Pro Jahr fast 3000 Euro Mehrausgaben
Wirtschaftsprüfer berechnen durchschnittliche Mehrbelastung durch Preissteigerungen
- Die beträchtliche Preiserhöhung für zahlreiche Lebensmittel beim Discounter Aldi zu Beginn dieser Woche zeigt nochmal in aller Deutlichkeit: Verbraucher müssen immer tiefer in den Geldbeutel greifen, um sich mit den Waren des alltäglichen Bedarfs zu versorgen. Eine neue Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) hat berechnet, wie die hohe Inflation die Menschen in Deutschland belastet.
Ein durchschnittlicher Haushalt hierzulande muss mit bis zu 242 Euro Mehrkosten rechnen – pro Monat. Auf das Jahr gerechnet sind das 2904 Euro. Laut PwC sind steigende Preise für Lebensmittel für mehr als ein Viertel der Mehrkosten verantwortlich. Besonders belastend ist die Situation für Geringverdiener. Der PwC-Analyst Andreas Späne sagt: „Knapp ein Viertel aller deutschen Haushalte muss mit weniger als 1700 Euro netto auskommen und hat kaum Puffer, um die zusätzlichen Kosten zu stemmen.“
Der Sozialverband VdK fordert deswegen, die Mehrwertsteuer für Obst und Gemüse zu senken. VdKPräsidentin Verena Bentele sagt im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“: „Obst und Gemüse sind für Menschen mit wenig Geld, also für Rentner, Geringverdiener und Grundsicherungsempfänger, durch die Preissteigerungen inzwischen ein Luxusgut, das sie sich kaum noch leisten können.“Arme Menschen, das habe eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem vergangenen Jahr nochmal unterstrichen, leben kürzer. Das hänge unter anderem auch mit einer schlechteren Ernährung zusammen. „Anders als bei einer Steuersenkung auf Sprit, die reicheren Haushalten stärker zugutekommt, profitieren ärmere Menschen stärker von einer Senkung der Mehrwertsteuer auf frische und gesunde Lebensmittel“, sagt Bentele. Aus einem einfachen Grund: Sie müssen prozentual mehr Geld für Ernährung ausgeben.
Wie viel das den Staatshaushalt kosten würde, hängt davon ab, wie umfassend die Senkung ausfällt. Laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats (WBAE) beim Bundeslandwirtschaftsministerium würde eine Absenkung der Mehrwertsteuer für Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte von derzeit sieben auf fünf Prozent zu einem Steuerrückgang um etwa 460 Millionen Euro führen. Eine komplette Befreiung von der Umsatzsteuer würde nach Berechnungen des Öko-Instituts rund vier Milliarden kosten. Erst Ende
des vergangenen Jahres haben die EU-Finanzminister einen solchen Schritt nach europäischem Recht möglich gemacht.
Größter Preistreiber bei den Lebensmitteln sind die steigenden Kosten für Energie. Das trifft Verbraucher in doppelter Hinsicht: Direkt, weil sie laut PwC-Studie durchschnittlich 89 Euro mehr pro Monat für Strom, Gas und Heizöl ausgeben müssen. Am Dienstag hat der Energiekonzern E.ON Preiserhöhungen für Strom und Gas angekündigt. Deutschland-Chef Filip Thon sagt, dass er zwar aktuell noch nicht seriös prognostizieren könne, wie hoch diese ausfallen werden, betont aber: „In der Stromgrundversorgung wurden bereits mehr als tausend Erhöhungen angekündigt und zum Teil schon durchgeführt. Da geht es um Aufschläge von durchschnittlich 35 Prozent.“
Verbraucher sind auch indirekt betroffen – weil die Produktion teurer wird, zahlen sie höhere Preise. „Da der Bereich Energie für viele Waren in der Produktion und Distribution entscheidend ist, werden wir auch bei annähernd allen Produkten Preiseffekte sehen“, sagt Boris Hedde vom Institut für Handelsforschung Köln. Die Kostensteigerungen bei Transport und Logistik würden sich auf alle im Lebensmittelmarkt tätigen Unternehmen auswirken. „Besonders betroffen sind automatisch jene Waren, die besonders energieintensiv produziert werden.“
Welche Lebensmittel werden also besonders teuer, weil sie zu den besonders energieintensiven in der Produktion zählen? „Vier Branchen – Fleischereien, Molkereien, Brauereien und Bäckereien – verbrauchen rund 50 Prozent der Energie in der Lebensmittelproduktion“, sagt Marcel Riethmüller, Geschäftsführer des Unternehmens Ecogreen und Experte für Fördermittel im Bereich Energieeffizienz. Besonders energieintensiv seien dabei der Antrieb elektrischer Motoren, die Kühlung sowie Prozesswärme und -kälte.
Fleisch, Wurst, Käse, Milch, Brot – Lebensmittel, die für viele zur Grundversorgung zählen, sind also besonders von den Kostensteigerungen betroffen. So könnten die Preise für Fleisch und Fleischwaren um bis zu 50 Prozent steigen, rechnet PwC vor. Das liege auch an höhereren Preisen für Futtermittel wie Mais sowie Transport und Kühlung. Immerhin, mit Engpässen bei Nahrungsmitteln ist in Deutschland weiterhin nicht zu rechnen. „Die Versorgung sehe ich bis zum Frühjahr 2023 gesichert“, sagt der Präsident des Bauernverbands, Joachim Rukwied. „Für den Zeitraum danach wage ich keine Prognose.“