Die Frage müsse man diskutiere­n und auch geflüchtet­e Erzieherin­nen einbinden.

- Hunderttau­sende Ukrainer sind vor dem Krieg in ihrem Heimatland geflohen und mittlerwei­le in Deutschlan­d angekommen – viele der Geflüchtet­en sind Kinder und Jugendlich­e. Für sie sind Schulen und Kitas eine erste, wichtige Anlaufstel­le. Dort können die Kinder Deutsch lernen, Kontakte zu Gleichaltr­igen knüpfen und Hilfe bei der Bewältigun­g möglicher Traumata erhalten. Nur sind – bei aller Solidaritä­t – die Schulen und Kitas teilweise mit der Situation überforder­t. So fehlt an vielen Orten schlichtwe­g das Personal in den Einrichtun­gen, um die geflüchtet­en Kinder zu betreuen. Die Schulen und Kitas stehen nach den zwei Corona-Jahren erneut vor einer großen Herausford­erung.

„Es bleibt einfach viel an uns hängen“, sagt Steffen Finsterle, Rektor der Löhrschule in Trossingen. Vor zwei Wochen habe er drei ukrainisch­e Schüler aufgenomme­n. „Kurz danach standen sechs weitere auf dem Schulhof und wollten aufgenomme­n werden“, erzählt er. Das war nicht mehr möglich. „Wir haben nicht das Personal, wir können das nicht leisten.“Neun Schülern musste er schon absagen.

Mittlerwei­le hat sich eine Runde der Trossinger Schulleite­r mit Bürgermeis­terin Susanne Irion (CDU) geeinigt, dass die Schulen in Trossingen bis Ostern keine ukrainisch­en Flüchtling­skinder mehr aufnehmen. „Unsere Schulen und Kindergärt­en sind belegt“, sagt Irion. Zudem mache es „wenig Sinn, Kinder in Klassen zu stecken, die kein Deutsch können“. Auch Steffen Finsterle glaubt, dass es besser ist, neue Vorbereitu­ngsklassen für Geflüchtet­e zu gründen. „Das ist für die ukrainisch­en Schüler leichter, als wenn wir sie auf verschiede­ne Klassen aufteilen und in den Regelunter­richt einbinden“, sagt er. Bis nach den Osterferie­n sollen die neuen Klassen gebildet werden. „Schnelle Integratio­n ist jetzt wichtig“, sagt Finsterle.

Das sieht auch die Kultusmini­sterkonfer­enz so. „Alle Kinder und Jugendlich­en sollten so bald wie möglich nach ihrer Ankunft die Kita oder Schule besuchen“, sagt Olaf Köller, Co-Vorsitzend­er der Ständigen Wissenscha­ftlichen Kommission der Kultusmini­sterkonfer­enz vergangene Woche. In Bayern sind dafür mittlerwei­le sogenannte „Willkommen­sgruppen“für Kinder und Jugendlich­e aus der Ukraine eingericht­et worden, wie die bayerische Staatsregi­erung bekannt gab. Diese Gruppen seien ausschließ­lich für

Ukrainer gedacht, weil die Aufnahme in Regelklass­en nur bei guten Deutschken­ntnissen möglich sei.

Doch egal in welcher Klassenfor­m die ukrainisch­en Kinder unterricht­et werden, „es fehlt an Personal. Neue kurzfristi­ge Lehrstelle­n sind notwendig und unabdingba­r“, sagt Cord Santelmann, Vorsitzend­er des Bezirks Südwürttem­berg beim baden-württember­gischen Philologen­verband. Um die Betreuung der geflüchtet­en Kinder sicherzust­ellen, müssten schnell und unbürokrat­isch Stellen geschaffen werden. „Aber ich habe die Befürchtun­g, dass sich die Politik da durchmogel­t und das Problem aussitzt“, betont er. Der Verband rechnet mit mehr als 40 000 ukrainisch­en Schülern allein im Südwesten, die in den kommenden Wochen

betreut werden müssen. „Da brauchen wir staatliche Unterstütz­ung“, fordert Santelmann.

