Von Kindern und Narren
Wenn das „Zwiegespräch“zum Selbstgespräch wird – Peter Handke hat ein neues Buch veröffentlicht
Im Bauernhaus seines Großvaters in Griffen gab es eine Truhe, in der neben den Feldpostbriefen seiner beiden im Zweiten Weltkrieg gefallenen Onkel auch Bücher aufbewahrt waren. Als Kind schlich sich Peter Handke oft auf die Galerie zu der Truhe und begann zu lesen. Es war sein Zugang zur Literatur.
Immer wieder hat der Literaturnobelpreisträger von 2019 über seinen Großvater geschrieben, den er auf gewisse Weise bewunderte. „Ein Mensch, groß in seiner Einfalt, groß in seiner Stärke, groß in seiner Schwäche, mit den natürlichen, ursprünglichen Regungen eines Bauern“, heißt es in einem Brief von 1961 an seine Mutter.
Auch im neuen Buch von Peter Handke (79), vielleicht sollte man besser Büchlein sagen, hat es doch gerade mal knapp 70 Seiten, spielt der Großvater wieder eine zentrale Rolle. „Zwiegespräch“ist der Titel des Otto Sander sowie Bruno Ganz gewidmeten szenischen Textes. Wie auf einer Bühne begegnen sich zwei Figuren, oder wie es einmal heißt: „Zwei besondere Narren … ein jeder auf seine Weise“. Der eine träumt von den Theaterbesuchen in seiner Kindheit. Der andere von seinem Großvater, einer „Spielernatur“, dessen einzige Erholung nach der Feldarbeit das Kartenspiel war.
„Mein Ahnenkult ist ein Urspiel, ein urwüchsiges. Das Idealisieren der Ahnen ist Teil der Materie – ist Sache“, heißt es am Anfang. Da spielt es auch keine Rolle, dass der Großvater, der die Schützengräben des Ersten Weltkrieges im italienischen Karst überlebt hat, Tiere quälte, um so seinen Zorn über den „Heldentod der Hofsöhne im Folgekrieg“loszuwerden. Das Hornissennest im Baum zementiert er zu. Tagelang ist das Summen noch zu hören. Die Schlange auf dem Feld setzt er mit der Heugabel fest, sodass sie stundenlang zappelt. Der Realität auf dem Land steht das
Theater entgegen, hinter dessen Kulissen ungeahnte Möglichkeiten lauern. Auch, wenn es lange schon nicht mehr ist, was es einmal war. Noch heute erinnert sich einer der Narren an das Haus, das in seinen Kindertagen das Bühnenbild bildete, und auf dessen verschlossene Tür er immerzu damals starrte, ohne, dass sie sich jemals geöffnet hätte. Was zählt, ist die Erwartung.
So manches Motiv aus Peter Handkes gewaltigem Werkkatalog taucht auf, wird variiert oder fortgesponnen. Von seinem ersten Roman „Die Hornissen“(1966) bis zu „Immer noch Sturm“(2010) und „Mein Tag im anderen Land“(2021). Ein ganzes Schriftstellerleben lang hat der Österreicher aus seinen Sinneseindrücken und Erlebnissen Literatur gemacht nach dem Motto: „Nicht der ist wirklich, der die Kindheit ständig zitiert, sondern der, der sie wiederfindend sich erzählt“, wie er es in „Die Geschichte des Bleistifts“(1982) formuliert hat. Als Bewohner des Elfenbeinturms hat er sich einen eigenen literarischen Kosmos geschaffen, der mittlerweile so hermetisch ist, dass nur noch Eingeweihte ihn durchdringen. Die Fangemeinde geht überallhin mit. Die breite Masse hat er eh nie erreicht. Will er auch gar nicht.
Immer dichter werden seine Texte. Immer selbstreferenzieller. Nur wer sein Werk seit vielen Jahren verfolgt, kann mit seinen Büchern etwas anfangen. Das ist auch in seinem „Zwiegespräch“so, das nie richtig in Gang kommen will und zu einem Selbstgespräch verkommt. Er zitiert sich selbst, reißt vieles an. Verliert sich zunehmend in seiner Bespiegelung und läuft Gefahr, dass sein Schreiben zu einem Selbstzweck wird. Wie beharrlich er das tut, ist schon wieder bewundernswert. Und so schreibt Handke eben weiter an seiner Welt. Bis zum bitteren Ende.
Peter Handke: Zwiegespräch, Suhrkamp Verlag, 72 Seiten, 18 Euro.