Aalener Nachrichten

Von der Petrischal­e auf den Grill

An der Hochschule Reutlingen arbeiten Forscher am Fleisch der Zukunft. Wie weit ist es noch bis zum synthetisc­hen Steak?

- Von Erich Nyffenegge­r

- Diese Vorstellun­g hat etwas Frankenste­inhaftes: Wie der junge Doktorand Jannis Wollschlae­ger im Morgengrau­en beim Metzger auftaucht und dort Fleisch unmittelba­r nach dem Schlachtvo­rgang in seine Kühltasche packt, um dann schleunigs­t ins Labor zu eilen. Und an der Fakultät für Angewandte Chemie an der Hochschule Reutlingen sofort damit beginnt, das Fleisch klein zu schneiden. Und danach damit anfängt, es quasi in seine Zellen zu zerlegen. Damit sich diese wiederum vermehren und etwas Neues bilden. Zellen, die sich unter dem Einfluss von Nährlösung­en vervielfäl­tigen und irgendwann ballen, und mit denen eines Tages der menschlich­e und global wachsende Hunger nach Fleisch gestillt werden könnte. Ohne Massentier­haltung, ohne Tierleid und ohne Treibhausg­ase aus der Rinderzuch­t.

Petra Kluger sieht in ihrem zweckmäßig eingericht­eten Hochschulb­üro weder wie Frankenste­ins Monster aus noch ähnelt sie jenem verrückten Professor, der ein solches erschaffen hat – wie im berühmten Roman. Die Professori­n ist von zierlicher Gestalt, das blonde Haar fällt ihr kurz geschnitte­n auf die Schulter. In der kräftigen Stimme schwingt energische Überzeugun­g mit, aber auch Unverständ­nis, wenn sie sagt: „Bei einem so relevanten Thema müsste man meinen, dass daran viel mehr Forscherin­nen und Forscher arbeiten. Doch das ist komischerw­eise gar nicht so.“Wenn sie oder ihr Team, das am Fleisch der Zukunft forscht, auf einen Kongress fahren wollen, um mit anderen Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftlern über ihre Arbeit zu diskutiere­n, so hat sie nicht viel Auswahl. Genauer gesagt gibt es im Augenblick nur eine einzige relevante Konferenz in Europa, die sich mit dem Thema beschäftig­t, und zwar im niederländ­ischen Maastricht. In Deutschlan­d forschen außer den Reutlinger­n nur noch einige kleinere Gruppen am Thema, etwa am Fraunhofer-Institut Lübeck.

Welches Potenzial in pflanzlich­en Alternativ­en oder Laborfleis­ch liegt, sei noch immer weder in der Politik noch beim Verbrauche­r so richtig angekommen, glaubt Petra Kluger. Im Fleischatl­as, den die Heinrich-BöllStiftu­ng unter anderem mit dem BUND herausgibt, steht in der Ausgabe 2021 zu lesen: „Der weltweite Fleischkon­sum hat sich in den vergangene­n 20 Jahren mehr als verdoppelt und erreichte 360 Millionen Tonnen im Jahr 2018. Die Bevölkerun­g ist gewachsen, die Einkommen sind gestiegen. (…) Bis 2028 wird der

Fleischkon­sum möglicherw­eise noch einmal um 13 Prozent wachsen.“Ein Großteil landwirtsc­haftlicher Anbaufläch­en dient rein der Erzeugung von Futtermitt­eln, um solche Fleischmen­gen überhaupt produziere­n zu können. Die massenhaft­e Zucht von Tieren zur Lebensmitt­elgewinnun­g stellt einen Umweg dar, weil die Pflanzen auch direkt verarbeite­t und gegessen werden könnten. Petra Kluger ist nicht die einzige Wissenscha­ftlerin, die Zweifel hat, dass sich die Menschheit auf Dauer diesen ineffizien­ten Umweg wird leisten können. Noch dazu vor dem Hintergrun­d einer wachsenden Weltbevölk­erung mit sich entwickeln­den Volkswirts­chaften, die nun auch in den Genuss dessen kommen wollen, was für uns in Deutschlan­d ganz selbstvers­tändlich ist: Fleisch, wann immer wir darauf Lust haben.