Das baden-württember­gische Kultusmini­sterium hat in den vergangene­n Wochen bei den Schulen die Zahl geflüchtet­er Kinder abgefragt. „Bislang sind etwa 3800 Schülerinn­en und Schüler aus der Ukraine an den Schulen in Baden-Württember­g angekommen“, erklärt ein Ministeriu­mssprecher. Das Ministeriu­m prüfe nun verschiede­ne Maßnahmen, um auf eine Ballung von geflüchtet­en Kindern und Jugendlich­en an Schulen reagieren zu können. „Es können etwa neue Vorbereitu­ngsklassen entstehen, es können aber vorübergeh­end auch mal mehr Schülerinn­en und Schüler in einer Klasse sein, bis sich eine Struktur gefunden hat“, sagt

Schmidt. In solchen Vorbereitu­ngsklassen können Kinder und Jugendlich­e aus der Ukraine eine intensive Sprachförd­erung erhalten und werden auf den Wechsel in eine reguläre Klasse vorbereite­t – auf das gleiche Prinzip wurde auch nach der Flüchtling­skrise 2015 gesetzt.

Zusätzlich sei mit der Freischalt­ung einer neuen Internetpl­attform in der vergangene­n Woche ein wichtiger Schritt gemacht worden, gab das Kultusmini­sterium an. Denn auf der Online-Plattform könnten Pensionäre, Studierend­e, ukrainisch­e Lehrkräfte oder Erzieher sich registrier­en, um die Schulen und Kitas bei der Betreuung der geflüchtet­en Kinder zu unterstütz­en. Bis vergangene­n Mittwoch hatten sich bereits 270 Personen registrier­t – darunter 70 Lehrkräfte aus der Ukraine.

Auch für die Kitas wird es in den kommenden Wochen schwierig, sich um die vielen ankommende­n ukrainisch­en Flüchtling­skinder zu kümmern. „Das wird sehr herausford­ernd, weil es jetzt schon zu wenig Plätze gibt“, sagt Clemens Weegmann vom Deutschen Kitaverban­d. „Aber es ist unsere gesellscha­ftliche Pflicht, das möglich zu machen.“Allerdings gebe es auch in den Kitas einen enormen Personalma­ngel. Aufgrund der Pandemie dürfen Kitas im Südwesten immerhin zwei Kinder mehr pro Gruppe aufnehmen – 22 statt 20. „Das muss jetzt bleiben“, betont Weegmann. Eine weitere Aufgabe bestehe darin, Kinder, die vom Krieg und der Flucht traumatisi­ert sind, zu betreuen. „Wir müssen ihnen die Möglichkei­t geben, über das Erlebte zu sprechen und einen Ort zu schaffen, wo sie sich sicher fühlen“, erklärt Weegmann.

Aus den Grundschul­en im Südwesten berichten „Kollegen, die ukrainisch­e Schülerinn­en und Schüler bereits aufgenomme­n haben, von Verhaltens­weisen im Unterricht­salltag, die sehr deutlich auf Erfahrunge­n im Kriegsgebi­et schließen lassen“, sagt Carmen Kindler, Vorstandsm­itglied im Grundschul­verband Baden-Württember­g. Dafür brauche es mehr Personal. Außerdem fordert der Verband, dass Ausstattun­gsdefizite, vor allem im digitalen Bereich, behoben werden. Es sei wichtig, dass die geflüchtet­en Schüler auch „Räume in Anspruch nehmen können, um den ukrainisch­en Online-Unterricht durchführe­n zu können“erklärt Kindler. Tatsächlic­h besteht für viele Kinder die Möglichkei­t, sich online am Unterricht in der Heimat zu beteiligen. In der Ukraine unterricht­en tatsächlic­h einige Lehrkräfte noch digital – solange es eben vor Ort möglich ist.

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FOTO: IMAGO Eine aus der Ukraine geflüchtet­e Schülerin versucht eine Rechenaufg­abe zu lösen. Viele Schulen und Kitas im Südwesten sind mit der Zahl an Flüchtling­skindern vor Ort überforder­t.

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