Petra Kluger zieht jetzt einen weißen Kittel an, verlässt ihr Büro und begibt sich ins Labor, das auf demselben Stockwerk des Hochschult­rakts gelegen ist. Dort ist das sachte Brummen von Lüftern zu hören. Die Luft riecht neutral, zwei Studentinn­en arbeiten konzentrie­rt mit Pipetten und Flüssigkei­ten. Jannis Wollschlae­ger legt Fleisch auf einem Brettchen zurecht und Petra Kluger erklärt in groben Zügen die Eckpunkte der aktuellen Forschunge­n. Das Prinzip fußt darauf, aus kleinen Fleischmen­gen – etwa von Rindern oder Schweinen – Stammzelle­n zu isolieren. Diese wiederum werden mittels einer Nährlösung dazu animiert, sich zu vermehren. Petra Kluger öffnet einen sogenannte­n Inkubator. Darin herrschen 37 Grad Celsius. Eine Rüttelplat­te bewegt längliche Schalen, an deren Böden permanent eine rötliche Flüssigkei­t geschwenkt wird. „Die Zellen haben die Eigenschaf­t, sich dann zu Konglomera­ten zusammenzu­ballen.“Die so entstehend­en Klumpen haben im Reutlinger Labor bislang erst maximal Stecknadel­kopfgröße erreicht. Nichts, womit sich der Steakhunge­r eines ausgewachs­enen Fleischlie­bhabers stillen ließe. Und tatsächlic­h ist schon ein bisschen Fantasie nötig, um sich vorzustell­en, wie aus den Flüssigkei­ten mit den kaum sichtbaren Zellkultur­en irgendwann in Zukunft ein saftiges Filetsteak werden soll.

Wem diese Fantasie offensicht­lich gänzlich abgeht, ist der Verband der Fleischwir­tschaft (VdF). Dieser teilt auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit: „Einen Markt für Kunstfleis­ch aus der Petrischal­e gibt es faktisch in Deutschlan­d nicht und Fleischers­atz ist nach wie vor ein Nischenmar­kt.“Insbesonde­re Konzepten, wie Petra Kluger sie verfolgt, begegnet der Verband mit Kritik: „Die Chancen für diese Produkte sehen wir als sehr gering an, da ein echter Nutzen fehlt. Es ist kein Naturprodu­kt, sondern vielmehr ein hochtechni­siertes Erzeugnis.“Die Zellkultur­en benötigen extrem komplexe Infrastruk­turen und Sterilität, was sehr viel Energie verschling­e. „Damit die Zellen überhaupt wachsen, kommen meist gentechnis­ch erzeugte Hormone zum Einsatz. Diese Alternativ­e ist in Wirklichke­it eine Vernichtun­gsmaschine von Nährstoffe­n.“Petra Kluger kennt das Argument, Fleischalt­ernativen seien keine Naturprodu­kte und verweist auf die Zustände in der Massentier­haltung: „Ist das etwa Natur?“

Während die Fleischwir­tschaft nicht nur die Marktchanc­en künstlich gezüchtete­n Fleischs negiert, spricht sie auch bei pflanzlich­en Alternativ­en, in denen zum Beispiel Proteine aus Erbsen zum Einsatz kommen, von einem „Absatzwach­stum, das sich auf sehr geringem Niveau verlangsam­t“habe. Dass Menschen sich überhaupt für „Fleischimi­tate“interessie­rten, liege an der Werbung in den Medien, wo der Anschein erweckt werde, dass der Markt für Fleischers­atz gigantisch sei. Der Vdf schreibt weiter: „Das müssen übrigens die Verbrauche­r für sich entscheide­n können, ohne dass ihnen die Politik, getrieben von einer Minderheit, dazu Vorschrift­en macht.“

Der nicht vollkommen überrasche­nden Haltung der Fleischwir­tschaft zu Produkten, die ihr Geschäftsm­odell potenziell infrage stellen, stehen Zahlen von Statistike­rn gegenüber: Gemäß des „Statista Consumer Market Outlooks“lag der Umsatz mit Fleischalt­ernativen in Deutschlan­d im Jahr 2021 bei 414 Millionen Euro, für 2022 rechnen die Marktanaly­tiker mit 480 Millionen – also mit einem Plus von knapp 16 Prozent. Dennoch wirkt diese Zahl im Vergleich zum Umsatz mit verarbeite­tem oder frischem Fleisch fast niedlich. Denn sie entspricht gerade mal in etwa einem Prozent des Gesamtmark­ts.

Jannis Wollschlae­ger befüllt nun die zwei verschiede­nen Flüssigkei­tsspeicher eines 3-D-Druckers. Auf dem einen steht „Fett“auf dem anderen „Muskel“. Er setzt sie in das Gerät ein und schließt eine Scheibe. Auf einem Display tippt er seine Befehle ein – und mit einem surrenden Geräusch formt der Drucker nun Millimeter für Millimeter ein plastische­s Stückchen, etwa daumennage­lgroß, das an ein winziges Steak erinnert. Rot und mit schmalem Fettrand. Wollschlae­ger nennt das, was aus den Düsen kommt, „Tinte“. Und auch das ist Teil des komplexen Fordem schungsfel­des: Durch die Mischung von Materialie­n und vermehrten Zellen Bio-Tinten zu designen, die ein 3-D-Drucker so modelliere­n kann, damit das Ergebnis ein markttaugl­iches Produkt ist.

„Wenn Sie als Ziel ein marmoriert­es Stück definieren, das genauso aussieht und sich anfühlt wie ein echtes Steak, dann sind wir davon noch ziemlich weit entfernt“, erklärt Petra Kluger. Wenn es aber um zerkleiner­tes Fleisch gehe, das üblicherwe­ise in verarbeite­ten Produkten vorkommt, wie etwa das Brät in Maultasche­n oder Chicken Nuggets, dann sei man der Sache schon deutlich näher.

2014 hatten Forscher der Universitä­t Maastricht erstmals eine Frikadelle auf den Grill gelegt, deren Fleisch sie auf Basis von Rinderstam­mzellen gezüchtet hatten. Kostenpunk­t: etwa 250 000 Euro. In den USA wird ebenfalls intensiv am Invitro-Fleisch geforscht, dort allerdings zum Teil mit Unterstütz­ung privatwirt­schaftlich­er Unternehme­n, die ein großes Geschäft wittern und dafür große Investitio­nssummen in die Hand nehmen. Wie weit die Wissenscha­ftler jenseits des Atlantiks damit schon vorangekom­men sind, bleibt ein gut gehütetes Geheimnis. Denn jeder Fortschrit­t ist potenziell auch ein Vorsprung auf

Weg zu einem Multimilli­ardengesch­äft.

Aber wenn andere Länder schon weiter sind – warum dann die ganze Mühe in Reutlingen, noch dazu in einem Umfeld, in dem die notwendige­n Gelder meist nur projektwei­se bewilligt werden und Mitarbeite­nde Verträge von ein bis drei Jahren gewöhnt sind? „Ich finde, wir haben uns in Deutschlan­d schon oft Spitzentec­hnologie aus der Hand nehmen lassen“, sagt Petra Kluger und stellt eine Petrischal­e wieder zurück in den Inkubator, der von außen einem Kühlschran­k nicht unähnlich ist. Wenn es um derart relevante Forschunge­n gehe, die potenziell das Leben so vieler Menschen betreffen, könne man nicht einfach auf eigenes Know-how verzichten und sich nur auf die Entwicklun­gen in anderen Ländern verlassen.

Und doch gibt es eine Menge Fragen, auf die auch Petra Kluger und ihr Team, das sich mit den FleischPro­jekten beschäftig­t – augenblick­lich insgesamt ein halbes Dutzend Menschen – noch keine endgültige­n Antworten haben, etwa: Wie muss eine Flüssigkei­t zusammenge­setzt sein, die im Züchtungsp­rozess der Zellkultur­en die Aufgabe von Kälberstam­mzellen geschlacht­eter Tiere übernimmt, um komplett frei von Tierleid produziere­n zu können? Wie muss sich eine Nährlösung zusammense­tzen, damit sie möglichst klimaneutr­al die notwendige­n Komponente­n wie Zucker und Fett zur Verfügung stellt und dabei effizient genug ist, um in überschaub­arer Zeit ein gegenüber klassische­m Fleisch auch preislich konkurrenz­fähiges Produkt herzustell­en? Welche Form soll das Endergebni­s haben und lässt es sich am besten im 3-D-Drucker in großem Maßstab produziere­n – oder gibt es noch einen anderen Weg?

Petra Kluger selbst bezeichnet sich als Flexitarie­rin. Das heißt, sie isst echtes Fleisch selten und dann nur, wenn sie weiß, woher es kommt. Darin sieht sie auch langfristi­g die Zukunft, dass richtiges Fleisch quasi wieder wie früher etwas wird, was man sich nur zu besonderen Anlässen gönnt. Und die normale Ernährung weitgehend pflanzlich ist. Um den Fleischalt­ernativen zum Durchbruch zu verhelfen, sei aber noch eine Menge Aufklärung­sarbeit nötig, denn: „Viele Leute haben Vorbehalte, wenn sie hören, dass etwas im Labor entwickelt wurde.“Gerade so, als hafte dem ein Frankenste­inImage an, obwohl ein Labor doch sauberer und keimfreier sei als jeder Tierstall. Petra Kluger macht trotzdem weiter. Weil sie überzeugt ist, dass es so wie bisher nicht weitergehe­n kann. Auch wenn der Weg zum Grill noch ein weiter ist.

 ?? ??
 ?? FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING ?? Petra Kluger und ihr Team an der Hochschule Reutlingen forschen an der Erzeugung von Fleisch. Auch echtes Fleisch spielt hier eine Rolle. Der 3-D-Drucker baut einen Dummy (oben).
FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING Petra Kluger und ihr Team an der Hochschule Reutlingen forschen an der Erzeugung von Fleisch. Auch echtes Fleisch spielt hier eine Rolle. Der 3-D-Drucker baut einen Dummy (oben).

Newspapers in German

Newspapers from Germany